Donnerstag, 30. April 2015

Konfuser Wissenschaftsjournalismus II

"Keiner bekommt sein Fett weg", hat Werner Bartens (oder ein anderes Mitglied der Süddeutsche Zeitung-Redaktion) seinen Text überschrieben. Keiner kriegt sein Gewicht reduziert, heißt die Überschrift übersetzt, die so erläutert wird: "Immer neue Diäten suggerieren den Menschen, dass Abnehmen ganz leicht ist. Dabei tut der Körper alles dafür, bloß kein Gewicht zu verlieren. Warum wir immer dicker werden?" (30.4.2015, S, 16, Nr. 99).

Keiner? Der Satz ist eine All-Aussage: ein Gegenbeispiel, und er ist widerlegt. Später schreibt Werner Bartens: "Nur fünf Prozent der Menschen in den Industrieländern verfügen über die Silhouette, die als Idealfigur von Frauenzeitschriften, Modenlabels und der Lebensmittelindustrie angepriesen wird". Also fünf Prozent bleiben schlank. Fünf Prozent werden nicht immer dicker.

Was soll man von diesem Text halten?

Er ist ein Beispiel für ideologische journalistische Politik.
1. Redaktionelles Recyclen: vor einem dreiviertel Jahr war ein ähnlicher Text zu lesen (s. meinen Blog vom 7.7.2014).
2. Werben für das Vorurteil: Verantwortlich für die Gewichtszunahme und für die Schwierigkeit, Gewicht zu reduzieren, ist ein evolutionär entstandenes, unbeeinflussbares System von Neuronen, das uns permanent mit Ess-Impulsen versorgt.
3. Werben für die Konzeption: das neuronale System bestimmt, wir folgen.
4. Werben für den wissenschaftlich geschminkten Imperialismus, die Bedeutung des seelischen Geschehens und seiner Zeitlichkeit zu kassieren. Aber Essen ist eine Lebensform, mit der wir die Balance unserer Verfassungen regulieren; Lebensformen haben eine Geschichte; sie lassen sich nur über lange Zeiträume verändern.
5. Werben für den direkten, schnellen, inhumanen Eingriff: wenn (kurzfristige) Diäten nicht helfen, kann der chirurgische Eingriff helfen per Magen-Verkleinerung und Entfernung des (vermeintlich) zuständigen neuronalen Systems - wovon Werner Bartens am Ende seines Textes spricht.
6. Werben für die Ideologie des Konsums und für die Idee des kapitalistischen Wachstums: wenn das neuronale System uns drängt, können wir nicht anders als nachgeben. Die alte, gut begründete und wirksame Idee, dass die Regulation der Wünsche (die Ess- und Trink-Wünsche eingeschlossen) die eigene Autonomie etabliert, wird für obsolet erklärt. Nachgeben ist Konsumieren.
7. Werben für die individuelle, politische Passivität. Wir können uns nur noch die Haare raufen und die Schultern zucken.
8. Werben für den gesellschaftspolitischen Stillstand.

Dienstag, 28. April 2015

Der Prozess am Landgericht Lüneburg gegen Oskar Gröning

Vorgestern, am 26.4.2015, beschäftigte sich die A.R.D.-Sendung Günther Jauch mit dem Lüneburger Prozess gegen den 93 Jahre alten Beschuldigten Oskar Gröning. Oskar Gröning, Mitglied der Schutz Staffel, muss sich seit einer Woche für den Vorwurf der Beihilfe zum Mord in Dreihunderttausend Fällen verantworten; er hatte die Praxis des organisierten Mordens in den Baracken von Auschwitz tabelliert und war damit an ihrem Fortgang beteiligt gewesen. "Was bringt der neue Auschwitz-Prozess", fragte Günther Jauch, wenn siebzig Jahre nach Kriegsende der "SS-Greis" - so nannte er Oskar Gröning -  sich dafür vor Gericht verantworten muss?

Ja, was bringt - wie das beliebte Verbum zur Ertragsfrage lautet - der Prozess? Dazu diskutierten Susanne Frangenberg, die Anwältin des Beschuldigten; Eva Mozes Kor, die mit ihrer Zwillingsschwester aus den Baracken befreit wurde und die vor dem Prozess Oskar Gröning die Hand reichte; Gisela Friedrichsen, Journalistin des Spiegel; Michael Wolffsohn, Historiker, von dessen Familie einige Mitglieder ermordet wurden; Heiko Maas, gegenwärtiger Justizminister des Bundes. Die Frage war umstritten. Eva Mozes Kor plädierte für die Begegnung und den Dialog zwischen den Mördern und den Entkommenen; ein Gerichtsverfahren würde polarisieren und das Opfertum, so ihre Worte, weiter pflegen; sie warb dafür, dass die nationalsozialistischen Straftäter Zeugnis ablegen. Michael Wolffsohn hielt das Gerichtsverfahren für den unangemessenen Versuch, Gerechtigkeit herzustellen; er nannte es ein "Alibiverfahren" angesichts des gravierenden Versagens unserer Nachkriegsjustiz. Gisela Friedrichs votierte gegen eine Begegnung und war auf der Seite der Beschädigten, die mit diesen Menschen nichts zu tun haben möchten, wie sie die nationalsozialistischen Straftäter nannte. Heiko Maas sah die Bedeutung des Gerichtsverfahrens in der Feststellung und Anerkennung des nationalsozialistischen Unrechts und in der strafrechtlichen Verfolgung des Tatbestandes Mord.

Was also bringt der Prozess? Die Frage wurde nicht beantwortet. Sie konnte auch nicht beantwortet werden, weil der Prozess gerade begonnen hat und sein Ausgang oder sein Ertrag noch nicht abzusehen ist. Die Frage dieser Sendung beabsichtigte keine Klärung; sie transportierte den Affekt der Unmut einer lästigen Anstrengung: wieso soll jetzt wieder der Stein der bundesdeutschen Hypothek ungeklärter oder miserabel abgerechneter Schuld-Konten gehoben werden? Schon wieder die Gegenwart der Vergangenheit. Mit anderen Worten: die Sendung Günther Jauch setzte unsere vertraute Konfusions-Maschinerie in Gang. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten unterschiedliche Positionen und unterschiedliche Interessen und repräsentierten unterschiedliche Kontexte; sie kamen nicht ins Gespräch, weil kein Gespräch entstand. Die Sendung war auch eine Zeitreise durch die sieben Jahrzehnte bundesdeutscher Affekte und eine Besichtigung deutscher und bundesdeutscher Abgründe.

Man kann sich in einem Gespräch darauf einigen, dass man sich auf ein Thema verständigt, das zu erörtern man sich bereit erklärt. Man kann sich in einem Gespräch auch darauf einigen - vom Geschäft der show dazu eingeladen und gedrängt - , das Thema zum Anlass zu nehmen, die eigene Position zu präsentieren (im Sinne der Politik des eigenen Interesses) und die anderen Positionen zu bekämpfen. Heiko Maas widersprach Michael Wolffsohn und warf ihm zweimal vor, er würde historische Aufarbeitung, Wiedergutmachung und Rechtssprechung verwechseln. Dem widersprach Michael Wolffsohn, der sich als Historiker eingeführt hatte; zweimal  korrigierte er Heiko Maas, seinen Namen nicht zu verstümmeln - was der Justizminister bestritt - und verwahrte sich gegen dessen Belehrung. Eva Mozes Kor korrigierte Günther Jauch, dass sie nicht als Opfer adressiert werden möchte (obgleich sie zu Beginn der Sendung als Opfer, wie sie von sich sagte, in die Diskussion eingegriffen hatte) und dass sie nicht nach Auschwitz gekommen, sondern dorthin transportiert worden wäre - woraufhin der Moderator sich korrigierte. Sie wies darauf hin, dass niemand in der Runde ihren (Lebens-bejahenden) Gedanken aufgegriffen hätte. Er war - leider -  offenbar für unsere öffentliche Diskussion neu - in Israel wird er seit einiger Zeit diskutiert und (beispielsweise in gruppentherapeutisch orientierten Begegnungsformen) realisiert.  Das bundesdeutsche Sprechen über den Nationalsozialismus und die bundesdeutschen Narrative wurden getestet. Die Vokabel Holocaust ging  den bundesdeutschen Protagonisten leicht über die Lippen - obgleich uns nicht ansteht, sie zu benutzen, weil wir uns damit auf der Seite der Ermordeten platzieren, wo wir gern wären, aber nichts zu tun haben - , vom Morden und dessen Abgründen zu sprechen war schwer; das Narrativ der Verdrängung unserer Geschichte, das zum Konsensus gewordene Missverständnis der Nachkriegszeit und der Mitscherlich-Lektüre von der Unfähigkeit zu trauern, breiteten Günther Jauch und Heiko Maas aus. Michael Wolffsohn bestritt es. Der Tonfall war auf vertraute Weise gereizt. So hatten andere als die bekannten Gedanken keine Chance. Den Stein gemeinsam zu heben, war zu schwer. Aber wer sich beim TV-Geschäft verhebt, hat zumindest Grund, sich zu bedauern.


(Bearbeitung: 29.4.2015)
      

Donnerstag, 16. April 2015

Zur Mentalität des Verdachts

Gestern war sich unser Justizminister Heiko Maas (S.P.D.) nicht zu schade, auf dem Worte-Gummi von der ausgewogenen Balance zwischen Grundrechten und Sicherheitsinteressen herumzukauen. Ende des vergangenen Jahres hatte er noch die so genannte Vorratsdatenspeicherung lautstark verworfen; jetzt hatte er seinem Innenminister-Kollegen Thomas de Maizière (C.D.U.) zugestimmt. Das Macht- und Koalitions-politische Muster kennen wir seit der (kostspieligen) Maut-Komödie. Unser Bundesverfassungsgericht und der europäische Gerichtshof haben dieses Verfahren zur Makulatur erklärt. Weshalb hält unsere Regierung daran fest?

Leider habe ich keine Innen-Einsicht. Ich möchte ich auf das psychosoziale Konzept des Daten-Sammelns aufmerksam machen: auf die Mentalität des Verdachts. Normalerweise ermitteln die Strafverfolgungs-Institute bei einem begründeten Verdacht. Ein Vorgehen zu begründen ist eine zivilisierte Handlung: sie gestattet eine Überprüfung und einen Dialog. Der unbegründete Verdacht ist undemokratisch: willkürlich, unterwerfend, asymmetrisch; er etabliert ein Machtgefälle. Er pervertiert den Schutz der demokratisch institutionalisierten Unschuldsvermutung. Der unbegründete Verdacht ist der Terror der Macht des Vorurteils, des Klischees oder des Ressentiments. Seltsam, was die Vorrats-Befürworter sich denken. Sie sollten es sagen - und sich nicht herausreden.

Dienstag, 14. April 2015

Big Neuro II: doppelt genäht hält nicht unbedingt beser

Heute die Pressemitteilung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt: "Gehirn reagiert auf Psychotherapie". Das will ich doch schwer hoffen. Ich lese weiter: "Depressionen lösen in der Regel neurobiologische Effekte aus. Eine Studie konnte nun aufzeigen, dass sich diese Hyperaktivitäten unter einer Psychotherapie normalisieren". Die Pressemitteilung, mehr kenne ich nicht, beschreibt die Anlage der Untersuchung kurz. Achtzehn Patientinnen und Patienten, die unter wiederkehrenden depressiven Krise litten, erfuhren eine psychodynamisch orientierte Therapie. Sie wurden mit einer Kontrollgruppe von siebzehn Personen ohne depressive Krisen verglichen. Zu zwei Zeitpunkten wurden sie untersucht, wie sie auf verschiedene Sätze (zur Selbstwahrnehmung) reagierten; die neurologischen Aktivitäten in der Amygdala, im Striatum und im limbischen System wurden erfasst, berechnet und gegeneinander gehalten. Soweit so gut: übliche komplizierte, triviale Forschung, möchte ich sagen.

Das ist nicht mein Punkt. Mein Punkt ist die defensive Verdopplung. Was wir schon wissen, wird erneut nachgewiesen. Es ist klar und bekannt, dass ordentliche Psychotherapie kurative Wirkungen hat.
Jetzt, indem neuronale Prozesse herausgerechnet werden, erhält die bekannte Wirksamkeit einen neuen, nämlich (vermeintlich) objektiven Realitäts - oder soll man sagen: Wahrheits-Gehalt. Womit das alte Vorurteil von der (vermeintlichen) subjektiven Flüchtigkeit des seelischen Geschehens bestätigt und die Ängstlichkeit vor der Übermacht naturwissenschaftlich orientierter Forschung beruhigt wird durch einen Kniefall beflissener Forschung. Dabei ist diese Art von Big Neuro-Aktivität tautologische Forschung: herauskommt, was wir schon wissen.



(Überarbeitung: 22.4.2015)

Konfuser Wissenschaftsjournalismus

Gestern, stelle ich mir vor, hatte die Redaktion der Süddeutschen Zeitung einen schweren Tag. Der Tod von Günter Grass warf einen langen Schatten. Nur so kann ich mir erklären, dass unter der Todesmeldung des Autors ein Text auf die erste Seite geriet, der dort nichts - für meinen Geschmack - zu suchen hatte. Hanno Charisius ist der Autor von "Sein und Schein. Wie Menschen auf Placebos reagieren, liegt auch an ihren Genen"(14.4.2015, S. 1). Was der Titel behauptet, soll erst untersucht werden. Im vorletzten Absatz heißt es: "Die Harvard-Forscher wollen deshalb das 'Placebom' entschlüsseln. Damit meinen sie alle Erbanlagen im menschlichen Erbgut, die irgendetwas mit der Entstehung des Placeboeffektes zu tun haben".

Zuvor hatte Hanno Charisius geschrieben: "Lange Zeit wurde der Placeboeffekt allein der Vorstellungskraft des Menschen zugeschrieben". Abgesehen vom falsch platzierten Adverb allein: was stellt ein Patient oder eine Patientin sich vor, der oder die ein Präparat ohne Wirkstoffe verschrieben bekommt, von dem er oder sie erwartet, dass es eine Wirkung hat? Eine Vorstellung ist ein kognitiver Akt, eine Erwartung die Evokation eines Affekts, der zu einer (wahrscheinlich guten) Beziehungserfahrung gehört. Wenig später nennt Hanno Charisius das: Einbildung. Bilde ich mir etwas ein, wenn ich mich an den Affekt einer bestimmten Beziehungserfahrung (mehr oder weniger präzis) erinnere? Nein, normalerweise nicht; es sei denn, ich wäre dabei, meine Erinnerungen umzuarbeiten. An phänomenologischer Präzision ist Hanno Charisius desinteressiert. Er betreibt das seltsame Geschäft der Diskreditierung und der Austreibung des seelischen (interaktiven) Geschehens zugunsten der sehr seltsamen Frage nach der genetischen Ausstattung für den Beziehungs-Prozess, ein Zutrauen in das von einer Ärztin oder einem Arzt empfohlene Präparat zu entwickeln. Das Zutrauen, das weiß man von der Forschung, schwankt. Dafür die jeweilige Individualität verantwortlich zu machen, ist sicherlich zu einfach gedacht, weil damit der aktuelle Beziehungskontext zu einer (mehr oder weniger) fremden Ärztin oder einem (mehr oder weniger) fremden Arzt ausgeschlossen wird (s. meinen Blog vom 23.9.2014).

Neues zur Heiligen Kuh XIV: Die Soap opera als organisationssoziologisches Konzept

In den 70er Jahren hatten wir Dallas und Dynasty: die U.S.-TV-Serien über schwerreiche Familien und mächtige Industrien. Jetzt haben wir Piech und Porsche. Dazwischen: Martin Winterkorn. Wir haben kein (verdrehtes) ödipales Dreieck (mit dem Sohn zweier Väter) vor uns. Das wäre ein Missverständnis. Sigmund Freuds Satz, dass Soziologie angewandte Psychologie wäre, ist sicherlich falsch. Eine Familie ist kein Konzern und keine Organisation; sie funktioniert anders. Wahrscheinlich sind die Konzern-Familien und das, was als Theater uns zum Frühstück serviert wird, gar nicht so relevant. Chefs werden tendenziell in ihrer Bedeutung überschätzt: die Arbeit machen immer die Anderen, die ihren Chef zum Chef machen und ihn Chef sein lassen. Gute Chefs geben ihren Leuten Raum und lassen sie in Ruhe. Wahrscheinlich geht es im Volkswagen-Konzern (vor allem) um die sich verändernde Bedeutung des Automobils und der Märkte, die möglicherweise für die gewaltige Wolfsburger Produkt-Offensive schrumpfen, so dass die fantasierten Umsatz-Margen sich als illusionäre Einschätzung erweisen und für Aufregung sorgen.

Aber gehen wir zurück zur Soap. Heute in der Süddeutschen Zeitung im Wirtschaftsteil: "Butzi, Burli und der große Krach. Die Familien ringen um die Macht bei Volkswagen. Der Konflikt um Martin Winterkorn hat viel mit ihren alten Rivalitäten zu tun", schreibt Thomas Fromm (14.4.2015, S. 15, Nr. 85). Tatsächlich? Auf derselben Seite schreibt Ulrich Schäfer den aufmunternden Kommentar (für Martin Winterkorn): "Zurücktreten? Nein". Er schreibt weiter: "Denn Winterkorn hat das Vertrauen seines Mentors verloren, der ihn immer gefördert hat. Das ist ungefähr so, als würde Jogi Löw nicht mehr das Vertrauen des DFB-Präsidenten besitzen. Und das ist ungefähr so, als ob Karl-Heinz Rummenigge beim FC Bayern sagen würde: Ich gehe auf Distanz zu Pep Guardiola. Die Konsequenz könnte nur lauten: Ende des Vertrages. Demission. Aus. Schluss." Die verglichen mit dem Volkswagen-Konzern geringe Komplexität der Organisation eines Fußball-Vereins verstehe ich als Metapher zur Illustration schwieriger Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse - zum schnellen Verständnis für die eilige Leserschaft, der nicht mehr als Soap-Kitsch zugemutet werden soll. Womit die Leute von der Süddeutschen Zeitung (wer immer dafür verantwortlich ist) allerdings ihre eigene Werbung unterlaufen: Seien Sie anspruchsvoll! Wie kann man anspruchsvoll sein, wenn man anspruchslos bedient wird? Aber das ist hier wohl der erbarmungslose (anspruchslose) Scherz eines eiligen Bloggers.

Montag, 13. April 2015

Neues von der Heiligen Kuh XIII

"Drei Männer im Streit" titelt heute die Süddeutsche Zeitung den Text von Thomas Fromm. Wir kennen die drei Männer im Schnee (als Buch von Erich Kästner und als Film von Kurt Hoffmann). Das Vergnügen ist verflogen. Ferdinand Piech ist mit dem VW-Chef Martin Winterkorn nicht mehr einverstanden. Der dritte Mann - es ist nicht ganz klar - ist entweder der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil ("Ich bin unangenehm überrascht über die zitierten Aussagen von Herrn Piech", wird er zitiert) oder Wolfgang Porsche (der mitteilen ließ: "Die Aussage von Herrn Dr. Piech stellt seine Privatmeinung dar, welche mit der Familie inhaltlich und sachlich nicht abgestimmt ist"). Ja, was ist los bei Volkswagen?

Macht und Missgunst bei dem leitenden Herrn vermutet Thomas Fromm von der Süddeutschen Zeitung. Aber Volkswagen ist eine Aktiengesellschaft mit über 600.000 Beschäftigten (s. meinen Blog vom 19.3.2015) - wie setzt sich, vorausgesetzt es stimmt, die Laune eines leitenden Herrn in einer komplizierten Organisation durch? Die Frage ist naiv. Nicht die Laune ist relevant. Sondern die Gefahr organisatorischer Diffusion, vermute ich: Volkswagen gerät aus den sprichwörtlichen Fugen. Es droht die Anomie.

Journalismus-Lektüre VI: Personalberatung

Journalisten heben hier und da wirklich schwere Steine. Man muss sie für ihren Schneid  bewundern. Leider fallen die Steine auch hier und da auf die Füße. Der Schmerz des Aufschreis verhallt dann irgendwo im Text. Hören wir gut hin. Hubert Wetzel findet heute in seinem Kommentar der Süddeutschen Zeitung (13.4.2015, S. 4, Nr. 84) Hillary Clinton, die ihr Interesse am Amt des U.S.-Präsidenten mitgeteilt hat: bedingt geeignet - so seine Worte. Kann er das beurteilen? Hat er eine intime Kenntnis von den Anforderungen des Amtes? Offenbar. "Doch gerade die Eigenschaften, die Clinton ein Vierteljahrhundert in der Politik haben überleben lassen - ihre Zähigkeit und Wucht als Kämpferin - , wecken zumindest Zweifel daran, ob sie wirklich geeignet ist für das höchste Amt". Beißt sie zuviel und zu stark die Zähne zusammen und rennt und rennt? Schwer zu sagen, was Hubert Wetzel meint.

"Ja, Amerika war brutal zu den Clintons", schreibt er, "aber die Clintons haben Amerika auch viel zugemutet. Doch schuldet das Land deswegen jetzt Hillary Clinton die Präsidentschaft? Man weiß nicht genau, was diese Kandidatur für Clinton eigentlich ist. Rache? Therapie? Heilung?" Junge, Junge macht dieser Personalberater sich Sorgen. Rache, Therapie, Heilung. Alles anständige - unpolitische Motive. Das Amt als Anti-Depressivum. Dieser Personalberater ist mehr als ein Personalberater.

"Aber vielleicht hat Hillary Clinton all das je längst hinter sich gelassen. Wenn ja, wird sie nicht nur die erste Präsidentin der USA werden; sondern dazu auch eine ganz gute": lautet der letzte Absatz. Ordentliche Aussichten. Unbedingt geeignet.

Nachtreten mit voller Hosentasche

Manchmal sieht ein Autor mit seinem Text wie mit einer Hose ausstaffiert aus, deren eine Tasche sich mächtig ausbeult, weil ihr Träger zuviel hineingestopft hat. Willi Winkler hat heute einen Text veröffentlicht, der sich an einer Stelle mächtig ausbeult (Süddeutsche Zeitung vom 13.4.2015, S. 10, Nr. 84). Es geht um den Stellvertreter des Kanzlers Adolf Hitler - um den Vizekanzler mit dem vollen Namen (den ich hier nur abschreibe): Franz Joseph Hermann Michael von Papen, Erbsälzer zu Werl und Neuwerk, von dem Willi Winkler in der Überschrift sagt: "Allzeit gefällig". Und nun die Sätze, die den Text ausbeulen: "Papen hat immer mit großem Geschick gelogen. Dieses Talent gehört möglicherweise zu den Grundfertigkeiten eines Politikers, ihm hat es mehrfach das Leben gerettet und zuletzt noch einen behaglichen Lebensabend verschafft". Lügen-Können als die (möglichenGrundfertigkeiten eines Politikers - das ist ein Ding. Gelbe Karte.