Donnerstag, 20. März 2014

Die Ruhe nach dem Sturm

Private Banking hat die Redaktion der SZ ihre Beilage (20.3.2014) getitelt. Auf der ersten, der 23. Seite, sind zwei Texte zu lesen. Der erste von Christiane Kaiser-Neubauer: "Spitzenklasse unter sich. Fahrten im Luxuswagen und Einladungen zum Golfturnier - Wie Geldhäuser um die vermögende Kundschaft werben". Der zweite Text ist das Interview, das Michael Kläsgen mit Gabriel Zucman, dem Autor des Buches "La Richesse Cachée des Nations", führte; der Titel des Textes: "Verschwundene Billionen". Es sind, hat Gabriel Zucman berechnet, weltweit 5800 Miliarden Euro; von den 1800 Milliarden, die bis Ende 2013 in der Schweiz deponiert wurden, gehören 200 Milliarden bundesdeutschen Staatsbürgern. Was denkt man als Leser dieser Seite? Ich denke an das Ritual der öffentlichen Diskussion von Aufregung und Erschöpfung. An den öffentlichen Verschleiß der Protagonisten; deren Einzelfall strafrechtlich geklärt wurde; aber die Arroganz des Realitätsverlusts ist noch immer mächtig. Spitzenklasse unter sich: keine schlechte Formel für das Gefühl von Selbstsicherheit der eigenen Exklusivität.

Neues zur Heiligen Kuh IX

BMW hat Sorgen: die Elektroautos verkaufen sich nicht zügig. Die Elektroautos, las ich heute Morgen in der SZ (20.3.2014, S. 19, Nr. 66) in dem Text von Thomas Fromm, werden aus dem Grund lanciert: "um den CO2-Ausstoß ihrer Gesamtflotte nach unten zu drücken... Die Abgase eines 7er BMW kann sich ein Konzern wie BMW irgendwann nur noch dann leisten, wenn er gleichzeitig Autos baut, die kein einziges Gramm Co2 ausstoßen". Wahrscheinlich ist es nicht so einfach. Aber was sich sagen lässt, ist dies: es ist nicht zu erkennen, dass BMW seine Modell-Palette umbaut und sich einstellt auf unsere Klima-Veränderung und die Endlichkeit unserer fossilen Brennstoffe. Statt dessen wird der Realitätsverlust weiter betrieben.

Sonntag, 16. März 2014

Unser Schlaumeier

"Wehrt Euch", empfahl neulich Hans Magnus Enzensberger in der FAZ (1.3.2014, S. 9, Nr. 51), "wer ein Mobiltelefon besitzt, werfe es weg...Smart sind nicht diese Geräte oder die sie benutzen, sondern die sie uns anpreisen, um unermessliche Reichtümer anzuhäufen und gewöhnliche Menschen zu kontrollieren". Zum elektronisch abgespeckten Leben kann man (vielleicht) zurückkehren, wenn man arriviert ist und sich um seinen Alltag nicht kümmern muss - bleibt zum Beispiel die Frage: was macht man mit seinen Kindern, die es noch nicht sind und die einen zu erreichen versuchen? Oder die andere Frage: will man sich ausschließen von den Kommunikationsformen der jungen Leute? Was ist schlecht daran? Sind es die Spuren, die wir im Internet hinterlassen?  Der Satz brüstet sich mit der fröhlichen Verachtung dessen, was uns bewegt, und lädt zu der bekannten Geste der wegwerfenden Hand ein: Kannste vergessen. Das macht Enzensberger seit langem. Als Primaner bewunderte ich ihn in den 60ern; später wurde ich ernüchtert. Natürlich bin ich auch neidisch auf seinen Erfolg; aber so möchte ich auch nicht durchkommen. Er spottete über den Tourismus und den Kaufhauskatalog und die Sprache des SPIEGEL, für den er dann lange Riemen schrieb; einer handelte vom Fernsehen, dem Nullmedium, wie es nannte. Kannste auch vergessen. Die "Schreckensmänner" (ein anderer Buchtitel von ihm), die er die radikalen Verlierer nannte, auch. Und jetzt die analogen Analphabeten, die nur digital können: kannste auch vergessen. Kannst du nicht. Die öffentlichen Foren wandeln sich sehr. Die Plätze werden neu verteilt. Die Sennettsche Formel von der Tyrannei der Intimität muss wohl modifiziert werden. Die öffentlichen Foren und die öffentlichen Sphären entwickeln ihre eigene Dynamik: sie werden größer und größer und kommunizieren schneller und schneller; der Wunsch, sich auszutauschen, drängt mehr und mehr.

Den letzten Absatz seines Textes mit den zehn Empfehlungen will ich zitieren; man muss die Sätze sich vorsprechen und klingen lassen: "Der Schlaf der Vernunft wird bis zu dem Tag anhalten, an dem eine Mehrheit der Einwohner unseres Landes am eigenen Leib erfährt, was ihnen widerfahren ist. Vielleicht werden sie sich dann die Augen reiben und fragen, warum sie die Zeit, zu der Gegenwehr noch möglich gewesen wäre, verschlafen haben". Gut, dass Hans Magnus Enzensberger wenig schläft. Wie kann man sich wehren? Wahrscheinlich geht es doch zuerst einmal darum: sich zurecht zu finden in dem sich neu und anders konstellierenden Gefüge von Privatheit und Öffentlichkeit.


Samstag, 15. März 2014

Ausgestanden. Überstanden.

Vorläufig. Das letzte Wort hinsichtlich der Rechtskraft des Urteils vom vergangenen Donnerstag, dem 13.3.2014, hat die Münchener Staatsanwaltschaft; sie wird nächste Woche über die Frage der Revision ihre Entscheidung treffen. Inzwischen hat sich Uli Hoeneß, was ich gehofft hatte (s. meinen Blog vom 22.2.2014), entschieden, das Urteil des Münchener Landgerichts anzunehmen. Er hat sich damit, so könnte man seine Entscheidung lesen, zu seiner Identität als Sportsmann bekannt. Aber das weiß ich nicht; ich kenne seine Motive nicht. Die Vokabel vom Fehler polstert weiterhin seine Rede aus. Hat man je einen  Fußballer angesichts eines Fouls vom Fehler sprechen hören? Was man jedenfalls sagen kann, ohne in Uli Hoeneß einzudringen, ist: offenbar hat er, im komplizierten Prozess der Identitätsverdichtung von individuellem und öffentlichem Leben, seine Orientierung und seine Linie verloren. Die Protagonisten der Öffentlichkeit sind für unsere Lebenskontexte beobachtender, fantasierender und handelnder Beteiligung (an den im weitesten Sinne politischen Prozessen) unsere Delegierten; sie sind Angestellte ohne Anstellungsvertrag im Geschäft des öffentlichen Fantasierens für die weit reichenden Aufgaben narzisstischer Regulation, geteilter Identität und der Verständigung über Wünsche, Sehnsüchte und Moral. Die öffentlichen, fantasierten Beziehungen sind prekär: sie können schnell ernüchtert werden. Öffentliche, fantasierte Beziehungen erweisen sich dann als unbarmherzig, grausam, voyeuristisch und kannibalistisch. Am Freitag, dem 14.3.2014, klopfte die BILD-Zeitung mit ihrem Titel an die Fensterscheibe des Hauses von Uli Hoeneß: "Zerbricht Hoeneß am Knast-Urteil?" So etwas möchte man sicherlich nicht in aller Öffentlichkeit gefragt werden.

Eine demokratisch verfasste Gesellschaft lebt von ihrer komplexen psychosozialen Arbeitsteilung. Jetzt konnten wir sehen, wie das Münchener Landgericht in dem Verfahren mit dem vorsitzenden Richter, Herrn Rupert Heindl, das Realitätsgeschäft nüchtern und wohlwollend (abzulesen am Strafmaß) zugleich betrieb und die Regeln und die Ethik unseres institutionalisierten Lebensrahmens durchsetzte. Das Gericht ließ sich nicht von dem öffentlichen Aufschrei über die bedrohte fantasierte und idolisierte Beziehung zum Chef des bayrischen Fußballvereins beirren und bestand auf der Beurteilung der Straftat der Steuerhinterziehung. Die Printmedien und die elektronischen Medien haben einerseits den Auftrag der Klärung unserer Lebenswirklichkeiten, andererseits geben sie dem öffentlichen Fantasieren einen immensen Raum, womit sie (hier und da) einen mächtigen affektiven Mischmasch erzeugen: der bundesdeutsche Fußball  - in den 50er Jahren ein robust ausgetragenes, aber zugleich von Millionen-facher Kennerschaft begleitetes (wie Bertold Brecht einmal so schön bemerkte) Unterschicht-Vergnügen, das auch zur westdeutschen (wahrscheinlich vor allem: männlichen) narzisstischen Reparatur beitrug - ist zu einem enorm bedeutungsvollen Vehikel der Verständigung geworden über westdeutsche, bundesdeutsche und deutsche Identität, über Macht, Reichtum und Glanz: abzulesen am Stichwort: der FC Bayern München - der beste Fußballclub der Welt. Das ist die Formel für eine unserer bundesdeutschen Aufsteiger-Fantasien, auf deren Realisierung offenbar Viele bestehen. Daraus lassen sich zwei Kontexte ableiten: 1. die bundesdeutsche Identität ist fragil; 2. zur Lebenswirklichkeit gehört noch immer die Orientierung an der fairness, die wir mit dem Wort Ritterlichkeit (schwerfällig) übersetzen (was ein Hinweis darauf ist, dass wir für die demokratischen Tugenden noch keine angemessenen Worte besitzen wie die Angelsachsen mit ihren: common sense für Realitätssinn und decency für taktvolle Zurückhaltung und Anständigkeit)  -  nicht am wilden Geschäft mit der auf Hochglanz polierten bundesdeutschen Bedürftigkeit.