Montag, 27. Mai 2013

Aufkehren und Aufräumen

"The party's over", beginnt Jule Stynes glänzender, leicht bitterer Song, "it's time to call it a day" - der 25.5.2013 ist überstanden, das Leben mit dem Realitätsgeschäft hat wieder eingesetzt. Allerdings ist noch einiges liegen geblieben. Gestern versuchte Frank Plasberg in Hart aber fair aufzukehren und aufzuräumen. Ich schaltete die Sendung aus - Dortmund gegen Bayern wurde weiter gespielt und es hörte nicht auf. Von seiner psychoanalytischen Arbeit sagte Donald Woods Winnicott einmal: sie halte ihn wach und lebendig und bringe ihn dazu, sich gut zu benehmen. Der Fußball - in seinen aufregendsten Partien, bei denen am meisten auf dem Spiel steht - hält auch wach, lässt einen sich lebendig fühlen und schlecht benehmen. Der Politiker Wielpütz nannte das in der Sendung: die Sau raus lassen. Damit tut man den Schweinen natürlich unrecht. Ich war erschrocken, wie ich am Samstagabend mit meinem - lebensgeschichtlich alten und jungen - Hass in Kontakt kam. Junge, Junge. Fußball, aus der Zuschauer-Perspektive, ist (manchmal) eine projektive Orgie, da kommt das eigene und da kommen die fremden Leben mächtig in Bewegung in den Kontexten, die einen normalerweise nur in den Träumen während des Schlafs undeutlich behelligen.

Bei Tag besehen, ist das zu viel für den Fußball. Vor allem ist er ein Sport. Aber manchmal dient er der eigenen und der nationalen (Selbst-) Affekt-Regulation. Das Problem ist der Hass. Er muss, das wusste natürlich Winnicott, Gehör finden. Aber wie? Wir müssten ihn und seine Quellen zu explorieren uns trauen. Aber zuerst müssen wir mitsingen: "The party is over, it's time to call it a day" - Triumph und Enttäuschung grummeln noch.      

Mittwoch, 22. Mai 2013

Fußball-Theater III

Meine Tochter, kein Fan von Borussia Dortmund, machte mich gestern Nachmittag darauf aufmerksam: Mario Götze hat sich schlecht beraten lassen. Er hat dementiert, was er nicht hätte dementieren sollen (Dementis sind immer schlecht, weil sie genügend sagen). Er hat nicht verhindert (vertraglich), dass sein Wechsel kommuniziert wurde. Er hat das nicht in die Hand genommen. Er ist passiv geblieben. Auch richtig. Die Wirklichkeit ist eben kompliziert. Wahrscheinlich ist sie sehr viel komplizierter.



(Überarbeitung: 4.8.2015)

Dienstag, 21. Mai 2013

Fußball-Theater II

Eine einfache Geschichte, jeder kennt sie: eine Nachricht wird verbreitet, die jemanden bloß stellt. Die Umgebung ist entsetzt, irritiert, gekränkt, aufgebracht, enttäuscht - Bindungen und Beziehungen kommen ins Wanken, Schuld und Beschämung machen sich bei dem Jemand breit. Wie erträgt er es? Gut, sagt seine Umgebung. Wie sieht es innen aus? Er verkrampft. Die Spannungen ziehen sich in ihm zusammen. Muskel-Verletzung. Kann er spielen? Er kann. Er kann nicht - wahrscheinlich nicht, entnehme ich heute der SZ. Er wird nicht, vermute ich: der Muskel wird nicht halten. Das Torpedo der Entfremdung sitzt. Einer der entscheidenden Spieler wird fehlen. Was im Halbfinale nicht klappte,
gelingt für das Finale.
Ende gut, alles gut - für den FC Bayern?
Wohl kaum. Jeder kämpft mit seinen Mitteln, sagt man - oft zu recht. Die Grenze zieht das Gefühl
für Fairness. Fußball ist Geschäft und Sport. Verliert am Samstag Borussia Dortmund, wird das Auswirkungen haben - für den bayrischen Verein, für den Fußball. Im Gegensatz zum Gedächtnis der Öffentlichen Diskussion hat der Fußball-Fan das Gedächtnis eines Elefanten. Schwere Fouls, die das Gefühl von Fairness verletzen, werden nicht vergessen. Es wäre gut, wenn der Vorstandsvorsitzende dieses Vereins sich entschuldigt für sein Rabaukentum. Die Sache mit dem Geld wird ihm vielleicht vergessen. Vielleicht. Das erfolgreich abgeschossene Torpedo nicht.

Samstag, 4. Mai 2013

Fußball-Theater

Umberto Eco schrieb 1980 seinen Text Sportgerede. Seine Beobachtung: das Sprechen über den Sport ersetze oder verdränge den öffentlichen Diskurs über die relevanten Fragen. Seit dem 4. Juli 1954, unserem heimlichen nationalen Feiertag, wissen wir: unser Fußball dient - knapp gesagt - der Regulation der nationalen Identität und des nationalen Grundgefühls. 1954 ging ein enormes Aufatmen durch die junge Republik. Es ist nicht vergessen. Gegenwärtige Klage: Deutschland war lange nicht mehr Weltmeister. Jetzt gibt es den 25.5.2013: zwei bundesdeutsche Mannschaften sind im Londoner Wembley-Stadion im Finale der Champions League. 1966 war Wembley der Ort der Schmach, als ein Tor anerkannt wurde, das kein Tor war - was der damalige Bundespräsident schon wusste. Die Schmach wird repariert - ausheilen wird sie nicht. Aber jetzt können wir noch mehr sehen: Moral, Schuld, Lebensentwürfe, Kapitalismus und Anti-Kapitalismus werden mit der Aufregung um das Endspiel verhandelt. München gegen Dortmund - die Bilder sind, hier ist der Vorschlag für eine Liste: die Glitzerstadt gegen die Anti-Glitzerstadt, das Grün und Blau von Bayern gegen das (alte) Grau des Ruhrgebiets, Hochgeschlossen gegen Hochgekrempelt, Filzstift gegen Schaufel, Schlau gegen Redlich, BMW gegen Opel, geringe Arbeitslosigkeit gegen hohe Arbeitslosigkeit, Aufstieg gegen Abstieg. Die Zerrissenheit der bundesdeutschen Identität kommt im Fußball-Theater auf die Bühne. Die Frage der Schuld beispielsweise - so alt wie die Bundesrepublik - : ist jemand, der sich schuldig gemacht hat, doch unschuldig? Muss er oder sie nicht doch besser geschont werden, weil er oder sie eigentlich für die eigene Schuld nichts kann und weil eine Straf-bewehrte Konsequenz nicht zuzumuten ist? Die Frage des Anstands: kann man sich nehmen, was man kriegen kann? Muss man sich nehmen, was man kriegen kann? Die Frage der Moral: darf man das psychosoziale Gefüge einer Mannschaft, die  ein wichtiges Spiel vor sich hat, torpedieren? Die Frage des Lebensentwurfs: wie wollen wir leben? Ich bin natürlich fürs Ruhrgebiet. Leider werden diese Fragen am 25.5.2013 nicht geklärt. Hoffentlich kommen sie hier bald auf den Tisch.