Dienstag, 13. November 2012

Kalter Kaffee

Die Apokalyptiker führen zur Zeit - könnte man mit Umberto Eco sagen. Heute kam das Interview in der SZ (13.11.2012, S. 16, Abt. Wissen):
"Im Cyberspace verlieren wir unsere Träume". Die Unterzeile: "Wenn Menschen vor lauter Bildern die Welt nicht mehr erleben: Der Bochumer Psychiater und Psychotherapeut Bert te Wildt sieht im digitalen Wandel einen fundamentalen Umbruch, getrieben auch durch die Angst vor der eigenen Sterblichkeit".

Die zwei Sätze dröhnen. Unsere Träume. Ich wüsste keine Untersuchung zu nennen, die die Häufigkeit des Träumens im Längsschnitt untersucht hätte. Immerhin hat die Schlafforschung - kein einfaches Vorgehen - herausgefunden, dass wir enorm viel träumen, Nacht für Nacht. Ob sich das heute schon wie verändert hat, weiß keiner. Wie auch?  Wenn Menschen vor lauter Bildern die Welt nicht mehr erleben - ist eine Variation der Idee, die Umberto Eco 1985 vorgelegt hat:
"Das bildliche Werk (der Kinofilm, die TV-Reportage, das Wandplakat, der Comic strip, das Foto) ist heute bereits ein integraler Bestandteil unseres Gedächtnisses. Was etwas ganz anderes ist und eine fortgeschrittene Hypothese zu bestätigen scheint, nämlich dass die neuen Generationen sich, als Bestandteile ihres Verhaltens, eine Reihe von Bildern einverleibt haben, die durch die Filter der Massenmedien gegangen sind (und von denen einige aus den entlegensten Zonen der experimentellen Kunst unseres Jahrhunderts kommen). In Wahrheit braucht man nicht einmal von neuen Generationen zu sprechen: Es genügt, zu mittleren Generation zu gehören, um erfahren zu haben, wie das gelebte Leben (Liebe, Angst und Hoffnung) durch 'schon gesehene' Bilder gefiltert wird".

Umberto Eco spricht von filtern, Bert te Wildt von nicht mehr erleben. So geht das im ganzen Interview. Eine grobe Behauptung jagt die andere: Die Innenwelten werden kolonisiert, Süchte erzeugt, Formen des Wissens reduziert. Alles im Dienste der Vertreibung des Gedankens der Sterblichkeit. Alles nicht neu und auch nicht falsch. Falsch ist: der fundamentale Umbruch. In den 50er und 60er Jahren hatten wir das Kino. Es tötete die Fantasie (fremde Bilder!) und schürte die Aggressivität. In den 80er und 90er hatten wir das Fernsehen. Es tötete die Fantasie (fremde Bilder!), machte süchtig und dick (das viele Sitzen!), frönte dem umfassenden Amüsement (mit tödlichem Ausgang!) und machte aggressiv (mit gewalttätigen Folgen). Jetzt das Internet - mit den gleichen befürchteten Folgen.

Wir wissen es nicht. Die Zukunft schreckt. Die Gegenwart ändert sich. Die Welt-Wahrnehmung und der Realitätskontakt fühlen sich anders an. Anschluss zu halten, ist mühsam; eine lebenslange Anstrengung. Und die Aussicht zu sterben ist schrecklich. Die Apokalyptiker beruhigen uns in dem Sinne, dass wir es wirklich schwer haben.           

Drohen oder nicht drohen?

"Man stelle sich einfach mal vor, Berlin hätte von Anfang an gesagt: wir helfen. Punkt. Aus. Dann", schreibt Cerstin Gammelin in der SZ vom 12.11.2012 auf Seite 4 in ihrem Kommentar Die Kunst des Umfallens, "hätten sich die andere Länder mit ihren Extrempositionen durchgesetzt, in diesem Fall die griechische Regierung". Fazit: "Es ist auch den markigen Aussagen der Bundesregierung zu verdanken, dass sich Athen gezwungen sieht, überhaupt Reformen anzupacken".

Ist das so? Die Logik scheint einfach zu sein, das zugrunde liegende Konzept ist so vertraut. Hätte ich mit dem Taschengeld-Entzug nicht gedroht, hätte er nie seine Hausaufgaben gemacht. Eltern lügen sich manchmal mit ihrer Hilflosigkeit in die Tasche und übersehen, dass Kinder ein Lebensinteresse daran haben, ihre guten Beziehungen zu den Eltern zu erhalten, und dass die Drohung des Beziehungsabbruchs die schrecklichste Bedrohung für die Stabilität des seelischen Gefüges des Kindes ist. Drohen heißt: die Abhängigkeit des Kindes auszubeuten - es wirklich klein zu machen.

Nun lässt sich dieses Konzept elterlicher Hilflosigkeit nicht so ohne weiteres auf politische, diplomatische Interaktionsprozesse übertragen. Aber stellen wir uns vor, die Bundesregierung hätte gesagt: Wir helfen. Sie hätte nicht die Metapher des unklaren Helfens benutzen müssen - Rettungsschirm - ; sie hätte ihrerseits ihre Forderungen stellen und an die Lebensinteressen der verschuldeten Länder erinnern können; sie hätte darauf drängen und warten können, dass ihre Forderungen erfüllt werden; sie hätte die griechische Regierung nicht hinhalten müssen wie ein kleines Kind; sie hätte das landesweite Schenkelklopfen bundesdeutscher Selbstgerechtigkeit verhindert; sie hätte den Stolz der Griechen erhalten; sie hätte die Griechen gewonnen. Es ist das alte deutsche Konzept: Erst Druck machen, dann - . Erst unterwerfen, dann - . Es ist die alte bundesdeutsche Unsicherheit, wie angemessene Beziehungen gestalten werden sollten. Dazu lässt sich vieles sagen. Nur so viel und ganz knapp: die bundesdeutsche Beziehungs-Scheu  gehört zu unserer schwer erträglichen historischen Last.

Freitag, 9. November 2012

Armin Maiwald

Heute im Wirtschaftsteil der SZ auf Seite 30: Armin Maiwald vom WDR, der Mann von der Maus, wurde interviewt. Das Interview ist enorm. Lakonisch dekliniert er das Fernsehen kritisch durch - verdichtet und differenziert. Lakonisch spricht er über den Erfolg der Sendung, die er 1972 mit auf den Weg brachte und auf Kurs hielt. Ich halte die Sendung mit der Maus, die ich durch meine Tochter kennen lernte, für den besten Beleg für die Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens und für die beste Investition des Senders. Armin Maiwald leidet nicht am Einschaltquoten-Syndrom. Er orientiert sich an der Neugier der Kinder. Wer bei ihnen Erfolg hat, muss gut sein und es ehrlich meinen.

Journalismus über Bande

Manchmal geht mir eine Schlagzeile nach, bei der ich mich dann frage, was die Redaktion damit nicht gesagt hat oder vielleicht sich nicht zu sagen traute. Heute morgen in der SZ auf der unteren Hälfte der ersten Seite: "Geld stinkt doch. Die Grünen gegen auf Distanz zum SPD-Kandidaten Steinbrück". Geld  stinkt doch. Der Satz verschieb den Sachverhalt, den die SZ vor ein paar Tagen anmerkte, etwas: Um die Summe geht es nicht, wohl um die Haltung eines MdB, eine riesige Summe für einen Vortrag einzustecken. Nebenbei gesagt: Ich würde gern den Vortrag lesen, um zu sehen, ob er die 25 grand, wie es manchmal im U.S.-Kino heißt, wert ist. Ich vermute: Er ist es nicht.

Peer Steinbrück ist nicht der Fachmann, den er herausdröhnt. Unvergessen: 2008, als er mit der Kanzlerin vor den Kameras stand - es ging um die Beruhigung der bundesdeutschen Bürgerinnen und Bürger, dass deren Geld auf einer deutschen Bank garantiert wäre und nicht verloren gehen würde wie bei der Lehman-Bank - , auf die Krise der Amerikaner Hände-reibend verwies, deren ökonomische Katastrophe ausmalte und versicherte, eine solche Krise würde es bei uns nie geben. Steinbrück hatte offenbar nur die Kameras vor Augen. Unvergessen 2011: Wie er für eine andere Kamera mit dem Hamburger Orakel Schach zu spielen vorgab und sich später die Inszenierung vorhalten musste. Der Mann, kann man sicherlich sagen, tut viel vor und für die Kameras. Deshalb sind  die Grünen gut beraten, sich den Kandidaten der SPD noch einmal anzuschauen und sich gut zu erinnern, wie er mit ihnen umging. Eine Zeitung könnte einem doch beim Erinnern helfen und zusammentragen, was man weiß. Das kommt vielleicht noch. Heute begnügte sich die SZ mit dem Hinweis auf die Vertreter der skeptisch werdenden Grünen. Ob die Redaktion den Zorn des schnell sprechenden Herrenreiters fürchtete?  

Mittwoch, 7. November 2012

Betrug am Kinogänger

Einer meiner Lieblingsfilme des westdeutschen Nachkriegskinos war der 1956 in den Filmtheatern präsentierte Streifen Kitty und die große Welt mit Romy Schneider, Karlheinz Böhm und Otto Eduard Hasse. Sissi in Genf statt in Bad Ischl und Wien, könnte man den Plot resümieren. Kitty war das Remake des 1939 von Helmut Käutner inszenierten Kitty und die Weltkonferenz. 1956 führte Alfred Weidenmann Regie, das Drehbuch schrieb Herbert Reinecker. 1956, als elfjähriger Kinogänger, kannte ich weder Helmut Käutner, noch Alfred Weidenmann, noch Herbert Reinecker und deren Geschichte der Jahre 1933 bis 1945. Jedenfalls war ich hingerissen von Kitty. Ich sah den Film einmal und hoffte - seit langem - auf die DVD. Jetzt ist sie auf dem Markt, aber in Schwarz-Weiß. So wurde der Film nicht vorgeführt. Er war farbig. In - um Cole Porter aus Silk Stockings (1957; Regie: Rouben Mamoulian)   zu paraphrasieren - herrlichem Eastmancolor. Das DVD-Cover sagt darüber nichts. 

 

(Korrektur: 15.2.2022)

Whistleblowing

Seit kurzem haben wir ein neues deutsches Wort aus dem Englischen: Whistleblowing. "Reich durch Anschwärzen", überschrieb Karl-Heinz Büschemann in der SZ (vom 5.11.2012, S. 17) seinen Kommentar im Wirtschaftsteil der Zeitung. Anschwärzen. Die Wahl des Verbums ist interessant. Es gehört in den Kontext der Schülersprache und deren Moral vom Petzen. Im Englischen bläst der Schiedsrichter in die Pfeife (Whistle) - um einen Regelverstoß zu ahnden. Der whistleblower, sagt das Longman-Wörterbuch"is someone who tells people in authority or the public about dishonest or illegal pratices in business, gevernment etc ". Das hat aber mit Anschwärzen oder Petzen nichts zu tun. Wir sind nicht mehr in der Schule unter Schülern. Es geht im angelsächsischen Verständnis um eine Kultur der Aufrichtigkeit und der Verantwortung und um das Konzept der Wahrheit. James B. Stewart hat in seinem Buch Tangled Webs. How False Statements Are Undermining America: From Martha Stewart to Bernie Madoff darauf hingewiesen, dass das Rechtssystem davon abhängt, dass die Wahrheit gesagt wird - weshalb in den Staaten Meineid rigoros verfolgt und schwer bestraft wird.   Karl-Heinz Büschmann schreibt: "Für den einen sind Whistleblower Denunzianten, die mit ihren Beschuldigungen das Firmenklima vergiften, für andere sind sie Helfer mit besten Absichten". Aber, schränkt er ein, "nicht jeder Mitarbeiter, der seinen Arbeitgeber anschwärzt, hat edle Motive". Karl-Heinz Büschmann kommt vom Anschwärzen nicht weg. Welche Motive der Mitarbeiter hat, ist nicht relevant; es geht um die Ermittlung einer  rechtswidrigen Tat; sollte der Mitarbeiter selbst eine rechtswidrige Tat begangen haben, wird gegen ihn ebenfalls ermittelt.

Tom Hanks was at the ZDF

Tom Hanks, konnte man in der gestrigen SZ (vom 6.11.2012, S. 31) lesen, gefiel Wetten, dass...? vom ZDF nicht. Zwölf Autorinnen und Autoren der SZ kamen zu Wort. Sechs votieren für, sechs gegen die Sendung. Wetten, dass...? gehört zu unserem Fernsehen wie der früher der Käfer zur Fahrschulausbildung, könnte man die zwölf Beiträge resümieren. Der Käfer hat als Beetle überlebt, allerdings nicht in den Fahrschulen; dort werden Golf und andere Marken bewegt. Die zwölf Beiträge rühren an unser Selbst-Verständnis von der so genannten Unterhaltung, die bei uns etwas abfällig und anrüchig klingt - anders als das angelsächsische entertainment. Im Englischen unterhält der Gastgeber seine Gäste. Im Deutschen zahlt der geschiedene Ehemann oder die geschiedene Ehefrau Unterhalt an den ehemaligen Partner. Unterhaltung wird bei uns nicht so ernstgenommen; deshalb erwarten wir auch keine Spitzenleistungen, sondern sind zufrieden, wenn man nebenbei noch das Ragout zubereiten kann, wie Claudia Tieschky halbwegs zufrieden anmerkte. Ich vermute, sie schaut so gut wie nie diese Tanker-Sendung. Die Verachtung darf man natürlich nicht zugeben. Offenbar sind viele zufrieden, wenn der Moderator auf eine Zuschauerin oder einen Zuschauer zugeht mit den Worten: "Ich komme jetzt mal zu Ihnen". Die TV-Sendung als Umarmungs- oder als Verschmelzungsangebot. Die Herren oder Damen kassieren ihre Prominenz ein. Sie geben sich wie man das früher mit einem heute verpönten Wort nannte: volkstümlich.  Der Mensch ist gut, man muss ihn nur vor die Kamera lassen, nannte ich die Fantasie dieser Sendung - vor gut zwanzig Jahren. Erstaunlich, wie zäh das ZDF an diesem Quoten-Umgetüm festhält und seinen Auftrag missversteht. "Er geht nicht auf Sendung, er geht aufs Ganze", wirbt der Mainzer Sender jetzt für seinen neuen, in zwei Sendungen erprobten Mann. Aber der Sender nudelt seine alten Melodien.

Ist Hass ein politisches Argument? II

"Das Versagen nach dem Versagen", überschrieb Tanjev Schultz seinen Kommentar in der SZ vom 3./4. November 2012 (S.4). Auf das Versagen der Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung der Ermordung deutscher Bürger nicht-deutscher Herkunft, folgte, so Tanjev Schultz, das zweite Versagen:  "ein Mangel an Demut und ehrlichem Aufklärungswillen". Der ehrliche Aufklärungswillen ist das Problem. Was soll aufgeklärt werden? Was ist, wenn das Versagen kein Versagen war, sondern das Produkt eines intendierten, aber offenbar nicht-bewussten Abstimmungsprozesses der Ermittler auf eine eliminatorische Fantasie, die den Opfern die Vermutung verweigerte, Opfer eines Mordes geworden zu sein? Wenn wir diese Hypothese ernst nehmen, dann können wir nicht mehr von Versagen sprechen, sondern von einem Gruppenprozess, deren Teilnehmer insofern kooperierten, als sie sich auf ein oder auf mehrere projektive Bilder von den Wirklichkeiten der Mord-Opfer verständigten. Diese Hypothese, ein komplexer interaktiver Prozess, ist natürlich schwer aufzuklären. Man müsste, wenn sie denn zu sprechen bereit sind,  die Beteiligten lange interviewen.

Seit 1945 wissen wir, wie schwer es fällt, sich über die eigene, wie auch immer geteilte Sympathie für die mörderischen nationalsozialistischen Fantasien deutscher Grandiosität zu verständigen. Seit 1945 wissen wir auch, wie schwer es fällt, eine einigermaßen präzise Sprache dafür zu finden. Es geht um den mörderischen Hass, den die nationalsozialistischen Propagandisten zu einer Art politischer Religion verklärten und für einige Jahre salonfähig machten. Spätestens seit 1945 wissen wir auch, dass der mörderische Hass ein schreckliches, irreparables Leid hinterlassen hat. Seitdem wissen wir auch, dass der mörderische Hass schwer beim Namen zu nennen ist. Im Kontext von Links - oder Rechtsextremismus erhält der Hass die Aufwertung einer politischen Haltung. Wenn gar von einer rechtsextremen Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund gesprochen wird, die als Akronym einer ehemaligen Automarke kursiert, verschwindet der Hass in einem seltsamen Bedeutungs-Nebel.  Dieser Hass, auch wenn wir ihn identifizieren zu können glauben, weil er  mit den bekannten Requisiten und Formeln  der beschwichtigenden öffentlichen Diskussion ausstaffiert wird, ist noch nicht verstanden.  (Siehe auch meinen Blog vom 11.1.2012)