Samstag, 1. Oktober 2016

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXIX : Freundliche Ungenauigkeiten

Drei heutige Schlagzeilen zur Deutschen Bank.
1. "Börsen wetten gegen die Deutsche Bank" (F.A.Z. vom 1.10.2016, S. 1)
2. "Der Irrtum der Deutschen Bank"  (F.A.Z. vom 1.10.2016, S. 1)
3. "Sturm über der Deutschen Bank" (Süddeutsche Zeitung  vom 1.10.2016, S. 1).

Ad 1. Die Börsen können nicht wetten; sie sind keine Subjekte. Die Akteure Geld-verschiebender Firmen, Hedge Fonds genannt, ziehen ihre Anlagen aus der Deutschen Bank ab. Ist doch klar: wenn das Geld schmilzt, versuche ich es zu retten - vielleicht mit der Idee, den Kurs einer Bank damit zu drücken, um später wieder preiswert einsteigen und den Kursgewinn kassieren zu können. Aber der Kursverfall steht offenbar im Kontext der allmählich sich (in der Öffentlichkeit) konturienden Entdeckung der enormen Betrüge und der Korruption der Deutschen Bank. Was ist der Subtext der Schlagzeile? Eine Auslegung: die Deutsche Bank wird schlecht behandelt.

Ad  2. Holger Steltzner ist der Autor des Kommentars mit dem Titel vom Irrtum. Er beschreibt den Sachverhalt schnörkellos: "Wegen Betrug, Manipulation und Geldwäsche drohen Strafen in Milliardenhöhe". Nichts auszusetzen. Bis auf die Schlagzeile. Was ist der Irrtum der Deutschen Bank? Dass sie im Finanzgeschäft zu den größten Instituten der Welt gehören wollte, sagt Holger Steltzner. Dafür waren kriminelle Mittel recht. Ist das ein Irrtum ? Nein, das kriminelle Kalkül ging nicht auf. Das Gefühl, sich sicher zu wähnen, erwies sich als Moral- und Realitätsverlust.

Ad 3. Der "Sturm über der Deutschen Bank" variiert den Titel des Otto Preminger-Films von 1962: Sturm über Washington (Advise and Consent; U.S.A. 1962). Den Sturm erläutert die Redaktion der  Süddeutschen Zeitung mit der kleiner gesetzten Schlagzeile: "Mächtige Hedgefonds haben dem größten Geldinstitut des Landes stark zugesetzt". Immerhin: die Akteure sind - ungefähr - benannt. Der Sturm ist kein Wetterumschwung.

Volkswagen und die Deutsche Bank: der bundesdeutsche Lack blättert hier und da ab, könnte man sagen. Was sehen wir? Mir fällt Walter Boehlichs Fazit der Ernüchterung und Enttäuschung aus der Mitte der 80er Jahre ein - das er in einer Talkshow der ARD traf -: die verkommene Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist, so verstand ich damals Walter Boehlich, der Makel der unzureichend abgerechneneten Schuldkonten. Vielleicht hat sie beigetragen,  die Kultur einer unsicheren demokratischen Moral zu etablieren. Bleibt die Frage, wie in einer Organisation, einer Firma, einer Gruppierung eine Kultur von Korruption entsteht und sich ausbreitet.

(Überarbeitung: 5.10.2016) 

  

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