Montag, 31. Oktober 2016

Ist die öffentliche Diskussion bei Donald Trump mit ihrem Latein am Ende?

Nein.
Obgleich die Washington Post heute (31.10.2016) den Kommentar von Paul Waldman ins Netz stellt - sein Titel: Trump's history of corruption is mind-boggling. So why is Clinton supposedly the corrupt one? Paul Waldman wundert sich sehr: Hillary Clintons Vergehen - strafrechtlich ungeklärt -  wird im Detail recherchiert und ausgebreitet; Donald Trumps Liste strafrechtlicher Vergehen ist unglaublich lang - und wann immer eins ans Tageslicht kommt, verschwindet das öffentliche Interesse an Klärung schnell und leise. Wieso?

Ja, wieso? Dessen Liste ist enorm lang. Renommierte Zeitungen und Zeitschriften der Vereinigten Staaten beziehen Stellung gegen den Präsidentschaftskandidaten. Psychiater erörtern Diagnosen der Persönlichkeitsstörung von Donald Trump. Der Autor eines Donald Trump idolisierenden Buches bedauert seine Autorenschaft; in der Zeitschrift The New Yorker bereute er seine Anstrengung eines salonfähigen Make-ups für diesen Mann. Republikanische Politikerinnen und Politiker beziehen ebenfalls Stellung und raten ab, ihn zu wählen; manche ziehen allerdings ihr Votum zurück und machen eine Kehrtwende. Erstaunlich.


Ist das erstaunlich? Wie soll das enden? raufte sich heute Morgen der Kommentator der Zeitung für die klugen Köpfe (21.10.2016, S. 8) den Kopf. Hier ein paar Gedanken gegen die Ratlosigkeit.

1. Die öffentliche Diskussion erreicht nicht die kursierenden Affekte, die das Vergnügen an der Entdifferenzierung ausmachen: das gestattete Besoffensein ohne besoffen zu sein; statt Sprechen: Grölen; statt Argumente: das zweifelsfreie Behaupten der eigenen Wahrheit; statt Dialog: Monolog; statt Erörterung: die endlose, repetive Klage über die Ungerechtigkeit der Lebensverhältnisse und das an einem verübte Unrecht. Das Vergnügen an der aggressiv präsentierten Entdifferenierung muss ernst genommen werden als die normale Krise der Demokratie; die Fortschrittsbewegungen überfordern und schließen aus; das Gefühl oder die Lebenstatsache von Exklusion - das noch nicht ausreichend eingelöste demokratische Versprechen der Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger  - ist das Problem. Aber wahrscheinlich ist das Wort von der Krise der Demokratie die Vokabel eines Ängstlichen - ohne heftigen Streit, der leider nicht das Niveau eines Oberseminars hat, ist das Überleben unserer demokratischen Staatsform nicht zu haben; Veränderungsprozesse sind normalerweise äußerst strapaziös. Das Klagen ist unproduktiv. 2. Donald Trump ist die öffentliche Figur, in der die medial aufgeblasene und auf Hochglanz polierte Kultur des Anhimmelns - wer hält sich dabei zurück? - mit ihrer ständig begafften Konkurrenz um die Repräsentationen von Macht, Reichtum und Schönheit kulminiert und ihren Protagonisten gefunden hat. 3. Die journalistischen Narrative der Empörung bedienen die Abscheu und das Vergnügen. Das ist das Problem der Massenmedien. 4. Rabauken als Delegierte der Entdifferenzierung sind vor der strafrechtlichen Verantwortung nicht geschützt; ihre Vergehen müssen präzis ermittelt werden und, wenn nötig, bestraft werden. 5. Der institutionalisierte Rahmen der demokratischen Verfassung hält das Vergnügen an der Entdifferenzierung aus. 6. Sollte der Präsidentschaftskandidat Präsident der Vereinigten Staaten werden, wird er sich dem Amt fügen müssen.

(Überarbeitung: 2.11.2016)

Donnerstag, 20. Oktober 2016

Fundsachen II: the driverless car

Das fand ich vorgestern in der Washington Post online (18.10.2016): den Text von Michael Laris und Ashley Halsey III "Will driverless cars really save millions of lives? Lack of data makes it hard to know". Das ist ein skeptischer Text. Mir fiel der Ausdruck driverless cars auf: endlich ein genaues Wort. Auf eine Leere wird hingewiesen: der Fahrer oder die Fahrerin fehlt. Das ist ein Problem.

Was wird übrigens, wenn die driverless cars fahren und ich fahre auch. Diese Autos müssten doch markiert werden, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe und einen großen, sehr großen Abstand halten kann. Ob das gespenstisch wird?

Dienstag, 18. Oktober 2016

Journalismus-Lektüre XXXXIII (Beobachtung der Beobachter): Achtung: Fallen-Sucher!

"Psycho-Falle" nennt Christian Geyer heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.10.2016, S. 11, Nr. 243) das Problem des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow, der auf die Psychologin im Leipziger Strafvollzug hereingefallen wäre, weil er deren Einschätzung eines nicht akuten Impulses zur Selbsttötung folgte und sein Rechtsverständnis der Verhältnismäßigkeit  in der ARD-Sendung Anne Will vertrat.

Die "Psycho-Falle" ist keine Falle - auch nicht, wenn er schreibt: "Die prognostische Kraft, die dem Psychologenwort hier von rechtspolitischer Seite zugesprochen wird, hat etwas zutiefst Verstörendes". Man muss den Satz mehrmals lesen. Das Psychologenwort - mit der Anspielung an das Wort Gottes - trieft von Ironie und Unkenntnis. Das Psychologenwort ist nicht das letzte Wort: es ist im Kontext der JVA eine Einschätzung und eine Handlungsempfehlung - der Leiter der JVA muss ihr nicht folgen; der Justizminister auch nicht. Das Psychologenwort ist auch nicht nur ein vielleicht schnell gesagtes Wort, sondern sollte der nach einem bewährten Konzept in einem gründlichen diagnostischen Prozess gewonnene, verdichtete Befund sein. Seine Plausibiliät und Reichweite sind dann zu prüfen (s. meinen Blog zur Frage der Einschätzung des Impulses zur Selbsttötung vom 14.10.2016). Was ist dann das zutiefst Verstörende?

Die empörte Gespreiztheit (zutiefst) und die Unkenntnis des Autors hinsichtlich psychologischer Verfahren, ihrer Konzepte und Grenzen - sprachlich grell geschminkt mit dem Puder der Betroffenheit.

Er schreibt weiter:
"Worum es geht, ist die systemische Frage nach dem autoritativen Rang von psychologischen Stellungnahmen in juristischen Prozeduren, eine Frage, wie sie auch in der Gutachterdebatte zur Schuldfähigkeit immer wieder aufflammt".

Eine Frage, die aufflammt, ist eine schöne Frage. Aber gehen wir diesen Satz durch. Der autoritative Rang ist Dicke-Tun. Der Status der psychologischen Gutachterin oder des psychologischen Gutachters ist geregelt: sie oder er leistet dem Gericht Hilfe; die Richter sind verpflichtet, die Plausibilität eines Gutachtens - das mehr ist als eine Stellungnahme - zu prüfen und sich ein eigenes Bild zu machen. Die Anforderungen an ein Gutachten liegen fest; allerdings erfüllen nicht alle Gutachterinnen und Gutachter diese Qualitätsmerkmale. Darüber habe ich hier mehrmals etwas gesagt (s. meine Blogs vom 3.2.2015 und 18.8.2014). Die juristischen Prozeduren, die der Autor mit spitzen Fingern in seinen Rechner tippte und so dem Fachausdruck aus dem Weg ging (vermute ich), heißen Erkenntnisverfahren, in denen die Frage der Schuldfähigkeit geprüft wird.

Was lernen wir? Wer Fallen sucht, muss gut aufpassen. Und die Redaktion muss auf ihren Fallen-Sucher aufpassen. 

(Überarbeitung: 14.12.2016)

  

  

Freitag, 14. Oktober 2016

Sachsen! Sachsen? Sachsen! Etwas zur Unbarmherzigkeit der öffentlichen Diskussion

Gestern in den Tagesthemen (am 14.10.2016): die Empörung der Redaktion, die Pina Atalay zu präsentieren hatte, war groß. Der Text der Empörung: wie kann man so dämlich sein. Alles war bekannt, so lautete die Lesart: Jaber Albakr, der junge Mann aus Syrien, der begründet verdächtigt wurde, einen Mord-Versuch vorzubereiten, und deswegen in Untersuchungshaft genommen worden war,  galt als Selbstmordattentäter, weswegen er hoch gefährdet war, sich zu suizidieren. Was einfach klingt, ist noch lange nicht einfach.

1. Nach dem, was in der Öffentlichkeit bekannt wurde, wissen wir nicht, wie Jaber Albakr den Mord-Versuch zu realisieren beabsichtigte.

2. Wir wissen nicht, mit wem er in Kontakt stand und wer ihn unterstützte.

3. Wir wissen nicht, ob er den Mord-Versuch unternommen hätte.

4. Eine Selbstmord-Entscheidung ist keine Kaufentscheidung - sie fluktuiert, je nach Lebenskontext; sie wird fantasiert, aufgegeben, aufgenommen, aufgegeben, aufgeschoben, aufgenommen ... es ist ein verzweifelter, dramatischer Lebenskonflikt, zu dem sich jemand erst im Kontext ihrer definitiven, irreversiblen Realisierung entscheidet. Weshalb es äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich ist, eine Selbstmord-Absicht hinsichtlich der Stärke ihres Impulses zur definitiven Realisierung abzuschätzen.

5. Wir wissen nicht, ob er kooperiert hätte.

 6. Nachdem, was ich aufgenommen habe (Quellen: Tagesthemen und Frankfurter Allgemeine Zeitung, die heute - 14.10.2016, S. 1 und S. 3 -  für Verständnis wirbt),  habe ich den Eindruck, dass die sächsischen Behörden allein gelassen wurden. Vielleicht, aber das müsste angemessen geklärt werden, waren sie überfordert. Vor allem forensische Abteilungen in den psychiatrischen Kliniken haben viel Erfahrung mit dem Problem der vermuteten Selbstmord-Absicht psychisch kranker Straftäter. Ob daran gedacht wurde, Jaber Albakr in eine forensische Abteilung zu verlegen, weiß ich nicht; ihr gesetzlicher Auftrag widerspricht allerdings der Aufnahme eines Beschuldigten in U-Haft.  JVAs in anderen Bundesländern sollten über ähnliche Erfahrungen und ausreichende Kontroll-Möglichkeiten verfügen. Sollte die Vermutung der Überforderung zutreffen, müsste geklärt werden, weshalb sie nicht von den übrigen Verantwortlichen wahrgenommen wurde.  

7. Die Empörung hat unbarmherzigen Charakter. Sie besitzt offenbar keine Sachkenntnis. Sie unterschlägt den Gedanken der Kooperation.

8. Bleibt die Frage zur Bedeutung des öffentlich kursierenden Affekts der Empörung. Das Vergnügen an der Empörung beutet die öffentliche Diskussion aus. Ob die Empörung Ausdruck einer
verbreiteten, geteilten Angst-Bereitschaft ist, müsste untersucht werden.

(Überarbeitung: 17.10.2016)
  

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Worte zum Einlullen VII: die Forschung sagt ....

... ist häufig eine Nachricht wert. Leider wird dann selten geprüft, was die Forschung wert ist. Heute Morgen lese ich: "Werbung als Wachstumsmotor. Studie zur ökonomischen Bedeutung von Werbung" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.10.2016, S. 19, Nr. 239). Ich war gespannt. Ich hatte das Wort meines Schweizer Freundes im Ohr, der, Marketing-Mann einer großen internationalen Firma, einmal sagte, dass die Werbung vor allem den Werbeleuten nütze. Also - was sagt die Studie: Werbung sei ein "wichtiger Wachstumsmotor für die Volkswirtschaft". Wie wurde das herausgefunden? Sagt die Nachricht nicht. Die Existenz der Studie reicht als Begründung des Befundes. Auftraggeber der Studie sind die führenden Werbeverbände; durchgeführt wurde die Studie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsführung. Gab es eine Kollision der Interessen? Da sagt die Nachricht nichts zu. Wohl erfahre ich, dass die Studie gute 70 Seiten umfasst. Keine Prüfung der Hypothesen, der Verfahren. Die Nachricht ist eine Nicht-Nachricht: prüfen kann ich nix.

Drei Seiten weiter folgt der Kommentar von Julia Löhr. Sie zieht den Wert der Studie in Zweifel - ohne die Studie zu prüfen. Denn, so schreibt sie: "Das Problem der Werbebranche ist nicht, dass jemand grundsätzlich ihren Nutzen in Zweifel zieht". Doch, das tue ich, und ich wünsche mir einen
Beleg, der mein Vorurteil korrigiert.  Julia Löhr hat Zweifel, wie die Branche mit den riesigen Budgets umgeht. Mein Vorurteil besteht weiter. Meine Frage: was habe ich davon, diese Art von Nachricht, die dann noch für einen Kommentar taugt (in der Einschätzung der Redaktion), zu lesen und nach Substanziellem zu suchen? Wenig. Sie taugt zu diesem Blog. 

  

Journalismus-Lektüre XXXXII (Beobachtung der Beobachter): eine Bemerkung zum journalistischen Einmaleins

Über ihre Konzepte, da wiederhole ich mich häufig, geben die journalistischen Beobachterinnen und Beobachter unzureichend Auskunft. Ein Beispiel - es kommt mir typisch vor - ist der Text von Ralph Bollmann über Sigmar Gabriel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: "Der Populist". Untertitel: "Sigmar Gabriel war mal Wirtschaftsminister. Jetzt schaltet er um auf Wahlkampf und Volksnähe. Kann er sich damit retten?" (F.A.S. vom 9.10.2016, S. 28, Nr. 40).

Das journalistische Einmaleins besteht darin, die politischen Kontexte als gelungene oder missglückte Realisierung eines Machtmotivs zu verstehen und ihn auf einen individualisierten Kontext zu reduzieren. So lässt sich leicht über komplexe Kontexte raisonnieren - aus der Perspektive dessen, der oder die den Politiker oder  die Politikerin in die Tasche stecken zu können glaubt. So dreht der Beobachter seine Position des Nicht-Wissens oder Wenig-Wissens um. So hält er seine Leserin und seinen Leser bei Laune: es geht so vertraut zu mit der Einladung zur Herablassung. Die andere Frage ist: an wen adressiert Ralph Bollmann seinen Text? Imaginiert er Sigmar Gabriel als den Leser seines Textes?

Dazu gibt er natürlich keine Antwort. Aber die Beschäftigung mit dem politischen Akteur lässt eine Art von imaginierter Beziehung vermuten. Das ist gewissermaßen die (heimliche) interaktive Seite des journalistischen Einmaleins.

Sigmar Gabriel nimmt zur Zeit eine - auf den ersten Blick - widersprüchliche Position ein: das Wirtschaftsabkommen mit Kanada (CETA) favorisiert er, das mit den U.S.A. (TTIP) nicht. Die Verhandlungen und die Details der Verträge sind enorm kompliziert und schwierig (ich verstehe sie nicht). So sehr, dass die verhandelnden Gremien ängstlich auf einer Intransparenz bestehen: die Mitglieder des Bundestages bekommen die Vertragsentwürfe nur eingeschränkt zu Gesicht - begrenzte Lesezeiten, kontrollierte Lektüre, nur Aufzeichneungen sind gestattet, keine Kopien, ein Austausch mit Kolleginnen oder Kollegen untersagt. Das Parlament ist ausgeschaltet. Es müsste dringend einbezogen werden. Gertrud Lübbe-Wolff, die ehemalige Richterin am Bundesverfassungsgericht, hat dazu den alarmierenden Text verfasst: "Geheimniskrämerei bei TTIP (MERKUR 807, August 2016, S. 53 - 61)  Hält Ralph Bollmann das nach?

Er schreibt über Sigmar Gabriel: "Das Wirtschaftsministerium war von Anfang an nur Mittel zum Zweck. Wenn Gabriel nicht als Kanzlerkandidant antritt und dann vermutlich auch den Parteivorsitz abgeben muss, ist auch das Regierungsamt nichts mehr wert". Woher weiß er das? Mittel zum Zweck: zu welchem? Was bedeutet ein öffentliches Amt für ihn? Weiß er auch nicht. Das Konzept des Machtmotivs - als des einzigen politischen Motivs - , ist ungenau und schlicht; Politik gilt als ein persönliches Vergnügen oder Missvergnügen im Kampf um die höchsten Ämter. Ist das Politik? Im Zuschnitt von House of Cards? Wohl kaum. Es wäre die Bankrott-Erklärung unserer Politik.

House of Cards ist das Spiel des Irrealis mit der Verachtung der politischen Prozesse und damit der Verachtung der Demokratie und ihrer institutionalisierten Verfassung im Kontext der ständigen Frage: was wäre, wäre es so? Ist es so? Um die Antwort wird derzeit gerungen. Die Evolution der demokratischen Verfasstheit westlicher Gesellschaften steht zur Debatte - die jenseits des Atlantiks ziemlich robust geführt wird. Bislang können wir, auch wenn es manchmal schwer zu sein scheint, unserer demokratischen Verfasstheit, den Institutionen und Prozeduren vertrauen. Ohne diese Zuversicht müssten wir einpacken.

(Überarbeitung: 13.10.2016)
 

Dienstag, 11. Oktober 2016

Journalismus-Lektüre XXXXI (Beobachtung der Beobachter): Mann o Meter, Herr Geodäter!

"In welchem Zustand ist dieses Amerika eigentlich?", fragt heute Morgen Klaus-Dieter Frankenberger in seinem Kommentar, der den Titel hat: "Auf dem Tiefpunkt" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.10.2016, S. 1, Nr. 237). 


Auf dem Tiefpunkt befinden sich die Vereinigten Staaten von Amerika. Da musst man doch fragen: wie hat er das ausgemessen? Er hat keinen Zollstock, sondern einen Maßstab für gutes Benehmen. Hilary Clinton und Donald Trump haben sich zu Anfang ihres zweiten TV-Austauschs nicht die Hand gegeben. Am Ende der Sendung, was Klaus-Dieter Frankenberger nicht erwähnt, gaben sie sich die Hand.

Was ist der Tiefpunkt? Er sagt dazu: "Es bleibt dabei: Die amerikanischen Wähler haben die Wahl zwischen dem Demagogen Trump und Clinton, der Unbeliebten". Der Tiefpunkt, so verstehe ich ihn, besteht in der Schwierigkeit oder der Unmöglichkeit der Wahl. Das ist aber heutzutage nichts mehr Neues. Ernüchterung und Skepsis sind die schon seit einiger Zeit bestehenden Ratgeber der Wahl. Die ungebrochene Idolisierung einer Politikerin oder eines Politikers ist nicht mehr möglich. Ist das ein Tiefpunkt? Nein. Ein Realismus, das kann man vielleicht sagen, kehrt ein. Politikerinnen und Politiker werden sehr genau geprüft. Ihre Aussagen werden mit dem spitzen Bleistift gelesen. Was soll die  journalistische Empörung über den vermeintlich beklagenswerten Zustand der U.S.A.?  Welche Kandidaten für das Präsidentenamt wie präsentiert werden und sich präsentieren, ist Sache der demokratischen Auseinandersetzung der U.S.A. Unsere demokratische Geschichte ist kurz, die der Vereinigten Staaten lang. Nein, es ist anders. Die demokratischen Auseinandersetzungen werden seit geraumer Zeit in den U.S.A. existenziell geführt.  Man muss sehen, was herauskommt. Eine weit verbreitete Verbitterung meldet sich zu Wort. Wie sie sich in den Kandidaten für das Präsidenten-Amt verdichtet und wie sie repräsentiert wird, muss noch weiter ausgetragen und verstanden worden. Demokratie, mit ihrem riesigen Spektrum an ungleichen Lebensformen bei einem gleichzeitigen, aber immer wieder gebrochenen Versprechen auf ein gutes Leben, ist gelebter Unfrieden. Der Unfrieden, im demokratisch verfassten Rahmen ausgetragen, ist ein Zeichen der Hoffnung.

(Überarbeitung: 12.10.2016)


 

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXX: die Deutsche Bank und die journalistische Idolisierung

Wie entsteht eine kriminelle Betrugskultur in einer Organisation wie der Deutschen Bank und wie breitet sie sich aus? Diese Frage stellte ich in meinem Blog vom 1.10.2016 zu Holger Steltzners Wort vom Irrtum der Deutschen Bank. Der Irrtum, schrieb ich, ist ein (freundliches) Verdeck-Wort für den kriminellen Betrug der Akteure dieser Bank.

Am 5.10.2016 legten Franz Nestler und Markus Frühauf einen Text in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (S. 21) nach; die Überschriften des Textes: "Die verlorene Wette der Deutschen Bank. Lange galt das größte deutsche Geldinstitut als vorbildlich. Nun ist das Haus Spielball von Hedgefonds und der Justiz. Wie konnte das passieren?"

Ja, wie konnte das passieren? 

Wie konnte sich eine Betrugskultur in der Deutschen Bank etablieren? Welche psychosozialen, interaktiven Prozesse führten zu dem Moral- und Realitätsverlust der Bankleute? Welche Beziehungen pflegten sie?  Dazu sagen Franz Nestler und Markus Frühauf explizit nichts. Sie sprechen im Titel ihres Textes von der verlorenen Wette. Die Wette ist ein seltsames Wort für das Bankgeschäft. Sie bestand darin, so die Autoren, die führenden U.S.-Banken im Finanzgeschäft einzuholen oder zu überholen. Die Wette wäre dann ein Unternehmensziel oder eine Unternehmensfantasie. Das Alltagsgeschäft der Bankkaufleute sieht doch so aus, dass sie das ihr anvertraute Geld bedächtig platzieren. Aber: wetten? War das Wetten die Arbeitshaltung der Bankiers? War oder ist die Größenphantasie des Mainhattan relevant? Bewegten sich die Bankkaufleute in adoleszent getönten, aufgekratzten Beziehungen?

Sie schreiben: "Die Investmentbank setzt auf kurze Entscheidungswege, um schnell handeln zu können. Dabei stehen Gewinn und Boni im Vordergrund". Sie schreiben weiter: "Es gab Warnsignale kurz nach der Übernahme von Margan Grenfell (durch die Deutsche Bank). Dort zockte ein junger Fondsmanager und scheiterte. Die Bank musste ihre Kunden entschädigen. Trotzdem wurde der neue Kurs durchgezogen. Viel zu verführerisch waren die hohen Gewinne".

Es wurde gespielt, sagen Franz Nestler und Markus Frühauf. Es wurde gewonnen. Es war zu  verführerisch. War es das? Gelegenheit macht Diebe, sagen wir. Diese Alltagsformel besagt, dass wir der guten Gelegenheit nicht widerstehen können und dissozial handeln müssen. Würde diese Alltagsformel zutreffen, könnten wir uns nicht mehr auf die Straßen trauen. Wir müssten zu Hause bleiben und uns verbarrikadieren. Mit anderen Worten: wir sind im deutsch-bundesdeutschen Zentrum demokratischer Moral, demokratischer Ethik und demokratischen Rechtsverständnisses. Was zählt?

Der Gewinn, sagen Franz Nestler und Markus Frühauf. Der Gewinn macht die Bankiers zu Opfern moralischer Inkontinenz, denen das Missgeschick passiert - unterläuft - zu verlieren. Sympathisieren sie mit ihnen? Es sieht so aus. Erfolgreiche Spieler, das ist das Problem dieser Art journalistischer Beobachtung, die den öffentlichen Diskurs kalmiert, werden idolisiert - bevor sie bedauert werden. Der Glamour des Reichtums blendet - offenbar manche handelnden und manche beobachtenden Akteure. Wie eine kriminelle Betrugskultur sich in der Deutschen Bank wieder etablieren konnte, wird eingedeutet, aber nicht plausibel beschrieben. 1946 empfahl das Office of Military Government for Germany, United States die Liquidation der Deutschen Bank, deren Leitung anzuklagen und künftig von relevanten Positionen auszuschließen. Fünfunddreißig Billionen Euro sind im "Derivate-Buch" der Deutschen Bank, so Franz Nestler und Markus Frühauf, aufgelaufen - offene, unklare Kreditgeschäfte, die die Bank mit anderen Banken unterhält, weshalb die Deutsche Bank enorm bedroht ist und das Finanzsystem bedroht. Kleine Brötchen, wie es der Bundesrepublik gut gestanden hätte, wollte und will die Deutsche Bank offenbar nicht backen. Wer will das bei uns? Wir haben noch immer kein Tempo-Limit auf Autobahnen.

(Überarbeitung: 7.10.2016)




Samstag, 1. Oktober 2016

Neues von der Heiligen Kuh XXXIII: sie fantasiert von saftigen Wiesen

Mercedes-Benz, lese ich heute im Kölner Stadt-Anzeiger (vom 1.10.2016), "baut einen eigenen Supersportwagen":

"Die Performance-Sparte AMG soll ein (sic) Supersportwagen mit Hybrid-Antrieb aus den Formel 1-Rennwagen auf die Straße bringen, kündigte Entwicklungsvorstand Thomas Weber in Paris an. Die Leistung bezifferte er mit 1000 PS".

Geht's nicht kleiner? Nein. Wenn er noch einen Elektromotor hat, geht das schon. Wer will dann noch kleinlich sein.

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXIX : Freundliche Ungenauigkeiten

Drei heutige Schlagzeilen zur Deutschen Bank.
1. "Börsen wetten gegen die Deutsche Bank" (F.A.Z. vom 1.10.2016, S. 1)
2. "Der Irrtum der Deutschen Bank"  (F.A.Z. vom 1.10.2016, S. 1)
3. "Sturm über der Deutschen Bank" (Süddeutsche Zeitung  vom 1.10.2016, S. 1).

Ad 1. Die Börsen können nicht wetten; sie sind keine Subjekte. Die Akteure Geld-verschiebender Firmen, Hedge Fonds genannt, ziehen ihre Anlagen aus der Deutschen Bank ab. Ist doch klar: wenn das Geld schmilzt, versuche ich es zu retten - vielleicht mit der Idee, den Kurs einer Bank damit zu drücken, um später wieder preiswert einsteigen und den Kursgewinn kassieren zu können. Aber der Kursverfall steht offenbar im Kontext der allmählich sich (in der Öffentlichkeit) konturienden Entdeckung der enormen Betrüge und der Korruption der Deutschen Bank. Was ist der Subtext der Schlagzeile? Eine Auslegung: die Deutsche Bank wird schlecht behandelt.

Ad  2. Holger Steltzner ist der Autor des Kommentars mit dem Titel vom Irrtum. Er beschreibt den Sachverhalt schnörkellos: "Wegen Betrug, Manipulation und Geldwäsche drohen Strafen in Milliardenhöhe". Nichts auszusetzen. Bis auf die Schlagzeile. Was ist der Irrtum der Deutschen Bank? Dass sie im Finanzgeschäft zu den größten Instituten der Welt gehören wollte, sagt Holger Steltzner. Dafür waren kriminelle Mittel recht. Ist das ein Irrtum ? Nein, das kriminelle Kalkül ging nicht auf. Das Gefühl, sich sicher zu wähnen, erwies sich als Moral- und Realitätsverlust.

Ad 3. Der "Sturm über der Deutschen Bank" variiert den Titel des Otto Preminger-Films von 1962: Sturm über Washington (Advise and Consent; U.S.A. 1962). Den Sturm erläutert die Redaktion der  Süddeutschen Zeitung mit der kleiner gesetzten Schlagzeile: "Mächtige Hedgefonds haben dem größten Geldinstitut des Landes stark zugesetzt". Immerhin: die Akteure sind - ungefähr - benannt. Der Sturm ist kein Wetterumschwung.

Volkswagen und die Deutsche Bank: der bundesdeutsche Lack blättert hier und da ab, könnte man sagen. Was sehen wir? Mir fällt Walter Boehlichs Fazit der Ernüchterung und Enttäuschung aus der Mitte der 80er Jahre ein - das er in einer Talkshow der ARD traf -: die verkommene Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist, so verstand ich damals Walter Boehlich, der Makel der unzureichend abgerechneneten Schuldkonten. Vielleicht hat sie beigetragen,  die Kultur einer unsicheren demokratischen Moral zu etablieren. Bleibt die Frage, wie in einer Organisation, einer Firma, einer Gruppierung eine Kultur von Korruption entsteht und sich ausbreitet.

(Überarbeitung: 5.10.2016) 

  

Fundsachen: Ist das Bundeskanzleramt auch die Parteizentrale?

Krimi-Leserinnen und Krimi-Leser wissen: auf die Details und die beiläufig geäußerten Sätze kommt es an. Für die Zeitungslektüre gilt das auch - falls man sie wie einen Krimi-Text liest. Leider gibt es Millionen Plots, Millionen Kontexte und Millliarden Puzzle-Teilchen. O.K. Diesen Satz fand ich in der Skizze des Generalsekretärs der CDU, Peter Tauber:

"Faktisch hängt Taubers Adenauer-Haus an der Leine der Spitze des Bundeskanzleramtes" (Günter Bannas, F.A.Z. vom 30.9.2016, S. 12).

Ist der Satz nicht erstaunlich? Er steht unkommentiert mitten im Text. Das Bundeskanzleramt als oberste Zentrale der Partei? Welche Arbeit wird dort verrichtet? Wäre ich Mitglied des Bundestages, würde ich eine Anfrage initiieren, wie sich die Arbeit dort verteilt - auf Regierungsarbeit und Parteiarbeit.