Dienstag, 26. Juli 2016

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXX: Klischee-Produktion

Zwei Beispiele (beim Frühstücken) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gefunden (27.7.2016):

1. Trivialisierung psychiatrischer Diagnosen.
"Wie krank war Ali Daid S.?", fragt Karin Truscheit in ihrem Text "Nicht nur depressiv" (S. 7).
Eine depressive Erkrankung, fasst sie ihre psychiatrische Erkundigung (bei einem psychiatrischen Fachmann) zusammen, komme für die Mord-Handlungen eher nicht in Frage: die Handlungsbereitschaft sei stark reduziert. Die narzisstische Störung erscheint da plausibel: als das Bild (ich fasse zusammen) einer exzessiv egozentrischen Persönlichkeit. So wird diese Diagnose zu einem Schreckensbild und fügt sich in den Kontext: dass psychiatrische Diagnosen Gefahr laufen, negative Konnotationen (Verachtung, Abwertung, Ekel) zu transportieren und sich darauf einzustimmen, aber das gravierende Leid dieser Erkrankung ausblenden. Zudem tragen psychiatrische Diagnosen zur Erklärung mörderischer Gewalttätigkeit nicht bei; sie sind Symptom-Auflistungen, bestenfalls einigermaßen präzise Beschreibungen, die mit angemessenen Rekonstruktionen der lebensgeschichtlichen Kontexte zum Verständnis gebracht werden müssen.  Das ist in der psychiatrischen Praxis mühsam, weil sehr zeitaufwändig. Anders als Karin Truscheit behauptet, codiert das Klassifikationssystem des von der WHO herausgegebenen ICD 10 (International Classification of Diseases) sehr wohl die narzisstische Persönlichkeitsstörung: unter der Nummer F 60.8 für  sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen. Die Kategorie des Sonstigen wird ungern in der psychiatrischen Praxis verwandt, weshalb (hier und da: je nach der Politik klinischer Praxis) davon abgeraten wird, sie zu benutzen - sie existiert aber und kann in dem Diagnosen-Büchlein im Register nachgeschlagen werden.

2. Behauptete Kausalität.
"Wie nah stand Mohammed D., der Täter von Ansbach, dem 'Islamischen Staat?", fragt Eckart Lohse in seinem Text "Eine Heiratsurkunde aus Syrien und Material für noch eine Bombe" (S. 2). Eckart Lohse trägt die Ermittlungen ordentlich zusammen. Das Verwaltungsgericht Ansbach hatte der Ablehnung des Asylantrags zugestimmt, die Anordnung der Abschiebung ausgesetzt. Mohammed D. wurde aufgefordert, sich im März zu melden. Am 13. 7. wurde ihm seine Abschiebung mitgeteilt. Eckart Lohse schreibt: "Er hätte einen Monat Zeit gehabt, Widerspruch einzulegen. Das tat er nicht. Stattdessen baute er eine Bombe". Stattdessen: war das so? Woher weiß er das? Er weiß es nicht. Aber mit der behaupteten Kausalität lässt sich der Text gut beenden und ein Verständnis einschmuggeln.

  

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