Freitag, 25. September 2015

Neues von der Heiligen Kuh XVIII: sie wird kräftig auf den Markt getrieben

Heute, am 25.9.2015, hat Mercedes-Benz eine Serie jeweils halbseitiger, farbiger Anzeigen (bis auf eine fünftelseitige Annonce) in der Frankfurter Allgemeine Zeitung platzieren lassen:
S.  3: "Auf jedem Berg der Erste. Die G-Klasse". Das Fahrzeug reckt sich wie ein Hirsch auf bekanntem Tableau.
S. 5: "In jedem Abenteuer eine feste Größe. Der GLE". Das Fahrzeug steht auf Moos oder Rasen vor einem See.
S. 10 (fünftelseitig): "Auf jedem Gelände in ihrem Element. Die neuen SUVs von Mercedes-Benz". Drei Wagen stehen auf einer Mooslandschaft; im Hintergrund ein Meer.
S. 13: "In jeder Stadt eine Sehenswürdigkeit. Der neue GLC". Das Fahrzeug steht auf einer Kreuzung in San Franzisko.
S. 17.: "Aus jedem Alltag der Ausweg. Der GLA". Das Fahrzeug steht am Rand einer weiten Küste am - vermutlich - pazifischen Ozean.
S. 21: "In jeder Sekunde ein Statement. Das neue GLE Coupé". Das Fahrzeug steht in Gegenrichtung
auf dem Rand einer zweispurigen, vermutlich kalifornischen Landstraße.
S. 23: "Auf jedem Untergrund der Sieger. 4MATIC". Das Fahrzeug fährt auf die Kurve einer Gebirgsstraße zu - vielleicht in Frankreich, Italien oder Spanien.
2. 25: "Auf jedem Gelände in ihrem Element. Die neuen SUVs von Mercedes-Benz". Alle auf den vorigen Seiten präsentieren Fahrzeuge sind in einer Art Kreis gruppiert - im Hintergrund die Skyline einer Stadt, die aus verschiedenen U.S.-Großstädten collagiert zu sein scheint.
S. 35: "Bereit für eine weitere Premiere?" Ein Fahrzeug der A-Klasse wird vorgestellt. Es soll  in einer (vermutlich) U.S.-Großstadt stehen. Das  Foto ist das letzte Bild der im Studio fotografierten und am Computer generierten Serie.

Subtext I: Wir von Mercedes lassen uns nicht unterkriegen. Wir sind sauber.
Subtext II: Wir müssen zu Hause bleiben. Sie nicht.      

Donnerstag, 24. September 2015

Neues von der Heiligen Kuh XVII: alles halb so schlimm

Martin Winterkorn ist nicht mehr Chef des Volkswagen-Konzerns. Vor zehn Jahren ging Peter Hartz, Personal-Chef von Volkswagen. Er wurde später verurteilt zu einer auf Bewährung ausgesprochenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zu einer Geldstrafe von € 576.000,-. Betriebsräte hatten gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoßen, indem sie ihre Privilegien für ihre Interessen ausbeuteten; Klaus Volkert wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Das fiel mir wieder ein - dank der Unterstützung durch Wikipedia - , als mir die Titel zweier Texte heute in der Frankfurter Allgemeine Zeitung nachgingen: "Tabula Rasa" von Holger Steltzner (S. 1) und "Volkswagen macht Tabula rasa" von cag./cmu (S. 15).

Die Redefigur tabula rasa klingt gut und ist nett. Sie dient der Beschwichtigung. Jetzt räume ich richtig auf, lautet der Vorsatz. Geht das? Kann man in seinem Leben richtig aufräumen ? Man kann die Schreibtischplatte leerfegen - und dem lateinischen Verbum radere folgen. Radere bedeutet: kratzen, schaben, glätten. Im Französischen war la table rase die leere Kupferplatte, dann das unbeschriebene Blatt - buchstäblich und metaphorisch. Faire table rase war dann: alles niederreißen, reinen Tisch machen. Wie geht das in einem Konzern? Was reißt man nieder? Reicht es, die Spitze eines Konzerns auszutauschen? Wie groß ist die Spitze? Wer zählt dazu? So wird ein Konzern individualistisch verstanden: nicht als System, nicht als Kultur, nicht als eine Matrix von Beziehungen, die bestimmt wird von den Idealen, Übereinkünften, Fantasien, Delegationen, Loyalitäten, Verpflichtungen. Die Matrix der Beziehungen (das gesellschaftsdynamische Konzept von Siegfried Heinrich Foulkes) entscheidet. Wer will sie in den Blick nehmen und verändern?  Die Matrix verändert sich in einem langwierigen, schwierigen Prozess redlicher Auseinandersetzungen über die Beziehungskultur. Wer will und kann diese Arbeit leisten?  Was geschah nach 2005 im Volkswagen-Konzern?

Mittwoch, 23. September 2015

Neues von der Heiligen Kuh XVI: eine Industrie zerlegt sich

Wie will Volkswagen den Betrug überleben? Elf Millionen Fahrzeuge sind betroffen, elf Millionen Besitzer müssten entschädigt werden. In den U.S.A. haben Besitzer dieser Diesel-VW begonnen, Sammel-Klagen einzureichen. Volkswagen wird nicht nur mit den betroffenen internationalen Behörden zu tun bekommen, sondern auch mit den Ansprüchen der Kunden. Dafür werden die
gestern vermeldeten knapp sieben Milliarden Euro als Rückstellung nicht ausreichen. Die Strafkosten werden erheblich sein. Der Aktienkurs der Volkswagen-AG befindet sich, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, "im freien Fall"; ihr Wert ist in zwei Tagen um 40 Prozent gesunken. Was ist mit den Anteilseignern von VW-Aktien? Auch sie müssten entschädigt werden. Was ist mit dem Verlust des Ansehens der bundesdeutschen Automobil-Industrie weltweit? Und was wird mit unserer  Abhängigkeit von der Automobil-Industrie? Was wird aus uns? Viele Fragen. Wahrscheinlich klingt diese Vermutung seltsam: durch den Tsunami eines Betrugs erschüttert, bekommen wir die Quittung unserer Versäumnisse und unserer Geschichte vorgelegt - der stolze Exportweltmeister wird fortan kleine Brötchen backen müssen. Am besten fangen wir mit der Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen an.  

Dienstag, 22. September 2015

Journalismus-Lektüre VIII : Klischee-Zauber

Die Federal Reserve Bank der Vereinigten Staaten bleibt bei ihrer Geldpolitik und verändert nicht die Leitzinsen. Winand von Petersdorff von der Frankfurter Allgemeine Zeitung (Samstag, 19.9.2015, S. 17) kommentiert diese Entscheidung mit einem Text, der den Titel trägt: "Yellens Angst". Im Text finden sich diese beiden Sätze: "Janet Yellen ist die Frau, die sich nicht traut. Sie findet in der wilden Welt da draußen immer gute Gründe, nichts zu tun". Der erste Satz paraphrasiert den Titels des Films mit Julia Roberts. Der zweite Satz kommt ganz schön von oben herab: ... in der wilden Welt da draußen. 

Eine gravierende politische Entscheidung, die die Geldmärkte bewegt - das weiß Winand von Petersdorff auch - , macht er zum Produkt einer Marotte. Gerede im  Kontext eines Kommentars. Das Konzept des Affekts Angst wird planiert. So wird ein monströses Bild der Wirtschaftswissenschaftlerin lanciert. Seltsam, dass solche Sätze die Endkontrolle einer ehrgeizigen Redaktion passieren.

Neues von der Heiligen Kuh XV: sie irrt herum und weiß nicht, wohin

Vor ein paar Tagen blendeten noch der Glanz des Lacks und der Glamour der mächtigen Herren. Manche gaben sich elektrisiert: der Fortschritt! Der Fortschritt?  Vorgestern kehrte eine mächtige Ernüchterung ein. Der Chef von VW, Martin Winterkorn, bedauerte den Vertrauensverlust. "Es tut mir unendlich leid", sagte er heute, am 22.9.2015. Die verbalen Tränen des Leid-Tuns sind zu wenig. Das Wort Betrug ging ihm nicht über die Lippen -  die leitenden Damen und Herren von Volkswagen ließen für einen sauberen Dieselmotor in Nordamerika werben und wussten, dass er nicht sauber ist. Die U.S.-Ermittlungsbehörden werden schnell ein Wort gefunden haben. In der Washington Post und der New York Times kann man jetzt nachlesen, dass seit Mai 2014 die Diesel-Fahrzeuge von VW moniert wurden. Am 2.12.2014 versprach VW der U.S.-Behörde, eine Lösung gefunden zu haben.

Dieser Millionen-fache, Milliarden-schwere, systematische, strafrechtlich und zivilrechtlich gravierende Betrug hat enorme Ausmaße. Man muss sich kneifen. Es ist nicht zu fassen. Ein Konzern zerlegt sich. Dieser Betrug hat viele Lesarten. Er sagt viel über die Leitung dieses Konzerns. Ob Ferdinand Piech dies gemeint hatte? Was man heute sagen kann: wir  wurden neulich bei den Neuigkeiten aus Wolfsburg abgespeist und wir ließen uns abspeisen mit dem Narrativ einer soap opera:  Machtkampf in der Familie - Sohn stinkt gegen Vater an und gewinnt! (s. meinen Blog vom 14.4.2015). Es läuft etwas anderes Vertrautes: wir ahnen die Umrisse einiger leitender deutscher Herren in der bekannten Kaltschnäuzigkeit und reuelosen Rührseligkeit. Wir sehen: die Versäumnisse unserer Presse, die die mächtigen Herrschaften unzureichend konfrontierte.

Wir sehen eine Industrie in Not. Die Firmen Apple und Google sind künftige Konkurrenten am Markt. Die westdeutsche automobile Hochrüstung mit ihren eindrucksvollen Leistungsdaten - begonnen in den 70er Jahren, als nur ein paar Typen schneller als 200 km/h fahren konnten - stößt an ihre Grenzen. Verbrennungsmotoren sind Energie-Verschwender und Klima-Schädiger. Das Bolzen mit Pferdestärken und Drehmomenten ist old-fashioned. Wer will einen Riesen-Schlitten mit gutem Gewissen durch die Gegend bewegen? Die Antwort unserer Autoindustrie: wir machen ein digitalisiertes Wohnzimmer draus, das von einem System von Sensoren und Rechnern bewegt wird. Eine treuherzige Schnapsidee zur Verkehrssicherheit: ob das System das leistet, ist die Frage; die notwendige Infrastruktur könnte die Automobilindustrie nicht aufbringen. Die Antwort unserer Regierung könnte sein: wir investieren jetzt mächtig und nachhaltig in  den öffentlichen Verkehr und begrenzen die Verschwendungsbewegungen. Und was ist mit dem Elektroauto? Es ist das Vehikel zur Beruhigung des schlechten Gewissens. Es fährt mit dem Aufkleber: wir tun was. Es ist nicht schlecht für den, der auf dem Dach seinen eigenen Strom produziert, eine große Steckdose hat, keine großen Bewegungen damit unternimmt und noch ein Auto mit dem Verbrennungsmotor für die großen Entfernungen in der Garage stehen hat. Es ist das  Mittel unserer Industrie, die Verbrauchswerte der großen Schlitten mit den Verbrauchswerten der leise summenden Fahrzeuge zu verrechnen - so soll alles beim alten bleiben und die Kennwerte erfüllt werden. Ein Betrug der anderen Art. Wer sollte eigentlich  die Infrastruktur unzähliger, besonders leistungsfähiger Steckdosen (Stückpreis: € 1.000,00)  bezahlen? Und wer den Strom für diese Steckdosen liefern? Und wie? Die Autoindustrie rechnete mit einer wohlwollenden, blauäugigen Regierung. Sie schuf die Fakten einer vermeintlichen Nachfrage und versprach das saubere Auto. Das wissen wir nun endgültig: gibt es nicht.  Die Politik gegenseitig geteilter Illusionen ist zu Ende. Der Kater kommt.


(Überarbeitung: 25.9.2015)

Mittwoch, 16. September 2015

Die Technik des Drohens mit dem Gekränktsein: "... dann ist das nicht mein Land"

Gestern, am 15.9.2015, sagte unsere Bundeskanzlerin diesen erstaunlichen Satz:
"Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land".

Ein Satz ist natürlich mit vielen Kontexten unterfüttert. Ein Satz ist eine schmale empirische Basis. Deshalb ist Vorsicht beim Auslegen angebracht. Es ist unklar, wann dieser Satz erfunden wurde: vor oder in der Pressekonferenz. Er klingt vertraut: er transportiert den Affekt des Gekränktseins. Er deutet die Überlastung und die Enttäuschung der Sprecherin an. Im Alltagskontext könnte man den Subtext so übersetzen: wenn mir das nicht zugestanden wird, schmeiße ich die Brocken hin. Eine Drohung wird kommuniziert.

Die Adressaten des Satzes wurden nicht angesprochen. Im Kontext der Pressekonferenz waren das: die Kolleginnen und Kollegen der  EU-Länder, die sich der bundesdeutschen und der österreichischen Politik nicht anschließen. Man kann vermuten, dass auch Kolleginnen und Kollegen der eigenen Gruppierungen gemeint waren. Dann ist das nicht mein Land. Ist er ein für den Status und für die Verpflichtung der Bundeskanzlerin, die geschworen hat, das Wohl des deutschen Volkes im Blick zu halten, angemessener Satz?  Man müsste sie fragen können. Man müsste sie auch fragen, ob sie die Kommunikation des Affekts der Gekränktheit für ein relevantes Argument hält. Die Kommunikation der Gekränktheit hat ihren Platz innerhalb der familiären vier Wände als Andeutung einer Überlastung und Enttäuschung; in den  demokratischen Foren, wo der Streit um die Auffassungen die Regel ist und wo die familiären Beziehungs-Techniken nichts zu suchen haben, nicht. Weiß die Bundeskanzlerin, dass sie Gefahr läuft, ihr Amt misszuverstehen? Deshalb wüsste ich gern, ob und inwieweit diese Politik mit dem vertrauten Affekt kalkuliert ist; sie wirkt so natürlich - echt. Aber was im öffentlichen Forum natürlich wirkt, ist häufig inszeniert und hat mit vernünftiger Politik wenig zu tun.

Dienstag, 15. September 2015

Die Rhetorik der Überraschung

"Merkels Kehrtwenden", überschrieb Holger Steltzner heute in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (15.9.2015, Nr. 214, S. 15) seinen Kommentar zur Politik der Bundesregierung. "Möglicherweise", räumte er ein, "stimmt das von den Medien so gern gezeichnete Bild einer stets rational kalkulierenden Physikerin gar nicht (immer). Schon einmal vollzog Merkel eine überraschende Kehrtwende. Auch vor der Energiewende sorgten Fernsehbilder in Japan für überschießende Emotionen in der deutschen Bevölkerung".

Was ist an der "Kehrtwende" - überraschend? Gar nichts. Wohl ist sie seltsam. Die jetzige Großzügigkeit der Bundesregierung ist Ausdruck ihrer an dem Macht-Erhalt orientierten Politik der Planlosigkeit und Hast. Ihr Yes, we make it (Wir schaffen es) ist die großspurige Paraphrase des Obamaschen Yes, we can. Das Können ist ein vorsichtig-kraftvoller Appell, das Schaffen die vertraute rührselige Umarmung. Der überraschte Journalist hat sich offenbar einlullen lassen. Erstaunlich ist seine Nachsicht. Sein Geschäft besteht doch darin, regelmäßig und systematisch zu prüfen, ob unsere Regierung ihre Hausaufgaben macht.

Auf derselben Seite, neben dem Kommentar, findet sich der Text mit dem Titel: "Die Energiewende wird wieder etwas teurer". Noch eine Überraschheit. Wenn man die Vokabeln unserer Bundesregierung perpetuiert (Beispiel: Energiewende), muss man sich nicht wundern, wenn man den Kopf verliert. Etwas teurer ist ein inflationärer Komparativ. Es ist abzusehen, dass er noch mehrfach gesteigert werden muss. Die Kosten kann keiner abschätzen. Sie werden enorm sein. Das war in den 70er Jahren schon bekannt. Damals wurde - leider ist mir die Erfinderin oder der Erfinder nicht so schnell zugänglich - die geplante Praxis der atomaren Energie-Erzeugung mit dem Bild eines Flugzeugs verglichen, das mit der vagen Hoffnung startet, dass während des Flugs eine Landebahn gebaut werden kann. Seitdem haben unsere Regierungen das Projekt des Baus einer Landebahn vor sich her geschoben. Jetzt soll sie ganz schnell gebaut werden. Wieso soll es jetzt schnell gehen?

Kann man Fairplay in der Fußball-Bundesliga erwarten?

Der Augsburger Abwehrspieler Callsen-Bracker sagt: nein.

Callsen-Brackers Kommentar zu der Elfmeter-Entscheidung, die der Schiedsrichter Knut Kircher nach dem Spiel bedauerte: "Thomas Müller wäre der Star gewesen, wenn er Fairplay gespielt und rübergeschossen hätte. Aber das kann man, glaube ich, nicht erwarten" (Quelle: F.A.Z. vom 14.9.2015, S. 27).

Ich finde: man kann.