Freitag, 14. Oktober 2016

Sachsen! Sachsen? Sachsen! Etwas zur Unbarmherzigkeit der öffentlichen Diskussion

Gestern in den Tagesthemen (am 14.10.2016): die Empörung der Redaktion, die Pina Atalay zu präsentieren hatte, war groß. Der Text der Empörung: wie kann man so dämlich sein. Alles war bekannt, so lautete die Lesart: Jaber Albakr, der junge Mann aus Syrien, der begründet verdächtigt wurde, einen Mord-Versuch vorzubereiten, und deswegen in Untersuchungshaft genommen worden war,  galt als Selbstmordattentäter, weswegen er hoch gefährdet war, sich zu suizidieren. Was einfach klingt, ist noch lange nicht einfach.

1. Nach dem, was in der Öffentlichkeit bekannt wurde, wissen wir nicht, wie Jaber Albakr den Mord-Versuch zu realisieren beabsichtigte.

2. Wir wissen nicht, mit wem er in Kontakt stand und wer ihn unterstützte.

3. Wir wissen nicht, ob er den Mord-Versuch unternommen hätte.

4. Eine Selbstmord-Entscheidung ist keine Kaufentscheidung - sie fluktuiert, je nach Lebenskontext; sie wird fantasiert, aufgegeben, aufgenommen, aufgegeben, aufgeschoben, aufgenommen ... es ist ein verzweifelter, dramatischer Lebenskonflikt, zu dem sich jemand erst im Kontext ihrer definitiven, irreversiblen Realisierung entscheidet. Weshalb es äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich ist, eine Selbstmord-Absicht hinsichtlich der Stärke ihres Impulses zur definitiven Realisierung abzuschätzen.

5. Wir wissen nicht, ob er kooperiert hätte.

 6. Nachdem, was ich aufgenommen habe (Quellen: Tagesthemen und Frankfurter Allgemeine Zeitung, die heute - 14.10.2016, S. 1 und S. 3 -  für Verständnis wirbt),  habe ich den Eindruck, dass die sächsischen Behörden allein gelassen wurden. Vielleicht, aber das müsste angemessen geklärt werden, waren sie überfordert. Vor allem forensische Abteilungen in den psychiatrischen Kliniken haben viel Erfahrung mit dem Problem der vermuteten Selbstmord-Absicht psychisch kranker Straftäter. Ob daran gedacht wurde, Jaber Albakr in eine forensische Abteilung zu verlegen, weiß ich nicht; ihr gesetzlicher Auftrag widerspricht allerdings der Aufnahme eines Beschuldigten in U-Haft.  JVAs in anderen Bundesländern sollten über ähnliche Erfahrungen und ausreichende Kontroll-Möglichkeiten verfügen. Sollte die Vermutung der Überforderung zutreffen, müsste geklärt werden, weshalb sie nicht von den übrigen Verantwortlichen wahrgenommen wurde.  

7. Die Empörung hat unbarmherzigen Charakter. Sie besitzt offenbar keine Sachkenntnis. Sie unterschlägt den Gedanken der Kooperation.

8. Bleibt die Frage zur Bedeutung des öffentlich kursierenden Affekts der Empörung. Das Vergnügen an der Empörung beutet die öffentliche Diskussion aus. Ob die Empörung Ausdruck einer
verbreiteten, geteilten Angst-Bereitschaft ist, müsste untersucht werden.

(Überarbeitung: 17.10.2016)
  

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