Freitag, 30. September 2016

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXVIII: der Preis der Aufgeregtheit

Heute Morgen las ich Nina Rehfelds Text zu den Reaktionen auf die TV-Konfrontation von Hilary Clinton und Donald Trump am Anfang dieser Woche, die in verschiedenen Internet-Foren sich ausbreiteten (F.A.Z. vom 30.9.2016, S. 19, Nr. 229). Ich las den Text dreimal - um meine Irritation zu sortieren. Nina Rehfeld berichtet vom Triumph-Getöse mancher Foren, in denen der Sieger Donald Trump gefeiert wird - während die bekannten, großen Print-Medien das Gegenteil sagen. Ihren Text überschrieb sie mit: "Interessiert sich noch jemand für die Wahrheit? Virus des Absurden: Im Internet wird Donald Trump als Sieger des TV-Duells zur Präsidentschaftswahl ausgegeben". Mich irritierten die - sozialwissenschaftlich unmöglichen - Allaussagen. Hier ist es Nina Rehfelds Behauptung: "im Internet". Das ist unrichtig. Im Internet kann man natürlich andere Auffassungen lesen - dort existiert eine unübersehbare Vielfalt. So gerät das Internet in Verruf.

Sie schreibt: "Im Internet macht man sich die Welt eben so, wie sie einem gefällt. Behaupten kann hier jeder irgendetwas, und ohne Daten, Fakten und die Trennung von Bericht und Kommentar, wie sie von den Traditionsmedien gepflegt wird, beherrscht reine Stimmungsmache die Szene". Ist das so? Gibt es nur die egozentrischen Sichtweisen? Nein. Und was ist mit den Traditionsmedien? Das, was sie behauptet -  die journalistische Praxis des solide geprüften und sorgfältig geschriebenen Texts - , kann man nur am Einzelfall, gewissermaßen Text für Text überprüfen. Die reine  Stimmungsmache, die Nina Rehfeld moniert,  betreibt sie auch -  indem sie die Abstimmungsergebnisse aus den einzelnen Internet-Foren für repräsentativ für das ganze Internet erklärt, womit das Interesse an der Wahrheit bedroht sei.

Mein Beleg sind ihre letzten beiden Sätze:

"Das negative Potential des Internets und insbesondere der 'sozialen' Netzwerke schlägt durch. Das Anerkennungssystem, die Likes und Retweets, die Präferenz für vermeintlich Unterhaltendes, der schiere Siegesjubel und die Anfeindungen der Medien ersetzen den von der freien Presse betriebenen demokratischen Diskurs, der nicht ad personam, sondern zur Sache geht".

Vier Anmerkungen dazu. 1. Die Verben durchschlagen und ersetzen behaupten eine Wirkung, die frühestens nach der Wahl untersucht werden kann; im Ton des Textes möchte ich sagen: noch ist nichts verloren. 2. es ist undemokratisch, (vielleicht: für den eigenen Geschmack) krude Kommunikationen als die Bedrohung des öffentlichen Diskurses zu disqualifizieren - sie gehören dazu und müssen  verstanden werden, dann kann man weiter sehen (s. meine Blogs vom 18.12 und 25.12.2014 sowie vom 27.2.2015). 3. die Internet-Foren erweitern den öffentlichen Diskurs und relativieren den Status der traditionellen Medien; möglicherweise bedroht diese expansive Bewegung dieses oder jenes Printmedium dramatisch. 4. bleibt die Frage, weshalb und an wen Nina Rehfeld ihren Text der Beunruhigung mit der Frage eines Stoßseufzers adressiert hat: "Interessiert sich noch jemand für die Wahrheit?" Na doch ihre Leserschaft, die die Zeitung aus Frankfurt abonniert hat oder kauft. Ist sie nicht groß genug?
 

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