Sonntag, 15. August 2010

Manfred Spitzer erklärt uns die Welt: Fernsehen macht dick

In der Zeitschrift Nervenheilkunde (7-8/2010, S. 419 - 422) schrieb Manfred Spitzer in seinem Editorial: "Seit Langem ist bekannt, dass Fernsehen dick macht". Der Satz wirkt einfach, ist aber kompliziert. Denn das Fernsehen füttert uns, wenn wir die latente Metaphern-Sprache dieses Satzes übernehmen wollen, mit Bildern, Geschichten, Sehnsüchten, Fantasien, Wünschen, Neuigkeiten; im besten Fall werden wir psychisch genährt. Aber so, dass wir zunehmen? Das meint Manfred Spitzer natürlich nicht. Er bezieht sich auf Korrelationsuntersuchungen, die Regelmäßigkeiten beschreiben - beispielsweise: Wer viel vor dem Fernseh-Gerät sitzt, bewegt sich wenig; wer sich wenig bewegt, erhöht sein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.  Der Zusammenhang ist klar: Je mehr man vor dem Fernseh-Gerät hockt, um so weniger kann man sich bewegen; je weniger man sich bewegt, um so größer der Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Regelmäßigkeiten deuten einen Zusammenhang an, aber erklären ihn nicht. Jetzt glaubt Manfred Spitzer aus den vielen Regelmäßigkeiten den Zusammenhang gefunden zu haben, der den Effekt der Gewichtszunahme erklärt: Es ist die Werbung für ungesunde Nahrungsmittel für Kinder im Fernsehen, die die Kinder dick macht. Auch dieser Zusammenhang ist voraussetzungsvoll. Werbung bringt ihre Konsumenten - die Kinder - so in Bewegung, dass sie ihre Eltern ohnmächtig machen, denen nichts anderes übrig bleibt, als die ungesunden Nahrungsmittel zu kaufen, oder die zu widersprechen nicht in der Lage sind. Von solcher Werbungsmacht träumen die Werbeleute. Weshalb sind die Eltern so ohnmächtig?

Das sagt uns Manfred Spitzer nicht. Er sagt dazu einen Satz: "Zwischen Jungen und Mädchen gibt es beim Übergewicht keinen Unterschied, wohl aber im Hinblick auf soziale Schicht und Migrationshintergrund". Übergewicht ist die Folge unserer Lebensformen; die hängen ab von unseren Lebensvorstellungen und Lebenshoffnungen. Sollten die ungleich verteilt sein und abhängen von Armut und Status?

Armut und Status sind komplexe Faktoren. Sie passen nicht in die imperialistische Wissenschaftspolitik von Manfred Spitzer, der mit einfachen Reiz-Reaktions-Beschreibungen aufwartet. Die Macht der Werbung und des Fernsehens ist ein alter Hut. Noch immer entscheidet das Publikum über seinen Bilder-und Fantasie- Konsum. Was daran so attraktiv ist, dass es so schwer fällt, den Knopf rechtzeitig zu drücken, wartet auf seine Klärung.