Donnerstag, 28. Januar 2016

Ein Worte-Fund

Zwei Worte fielen mir in dem Text von Majid Sattar An der Seite der Kanzlerin. Warum die SPD in einer Schwächephase Merkels zur Loyalität in der Flüchtlingspolitik verdammt ist (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.1.2016, S. 8, Nr. 23) auf: Präsidialstil der Kanzlerin und asymmetrische Demobilisierung. Leider werden beide Begriffe nicht erläutert. Der Präsidialstil der Kanzlerin: wie sieht der aus? Wie sehen die Beziehungen und Interaktionen der  Chefin und der Regierungsmitglieder aus? Da weiß die Journalistin mehr, als sie sagt. Schade, dass sie nicht mehr sagt.

Was ist mit der asymmetrische Demobilisierung? Den Sinn dieses Begriff muss ich aus dem Text erschließen. Normalerweise wird eine militärische Einheit demobilisiert. Hier sind offenbar die schwierigen Versuche gemeint, fremde und eigene Kritik an der Bundeskanzlerin (der C.S.U. -  zuletzt deren Drohung einer Verfassungsklage; Torsten Albigs Vorschlag, keinen Kanzler-Kandidaten auszustellen - s. meinen Blog vom 29.7.2015) für die Öffentlichkeit auszubalancieren - zu demobilisieren. Einig muss man sein, keine Angriffsfläche bieten -  sonst wird man schief angesehen und als schwach eingeschätzt: ist das das politische Konzept? Die blütenweiße Weste ist offenbar noch immer das einzige, für die öffentliche Diskussion präsentabel gehaltene Kleidungsstück. Dabei bevorzugen die Wählerinnen und Wähler inzwischen längst bequeme Kleidung.

Dienstag, 26. Januar 2016

Journalistische Kopflosigkeit

Einen klaren Gedanken zu fassen, fand schon Fjodor Michailowitsch Dostojewski schwer. Jürgen Habermas hat mit seinem Wort von der neuen Unübersichtlichkeit die Beunruhigten vorläufig beruhigt; mehr nicht: ein nüchterner Befund war das nicht. Jetzt haben wir die Flüchtlingskrise, die eine Regierungskrise ist. Unsere Regierung fürchtet sich vor der Demokratie. Sie fürchtet die Differenzen; sie fürchtet den Streit; sie fürchtet die schlechte Presse; sie fürchtet sich vor schlechten Wahl-Ausgängen; sie fürchtet sich vor dem internationalen Ansehen; sie fürchtet sich vor unserer Geschichte. Sie hat die Übersicht verloren.

In einer Demokratie ist das ja nicht so schlimm: wir haben unseren institutionalisierten Rahmen, an dem wird nicht gerüttelt - nur ein bisschen: wenn die Kanzlerin die Vertreter des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts zum Abendessen einlädt; ich gehe davon aus, dass die Eingeladenen wissen, was sie tun und bei einer solchen Einladung tun müssen - ; wir haben unsere Institutionen und Institute; wir haben Wahlen: bei nächsten Mal wird diese Regierung eben nach Hause geschickt.

Was ist daran so schlimm?

Oh je : wer kommt dann? lautet die gängige, kursierende Befürchtung. Die AfD!  Und damit die mit ihr imagnierte Wiederkehr (in welcher Form?) unserer nationalsozialistischen braunen und mörderischen Geschichte, die  dieser demokratisch legitimierten Partei angehängt wird. Sie ist noch immer nicht ablegt - sprich: bewältigt. Wie auch? Sie sitzt uns (genauer lässt es sich nicht sagen) noch immer im Nacken. Was sind meine Belege?

1. Die öffentliche, unablässige Dauer-Beschäftigung mit der Regierungskrise, die in den Bildern der so genannten Flüchtlinge vor uns vorbeizieht - am Morgen beim Frühstück, wenn ich die Zeitung aufschlage, am Abend, wenn die Tagesthemen ihre Dosen an Beunruhigung und Hilflosigkeit versenden: hält die Regierung die Regierung? Hält sie nicht? Wie geht es Angela Merkel?

2. Als ein Beispiel: der Kommentar von Jasper von Altenbockum - Titel: Die Zeit der Kanzlerin (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.1.2016, S.1). Ein kopfloser Text. Er macht sich Sorgen um die Kanzlerin. Natürlich kann man sich Sorgen machen über das von ihrer Mannschaft angezettelte Durcheinander, ein Land, nicht ausgerüstet und nicht vorbereitet, zu überfordern, womit die Kanzlerin ihren Amtseid systematisch verletzt - nach meinem Rechtsgefühl. Es geht doch schlicht darum, zu sagen: so geht es nicht. Aber dieser Satz ist Tabu. Er könnte der CDU und der SDP schaden - weil, ja wieso?, weil -  die Folgen schrecklich wären. Japser von Altenbockum lässt mit seinem letzten Satz die sprichwörtliche Katze aus dem Sack : "Sie" - die sozialdemokratische Partei Deutschlands - "will nicht wahrhaben, dass sie damit dazu beiträgt, was Köckner zu verhindern sucht - zum Riesenerfolg der AfD".

Ist es das? Der befürchtete (schreckliche) Riesenerfolg der AfD? Ist die Antwort so einfach? Dass die Bundesregierung aus Furcht in einen überkompensierenden Anfall der Großzügigkeit verfiel, nicht mehr nachdachte, sich über das Parlament hinwegsetzte, den öffentlichen Diskurs ignorierte, die geltenden Gesetze und Regeln missachtete,  sich mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Länder nicht absprach und einfach das Steuer herumriss? Der Riesenerfolg der AfD wäre der Machtverlust der regierenden Parteien. Was ist daran so schlimm? Wird deren Vorsitzende die neue Kanzlerin? Man muss daran erinnern: die Machtergreifung war keine Macht-Ergreifung - Adolf Hitler wurde hinter den Kulissen ins Amt geschoben; seine Partei hatte vor dem 31.1.1933 keine Mehrheit. Wir wählen unsere Regierung (auf Umwegen).  Der Wechsel der Regierungen ist der Normalfall der Demokratie. Dass die eigene, favorisierte Partei nicht gewählt wird, muss man ertragen. In einer Demokratie werden (leider) viele andere Ideen als die eigene geteilt.  Dieser Gedanke ist noch kein bundesdeutscher Konsensus. Der Aufschrei damals, 1969, als die konservative Regierung abgelöst wurde, war anders -  aber ähnlich.

Das Problem ist: dass der Journalist der Frankfurter Allgemeine Zeitung auch seinen Kopf verliert. Er muss nur laut genug sagen: es geht nicht -  und damit unsere Regierung konfrontieren. Die Ängstlichkeit der Parteien zu verfolgen ist so wichtig nicht. Sie wurden gewählt, einen klaren Kopf zu behalten, nicht, um sich ständig Sorgen zu machen, wie sie wieder gewählt werden können. Und ein  Journalist ist dazu da, mit klaren Gedanken auf einer ordentlichen Politik  zu bestehen. Vor einem Auswechseln sollte er sich nicht fürchten.

(Überarbeitung: 29.1.2016)  

Mittwoch, 6. Januar 2016

Bundesdeutsche Unterrichtsstunden im Fach Schuld-Eingeständnis

Seit vorgestern liegt die (zivilrechtliche) Anklageschrift der "U.S.A. vs. VW of America" und weiterer VW-Gruppierungen dem Gericht des Eastern District of Michigan vor. Dem Konzern werden die schweren Betruge, die Verletzungen der Abgas-Gesetze und die, wie es dort heißt, continuing obstruction der Klärung vorgehalten.

1. Seit dem Mai 2014 fragten die U.S.-Behörden in Wolfsburg nach. Die Frage ist, auf welchen  Schreibtischen in Wolfsburg die Anfragen kursierten und abgelegt wurden. Im Frühjahr des vergangenen Jahres gab es in Wolfsburg den als soap opera in der Presse kursierenden Machtkampf (siehe meinen Blog vom 14.4.2015) um die Leitung des Konzerns. Jetzt kann man wohl eins und eins zusammenzählen: es ging um die Frage des Umgangs mit den Anfragen der U.S.-Behörden und um den Umgang mit dem systematischen Betrug. Martin Winterkorn wurde bestätigt und erhielt im September des vergangenen Jahres seinen mehrjährigen Vertrag.

Weitere Fragen folgen:
1. Wenn  die Leitungs- und Kontrollgremien des Konzerns davon wussten - wovon man ausgehen muss - , wieso wurde Martin Winterkorn bestätigt?
2. Welchen Plan oder welche Idee hatten die Gremien mit dem Umgang der Anfragen und mit der Klärung des Bertrugs?
3. Wo - in welcher Welt, in welchen Fantasien - bewegten sich die Gremien, als sie zustimmten?

Die Fragen lassen diese Vermutungen zu:
1.   Die Gremien pflegten eine Art von Realitätsverlust.
2.   Sie unterschätzten das U.S.-Recht. Betrug wird in den Vereinigten Staaten schwer geahndet.
3.   Sie verachteten das U.S.-Recht.
4.   Sie fühlten sich im Recht: das Geschäft ging vor.
5.   Sie fühlten sich sicher.
6.   Sie kannten die bundesdeutsche Geschichte des zähen Aufklärens nationalsozialistischer Kooperation gut - man kann dabei in Jahrzehnten rechnen.
7.   Sie pfiffen auf demokratische Standards.
8.   Sie pfiffen auf die Sorgen um die Katastrophe des Klimawandels.
9.   Sie pfiffen  auf die Not der betroffenen Menschen.
10. Sie pfiffen auf die Not der Mitarbeiter und auf die Verluste der Anleger.
11. Sie pfiffen auf den Status der bundesdeutschen Demokratie.
12. Sie piffen auf den Status ihrer Industrie.

2. Weshalb werden die Repräsentanten aus Wolfsburg nicht angemessen in unserer Öffentlichkeit konfrontiert? Lese ich heute (6.1.2016) in der Frankfurter Allgemeine Zeitung,  fällt mir ein vertrautes Herumdrucksen und ein seltsames Einverständnis auf. "Washington  wirft VW fehlende Kooperation vor" heißt es dort heute auf der ersten Seite. Der Satz ist korrekt. Aber wo ist der Affekt? Die Empörung, dass die Repräsentanten von Wolfsburg versprachen, alles  (alles!) für die Aufklärung zu tun. Die Empörung über einen weiteren ausgedehnten Betrug uns gegenüber ? "Washington" mahnt den Betrug an. Wo ist die Redaktion der Frankfurter Allgemeine Zeitung? Sie hat, kann man vermuten, auch das Geschäft ihres Verlags im Blick: eine doppelseitige Anzeige dürfte einen sechsstelligen Euro-Betrag kosten. Die letzten Tage hat VW viel und großflächig geworben.

Auf  Seite 15 der Zeitung ist ein weiterer Text dazu zu lesen. Titel: "Für VW schlägt die Stunde der Wahrheit. Die Klage des Justiministeriums in Amerika trifft Vorstandschef Matthias Müller kurz vor seiner Reise zur Autoschau in Detroit". Wie liest sich das?
Der arme Mann  aus Wolfsburg. Wieso schlägt ihm in Detroit die Stunde der Wahrheit - und nicht:
bei uns -  hier?

Der arme Mann aus Wolfsburg hat übrigens der Öffentlichkeit mitgeteilt, er werde nicht auf die Knie fallen. Den trotzigen Tonfall kennen wir - er ist so alt wie die Bundesrepublik: der Siegerjustiz beugt man sich nicht. Der Kreis schließt sich: die Verachtung der Leistung der Vereinigten Staaten für unsere Republik ist weiterhin gegenwärtig. Wird Matthias Müller eine Schuld eingestehen?


(überarbeitung: 11.1.2016)