Freitag, 8. Dezember 2017

Die A.R.D. in Hochform: "Bimbes" von Stephan Lamby und Egmont R. Koch

Bimbes ist der Titel des Dokumentarfilms von Stephan Lamby und Egmont R. Koch in der Zusammenarbeit mit dem SPIEGEL. Der Film wurde am 4.12. dieses Jahres ausgestrahlt - reichlich spät nach den Tagesthemen: gewissermaßen vorm großen Publikum versteckt. Nicht ganz; denn er ist bis zum 4.12.2018 in der Mediathek des Sender-Verbundes zu sehen.

Bimbes war Helmut Kohls Lieblingsvokabel für Geld. Bimbes beschreibt, wie der frühere Bundeskanzler mit dem Geld umging, wie er es seinen Leuten zusteckte aus Macht-Erhalt und um sie bei Laune zu halten. Bimbes klärt auf, wie das mit den vermeintlichen Spendern war, denen Helmut Kohl sein Ehrenwort gegeben hatte, ihren Namen nicht zu nennen. Die Sache mit dem Ehrenwort war kitschig und roch nach Betrug - wir kennen die treuzherzige Beteuerung mit dem Ehrenwort - , aber er war nicht nachzuweisen oder er wurde nicht hartnäckig und mutig genug recherchiert.

Jetzt wissen wir: es gab keine Spender, es gab ein Spender-System so genannter schwarzer Kassen, aus denen der Bundeskanzler sich bedienen konnte, wenn er Geld brauchte. Die schwarzen Kassen entstanden durch Steuerbetrug und wurden mit Geldwäsche gefüllt. Sie enthielten enorme Summen - weit mehr als die kleine Millionen-Summe, die Helmut Kohl im Untersuchungsausschuß erlog. Massiver, strafbarer Betrug; enorme Korruption - die damals vom mächtigen Manager des Flick-Konzerns, Eberhard von Brauchitsch, und von einer Reihe anderer Leute betrieben und vom Bundeskanzler dankbar quittiert und so lange geschützt wurde, so lange Helmut Kohl sich als Saubermann behaupten konnte.  Eberhard von Brauchitsch nannte dies "Landschaftspflege". War lustig - war aber nicht lustig. Ein Lehrstück für: wie man die Öffentlichkeit mächtig belügt und die Staatsform zerstört.

Und nun? Unser großer Kanzler war korrupt. Wo ist der Aufschrei? Wo die Korrektur der Tränen-reichen Bekenntnisse zum Tod des großen Staatsmanns? Es ist - nun habe ich kein Überblick über die Beiträge zur öffentlichen Diskussion - so still.  Jedenfalls berichtet die Zeitung für die klugen Köpfe in ihrem Medienteil des Feuilletons darüber - keine Schlagzeile auf der ersten Seite. Dabei trifft die Kohlsche und die von Brauchitsch'sche Korruption ins Zentrum unseres Demokratie-Verständnisses. Die Zeitung für Deutschland müsste ihre Lobeshymnen korrigieren.

Keine Diskussion wert? Wolfgang Schäuble, dazu im Film befragt, winkte ab: ihm sei's egal. Ist das die angemessene Haltung eines Bundestagspräsidenten? Nein. Wolfgang Schäuble hat etwas nicht verstanden. Nicht verstanden hat auch von Brauchitsch, dass gegen ihn unsere Rechtsmittel eingesetzt wurden. Er wird auch im Film befragt. Man kann ihn sehen: den schwer kranken Eliten-Herrenmenschen ohne Reue, aber mit Empörung, dass man ihn... einem Strafverfahren aussetzte und verurteilte. Er gab sich noch immer als der Herr, der sich über dem Gesetz wähnte. 

Montag, 27. November 2017

Morgen kriegen sie in die Fresse" - aber mit Plan: Nachschlag

Armin Laschet, C.D.U.-Mann und Ministerpräsident in NRW, droht schon: die Sozialdemokraten sollen bloß nicht denken...mit ihren 20 Prozent.

Hoffentlich lassen die Leute von der S.P.D. sich nicht einschüchtern. Mein Kriterium, dass sie nicht einknicken: der Maut-Murks. Wenn sie in die ersten Verhandlungen mit der Forderung, die Fackel der vermeintlichen Gerechtigkeitsforderung auszublasen, gehen - wäre ich beruhigt. Ich befürchte: es bleibt, wie man sagt, beim alten. Eine Minderheitsregierung wäre dagegen auch nicht schlecht: die Regierung müsste dann ihre Substanz vertreten und kommunizieren und dafür werben. Sie müsste sich anstrengen und könnte nicht mehr so einfach im Hinterzimmer kungeln und schachern. Welche Aussichten! 

Dienstag, 21. November 2017

"Morgen kriegen sie in die Fresse" - aber mit Plan.

Neuwahlen, abgesehen von der Verpflichtung unserer Verfassung gegenüber und  der komplizierten parlamentarischen Prozedur, dienen dem Unterhaltungsspektakel, werden aber wahrscheinlich doch nix Neues bringen: winzige Verschiebungen vor oder hinter dem Komma der Prozentpunkte. Neuwahlen sind: die unsägliche Orientierung an der Logik der Einschaltquoten nach der Handlungsanweisung: fragt das Publikum, das weiß, was es will und was gut ist! Neuwahlen sind: die Ausrede für die politische Hilflosigkeit oder Ideenlosigkeit. Nein, wir brauchen belebende Ideen, Entwürfe. Die Verwaltung des status quo lähmt, erstickt - sie ist eine Katastrophe.

Die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wollten gründlich nachdenken über eine vernünftige Politik. Das können sie jetzt auch in der (verständlicherweise) ungeliebten Großen Koalition. Sie wären, würden sie Koalitionsverhandlungen aufnehmen, in einer komfortablen Position: sie könnten mit Maximalforderungen aufwarten; sie könnten ihren Ärger in eine produktive Politik wenden - das Macht-Geschacher und die relevanten Fragen der Bundesrepublik öffentlich machen. Sie könnten mutig sein und ehrliche Töne anschlagen und Auskunft über ihre Wunden und Zaghaftigkeit geben.  Die Fresse wäre das Bild für die künftigen Auseinandersetzungen - das Ende der Unterwerfung. Die Maut wird abgesagt, das bedingungslose Grundeinkommen ausprobiert, Pläne für Infrastruktur, Bildung, Energieversorgung, Einwanderung,Verkehr, Verteilung werden entwickelt, eine Politik für Europa entworfen: undsoweiter undsofort. Die Politikerinnen und Politiker der Union werden in die Pflicht genommen. Wenn es hakt, wird gestritten. Leute wie Johannes Kahrs kommen an die Front. Das wär' doch 'was.   

Knallgelb ist der Coup - zum zweiten Mal

Dass Christian Linder, Parteivorsitzender der Freien Demokraten,  ins Parlament, aber nicht in die Regierung wollte, hatte ich seit der Bundestagswahl vermutet. Ich habe Angela Merkel und ihre Fähigkeit des Macht-Schacherns überschätzt. Heute Morgen begrüßt sie den Montag als den Tag "des zumindest tiefen Nachdenkens" über die Zukunft der Republik. Das war wieder ein ehrlicher Satz: sie denkt nur dann scharf nach, wenn der Macht-Besitz bröckelt. Jetzt ist sie aus dem Tritt. Christian Lindner hat ihr, wie man so sagt, die Tour vermasselt. Andererseits: wer so lange diskutieren muss, ob die Tour begonnen wird, will die Tour nicht beginnen. 

Was kommt jetzt? Das, was die vermeintlich Alternativ-lose Politik zu diskutieren unterdrückt hat, kommt auf den parlamentarischen Tisch. Endlich. 1969 war Walter Scheel zusammen mit Willy Brandt für den Coup des Regierungswechsels gut. Jetzt hebelt Christian Linder die Union aus und ernüchtert die Grünen. Christian Lindner beklagte das fehlende, gegenseitige Vertrauen. Mit anderen Worten: zuviel Ambivalenz, zuviel Dissonanz.

Donnerstag, 16. November 2017

Überraschung am Morgen - anderthalb Jahre später

Am 3.5.2016 veröffentlichte Wolfgang Streeck im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seinen Text "Merkels neue Kleider" (s. meinen Blog vom  3.5.2016 "Überraschung am Morgen"). Das war, verglichen mit dem betulichen öffentlichen Umgang mit der Politik der Merkel-Regierung, ein Paukenschlag. Er hallte nicht richtig nach - finde ich. Jetzt, heute Morgen (am 16.11.2017), wieder im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (S. 11): Wolfgang Streeck mit seinem Text "Merkel. Ein Rückblick" mit den Zwischentiteln: ""Polarisierung", "Die Monarchin", "Peripetie", "Das Ende".

Ob wir das Ende erwarten können, ist fraglich. Nach der Wahl des U.S.-Präsidenten, dem britischen Referendum und unserer Bundestagswahl bin ich skeptisch bei Prognosen, in denen Wunschdenken und Realitätssinn sich vermischen (können).  Wolfgang Streeck erwartet das Ende in zwei Jahren. Seine Vermutung: "Allmählich erwachen die deutsche Politik und ihre Öffentlichkeit aus ihrer postdemokratischen Narkose". Die Metapher Narkose hat meine Sympathie - ist aber ungenau: zur Narkose gehört der Anästhesist. Wer ist das? Wer kontrolliert die Narkose? Doch wohl unsere Öffentlichkeit. Damit sind wir bei komplexen psychosozialen Prozessen.

Die Frage bleibt: wie kommt die Lähmung unserer Öffentlichkeit zustande? Die Antwort ist schwierig. Sie müsste gründlich erforscht werden - nicht mit Meinungsbefragungen, die nach dem Prinzip der Einschaltquoten funktionieren. Aber wer will das wissen? Vielleicht  - hopefully -  formiert sich ein Klärungswunsch der Substanz der politischen Konzeptionen unserer Akteure und unserer Lebensverhältnisse.  

Mittwoch, 15. November 2017

Das Wachstum und das Chaos

"Deutsches Wirtschaftswachstum übertrifft alle Erwartungen", ist der Aufmacher der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 15.11.2017 (S. 1). Die Wiesbadener Behörde hat die gute Kunde verbreitet: 0,8 Prozent beträgt der Zugewinn der Wirtschaftsleistung im dritten Quarteil - verglichen mit dem dritten Quartal des Vorjahres. Et läuft, würde man in Köln sagen.

Weiter unten auf derselben Seite die Nachricht in der halb so großen Schriftgröße (wie der Aufmacher): "Energiewende kostet bis zu zwei Billionen Euro". Et läuft nit, würde man in Köln sagen.

Die erste Nachricht betrifft unsere Gegenwart, die zweite unsere Zukunft: wenn unsere Kanzlerin mit ihrer Mannschaft nicht mehr im Amt ist. Schöne Aussichten für die Folgekosten ihrer Plan- und Substanz-losen, opportunistischen Politik. Alles nicht neu. Der Schlamassel kommt. Wie lange schaut unsere Öffentlichkeit noch zu? 

Donnerstag, 2. November 2017

In der Bundesrepublik Deutschland leben über einhundert Milliardäre: der Sog der Fantasie vom Reichtum

Die Meldung, dass in der Bundesrepublik die meisten Milliardäre Europas leben würden, ging mir nach. Was ist daran relevant? Dass Dagobert Duck  - ein schwerreicher Nordamerikaner - noch immer lebt. Der Reichtum ist die westliche Fantasie. Sie ist uralt. Der Tanz um das goldene Kalb hat einen schlechten Leumund. Gewünscht wird er noch immer.

Im Augenblick erleben wir, wie ein reicher Nordmerikaner die U.S.-Präsidentschaft dazu missbraucht, seine Unzivilisiertheit als Politik bestaunen zu lassen. Das Problem ist, dass die Fantasie vom Reichtum bescheidene (nicht grandiose, Status-triefende) Lebensformen entwertet, verachtet und ausschließt - sie sind wenn überhaupt wenig wert. Man kann es auch anders sagen: der Glanz der herrschenden Fantasie täuscht - er entmutigt und lässt das eigene Leben fad' aussehen. Die Diskussion anderer Lebensideale und anderer Lebensformen muss dringend geführt werden. 

"Koalitions-Verhandlungen": Bühnen-Zauber

Ein Riesen-Gedöns - für die Bilder-Industrie. Die kommende Regierung wird zusammengekehrt. Unvereinbare Absichten sollen auf Vereinbarkeit herunterverhandelt werden. Das Ergebnis steht schon fest. Oder steht es noch nicht fest? Wer glaubt das?

1. Was jetzt diskutiert wird an parteipolitischen Positionen, wäre Sache des Parlaments gewesen: da hätten sie diskutiert und sich als tragfähig erweisen  müssen - nicht erst jetzt im Hinterzimmer der Nicht-Öffentlichkeit. Wir zahlen den Preis der Vermeidung: dass im Parlament die Regierungspläne durchgepresst wurden.

2. Bei den Verhandlungen sollte es nicht schwer sein, sich an einer Idee vernünftiger Politik  (innen- und außenpolitisch) zu orientieren. Stattdessen regiert das Prinzip: was kann ich meiner Wählerschaft zumuten? 
Das ist ein mächtiges, für uns katastrophales Missverständnis: normalerweise wird eine Regierung mit einer Konzeption gebildet,  tritt an und nach vier Jahren wird über deren Erfolg oder Misserfolg abgestimmt  - jetzt wird vorher schon geschielt, was geht.

3. Das Einschaltquoten-Problem. Seit Mitte der 80er Jahre orientieren sich die öffentlich-rechtlichen Sender in ihrer Programmplanung vor allem an den Einschaltquoten - damals kamen die privaten Sender auf den Markt und machten sich erfolgreich (an Einschaltquoten gemessen) breit. Seit Clintons Präsidentschaft ist die Beobachtung der Meinungsumfragen zentrale politische Orientierung. So ist es seit Jahren. Was (vermeintlich) geht, geht. So geht es aber nicht. Politik lebt von tragfähigen Ideen. Die müssen erfunden und entwickelt werden. Armut bekämpfen: Ja! Reichtum anders verteilen: nein! Klimaschutz: Ja! Aber die Arbeitsplätze, die eingebüßt würden: nein! Arbeitsplätze ist das Wort der Sorge von Politikerinnen und Politikern um ihre Wiederwahl. You can't eat the cake and have it, heißt ein englisches Sprichwort. Wohlstand für ein paar, aber für viele Leute nicht, geht nicht. Klimaschutz und Dreck gehen nicht. Wir müssen wir andere Ideale von Lebensformen diskutieren. Die sind bekannt und vernünftig - wohl muss für sie ordentlich geworben und die Leute gewonnen werden. Unsere Politikerinnen und Politiker müssen sich anstrengen und sich trauen - in der Öffentlichkeit sich vor den Kameras zu rekeln und verschachtelte Sätze zu formulieren, ist zu wenig für unser Land.

(Überarbeitung: 3.11.2017)

Donnerstag, 19. Oktober 2017

"Wir haben uns gründlich abgetastet. Dann haben wir in den Atlas geschaut"

Ich dachte, Alexander Dobrindt hätte gestern (am 18.10.2017) den anatomischen Atlas gemeint. Nein, die Partei-Schmiede einer Regierungskoalition schauten nach, wo Jamaika liegt.

Der Flach-Sinn geht durch die ARD-Nachrichten als Nachricht. Was die Partei-Schmiede wohl sonst schmieden? Die Koalitions-Verhandlungen müssten transkribiert werden - damit wir nachlesen können, was und wie verhandelt wird. Das würde das Niveau sofort anheben. Das wäre doch mal eine Bewegung wert.

Dienstag, 17. Oktober 2017

Jupp - mach' es gut!

Jupp Heynckes Einstand in der Bundesliga am vergangenen Samstag war glänzend. Gut, dass er auf seine Frau und seine Tochter, die ihm zurieten, gehört hat. Abraten ist natürlich einfach, Zuraten riskant. Ob er Samstagnacht gut schlafen könne, antwortete er nach dem Spiel, wisse er nicht. Er kennt sich. Er kennt natürlich auch seinen Spitznamen: Osram. Er ist jetzt auch der Protagonist der Antwort auf die Frage zum Altern: Altern bedeutet für ihn nicht, sehr zu altern.

Montag, 16. Oktober 2017

Chaos beim ARD-Talk

Gestern, am 15.10.2017, bei Anne Will: fröhliches, erschreckendes Durcheinander. Niedersachsen wählte seine Repräsentanten im Landtag. Die SPD legte fast vier Prozent zu. In dem Maß verlor die CDU. Es diskutierten in dieser Sitzordnung (im Uhrzeigersinn): Wolfgang Kubicki, Katrin Göring-Eckardt, Volker Bouffier, Anne Will, Olaf Scholz und Albrecht von Lucke, Jurist und Politologe. Die üblichen Fragen zu Koalitionsfragen: wer mit wem, wenn der nicht mit dem. Das übliche Spekulieren über die parlamentarischen Machtverhältnisse in Berlin und in Hannover. Nach den Beiträgen der Diskutanten sind Koalitionen in Hannover und Berlin unmöglich. Die Diskutanten drehten sich, um die Frage offen zu halten. Deutlich wurde: wenn die Parteien an dem festhalten, was sie angekündigt haben, kommt eine Verabredung zur Koalition nicht zustande; wenn die Macht-Intention (nach dem Muster des Fraktionsvorsitzenden Müntefering: Opposition ist Mist ) dominiert, geht es nicht. An die Adresse des Hamburger SDP-Mannes richtete Albrecht von Lucke seinen Appell zur Ehrlichkeit: Olaf Scholz sollte einräumen, dass die SPD mit ihrer Verweigerung sich vor dem Verschleiß durch eine CDU-geführte Koalition schützt. Das zuzugeben traute sich Olaf Scholz nicht.

Zwei weitere Kontexte wurden nicht erörtert:
1. dass die Koalitionsverabredungen schwierig werden, ist die Folge der das Parlament vermeidenden, angeblich Alternativ-losen Politik der Regierung Angela Merkels, die mit ihrem Kurs den Ausschlägen der Umfragen folgte, selbstherrlich korrigierte  und erwartete, das er von  den anderen Akteuren gebilligt wurde - so blieben die Diskrepanzen und Widersprüche unter den sprichwörtlichen Teppich der Machterhaltung gekehrt; sie werden erst jetzt (hoffentlich) diskutiert. Das braucht Zeit - die parlamentarischen Auseinandersetzungen werden gewissermaßen nachgeholt.

2. Die planlose Politik der Regierung Angela Merkels läuft auf: der Macht-Erhalt ist zu wenig.
Mich wundert, dass ihr selten widersprochen wird.  Wieso?  

Freitag, 6. Oktober 2017

Jupp - lass' es!

Jupp Heynckes soll einspringen als Übergangstrainer beim FC Bayern. Wahrscheinlich ist das Verbum einspringen eine mächtige Untertreibung. Ich habe nur den Blick von außen. Die kluge Entscheidung, zum Zeitpunkt des sich senkenden Lebensbogens, nach dem größten beruflichen Erfolg, sich zurückzuziehen und sich einzustellen auf eine andere Lebensrealität, in der es darum geht, eine lebensfähige Balance zu finden zwischen den Verlusten des Alterns und den verbliebenen Lebensmöglichkeiten, würde ich nicht revidieren. Um das Aushalten der Verluste kommt man nicht herum. Sich zu trennen gehört zur Lebensleistung des Alterns. Wie soll das gehen?, soll er einer Journalistin oder einem Journalisten gesagt haben, in seiner Lebenssituation. Weshalb er das Angebot genau prüfen will. Wie soll es gehen? Ich wünsche ihm, dass es ihm gelingt, an seinem jetzigen Lebensrhythmus festzuhalten.

Montag, 2. Oktober 2017

"Ab morgen kriegen sie (Sie) in die Fresse" - kriegt Franz Müntefering auch was ab?

Andrea Nahles wurde letzte Woche nach ihrer Wahl zur Fraktionsvorsitzenden auf einem Flur nach ihrem letzten Arbeitstag oder ihrer letzten Arbeitsstunde in der großen Koalition gefragt. Ja, sagte sie, etwas Wehmut schon. Dann schob sie nach: "Ab morgen kriegen sie (Sie)  in die Fresse". Offenbar, so wurde der Satz verstanden, war er an die zurückgebliebenen Kolleginnen und Kollegen in ihrem Rücken adressiert worden - so wird er jedenfalls von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (28.9.2017, S. 2, Nr. 226) zitiert. Andrea Nahles lachte breit in die Kamera - ein rabaukiges Weglachen. Jetzt geht's ans Holzhacken, verspricht sie.

Ihr Bild vom Schlag in die Fresse ist rauflustige Jugendsprache. In Köln sagten wir noch vor der Androhung dieses Schlages: "Du hast ein Gesicht wie ein Feuermelder..." Atmet die SPD-Fraktion nach der Zeit der Anpassung an die Politik der großen Koalition tief durch? Sieht so aus. Ja-Sagen aus Koalitionsräson ist unerfreulich - bestes Beispiel: die Zustimmung zum Maut-Kokolores - und ist ärgerlich und lähmt. Franz Mütefering hatte mit seiner Unsinns-Formel Opposition ist Mist zum Verbiegen aufgefordert. Jetzt können sich die SPD-Leute bedanken und gründlich nachdenken, welche vernünftige Politik sie machen wollen. Andererseits, anderersseits: warum haben sie so mitgespielt und sich, wenn die Vermutung denn stimmt, verbiegen lassen und so spät Auskunft über ihren Kotau gegeben?

Die (leise) klagenden Opfer der großen Koalition. Wo ist die Stimme der SPD-Leute geblieben? Was geschah nach der Kandidatur von Martin Schulz? Er war mit einer anderen Stimme aufgetreten. Wurde er dann zurückgepfiffen? Weil der Angriff auf Angela Merkel - sie zerstöre die Demokratie - zu stark war? Weil die SPD-Leute sich nicht zu sagen trauten: Wir haben uns geirrt mit Franz Müntefering und mit der Koalition mit der Union? Hoffentlich werden sie jetzt mutig. 

Sonntag, 1. Oktober 2017

Neues aus Wolfsburg - von der Tante aus Frankfurt

Frankfurter Allgemeine Zeitung am 29.9.2017, Seite Eins - die Überschrift: "Früherer Manager von Volkswagen in Haft".

Frankfurter Allgemeine Zeitung am 30.9.2017, Seite Eins - die Überschrift: "Abgasskandal wird für VW teurer als erwartet".

Wer hätte das gedacht?

Sonntag, 17. September 2017

Eine vertraute (faschistische) Fantasie: im Wort vom "autonomen Fahren"

Wer das Wort vom autonomen Autofahren benutzt, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank - und alle Nachschlagwerke auf den Müll geworfen. Für unsere Kanzlerin, die auf der IAA mit diesem Wort ihre verunglückte Rede ausschmückte (s. meinen Blog vom 16.9.2017), gilt das natürlich nicht: sie hat von vornherein etwas von der Demokratie nicht verstanden. Beim Rechner-gesteuerten, Fahrer-losen Bewegen eines Automobils wird gerade die Autonomie des Piloten abgegeben und einer  anonymen (allmächtigen), unkontrollierten Kontroll-Instanz von Sendern, Empfängern und Rechnern übergeben und  überlassen. Die Autofahrerin oder der Autofahrer nimmt auf dem Beifahrersitz Platz und beobachtet den Fahrersitz und weiß nicht, wo sie oder er sitzt. Eine Unterwerfung als autonome Handlung auszugeben, ist doch ein böser Witz. Das hatten wir schon in den Jahren 1933 bis 1945, als  die Freude der Unterwerfung für den gelb-braun-schwarzen mörderischen Terror entschädigte.

(Überarbeitung: 19.9.2017)

Samstag, 16. September 2017

Die süße Korruption des gemeinsamen öffentlichen Fantasierens: unsere Bundeskanzlerin und die Automobilindustrie

Am Freitag, dem 15.9.2017, ist auf der ersten Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu sehen: unsere Kanzlerin, die lächelnd aus dem flachen Audi Aicon mit dem Mikrophon in der rechten Hand steigt, vom Audi-Chef Stadler mit der großen Geste der offenen Armen  - wie es der ARD-Mann Sven Plöger so herrlich entschuldigend kann, wenn er die Unbilden des Wetters ankündigen muss - begleitet. Ein Bild der Kumpanei (Zeitung, Kanzlerin und Audi-Repräsentant spielen zusammen) und eines seltsamen Amts- und Rechts-Verständnisses.

Vor diesem Foto dürfte Angela Merkel die Rede zur Eröffnung der Frankfurter Automobilmesse gehalten haben. Ihre Rede folgte  dem kursierenden Konsensus der Korruption. 1. Angela Merkel: "...dass wir aus Fehlern lernen müssen..." Aus Fehlern. Der schwere, strafrechtlich relevante Betrug war ein Fehler. Der Fehler bestand darin, sich erwischen zu lassen. Unsere Kanzlerin pflegt die Sprache der Betrüger. Wenig später spricht sie von der Dieselthematik und folgt der VW-Sprachregelung der Verleugung. 2. Die Rührseligkeit des Polit-Kitschs. Die Leute der Autobranche, führt sie aus, "haben Regelungslücken exzessiv ausgenutzt... sie haben nicht nur sich selbst Schaden zugefügt, sondern auch Verbraucher, Behörden getäuscht und enttäuscht". Diffuses Lamento. 3. Konzeptionslose Appelle des Durchhaltens. Angela Merkel: "Es muss der Wandel zu emissionsfreier Mobilität gelingen". Wie das? Frei von Emissionen? Die Kanzlerin lädt zum Fantasieren der Großartigkeit ein. 4. Phantastische Vorschläge: "Bereiten Sie" - sie meint die Leute von der Autobranche - "die Menschen auf das autonome Fahren vor". Wie das? Der Vorschlag ist besonders treuherzig.Wie sollen die Leute von der Autobranche sagen können, dass die von ihnen verbreiteten Bilder vom fahrenden Wohnzimmer falsch sind? Wer von ihnen traut sich zu sagen, dass wir künftig wie auf Schienen fahren sollen: gemächlich, nebeneinander und hintereinander. Wer von ihnen traut sich zu sagen, dass wir demnächst dann andere Fahrzeuge benötigen und wahrscheinlich haben werden? Kleinere Fahrzeuge, auf geringes Tempo und damit auf geringe Leistungsanforderungen ausgelegt? Wer von ihnen traut sich zu sagen, dass das Schienen-ähnliche Fahren ihre Konzeption des Autos und des Autofahrens auf den Kopf stellt? Dass sie sich damit aus ihrem bombigen Geschäft katapultieren? Hat jemand schon ausgerechnet, welchen Platz-Bedarf die riesigen Fahrzeug-Kolonnen haben werden? Hat jemand schon einen Plan, wie die automobilen Schienen-Fahrzeuge betrieben und bewegt werden sollen?

Nichts gegen das Fantasieren. Normalerweise dient es dem Entwerfen von Wirklichkeiten und dem Reparieren der kränkenden Erfahrungen mit Wirklichkeiten. Unsere Kanzlerin und ihre Mannschaft helfen mit beim regressiven Fantasieren und sind offenbar blind. Was soll's. So oder so. Es wird Zeit, dass die Autobranche anfängt, die kleinen Brötchen zu backen. Der erste Schritt besteht in der Einführung von Tempolimits.

Was inzwischen geschieht: in NRW auf der wunderbar zum Schnellfahren - 200 km/ sind ein Klacks - ausgebauten Autobahn zwischen Aachen und Düren wird die Begrenzung auf 130 km/h installiert. Zu hohes Tempo, zu viele schwere Unfälle. Es dauert lange, aber die Realität setzt sich durch. Vor 40 Jahren wurde über Tempolimits auf Autobahnen gestritten, jetzt kommt die Diskussion wieder. Es geht nicht nur um das Schnellfahren. Es geht auch um den Wahn, schnell fahren zu können und zu müssen. Dieser Wahn hat bislang zur Produktion schwerer Automobile geführt. Es wird Zeit, dass er wirklich ernüchtert wird. Es wird Zeit, dass wir unsere mobilen Praxen revidieren und uns anders zu bewegen aufmachen. Unsere Regierung hat das noch nicht verstanden.

(Überarbeitung: 26.2.2019)

Donnerstag, 14. September 2017

Neues von der betrügerischen Heiligen Kuh CXIII: jetzt haben wir ein vernünftiges, praktisches Kalb aus Aachen

Der Erfolg um Günther Schuh, den Aachener Professor an der RWTH Aachen aus Köln, und seiner Gruppe ist gut zu verstehen. Günther Schuh dachte gegen den Konsensus der ausbeuterischen Größen-Fantasie unserer Automobil-Industrie - gegen deren Marketing-Politik, dass 1) nur das Automobil, das viel kann, zählt (schnell fahren, weit fahren, abseits fahren mit großer Ladefläche und großem Komfort) und dass 2) das Auto mit Elektromotor das auch können muss. Muss es nicht. Ein kleines Auto reicht. Meine Arbeitsstelle lag 50 km entfernt. Mehr als 100 km am Tag bin ich selten gefahren. Wenn man in der Stadt wohnt, kann man damit auskommen. Was braucht man noch? Ein sehr komfortables System des öffentlichen Verkehrs. Wer auf dem Land wohnt, steht anders da.

Mit anderen Worten: das von den Aachenern auf eine gängige Praxis auslegte Automobil ist die erste im großen Umfang realisierte vernünftige Antwort auf die Frage nach der Veränderung unserer Bewegungspraxis. Warum müssen wir so viel Geld für ein Auto ausgeben? Wer braucht ein Auto mit 300 PS und einem Drehmoment von 600 Newtonmetern? Wer einen Wohnwagen oder ein Schiff in den Urlaub ziehen möchte. Wie viele Leute sind das?

Mit anderen Worten: die Aachener haben Erfolg mit ihrem Konzept der kleinen mobilen Brötchen. Wo der Strom herkommen soll, wenn viele Andere kleine Brötchen backen wollen, ist die nächste Frage. Man muss das Automobil mit seinem Verbrennungsmotor nicht verbieten. Man muss sich zu einem vernünftigen System der Bewegungspraxen durchringen. Die Autoindustrie kann das nicht; sie denkt in Einheiten, die sie teuer verkaufen möchte, nicht an das System.

Das Fernsehen und seine Inszenierung des Politischen: Angela Merkel und Martin Schulz

Die Fernseh-Inszenierung der Aufgeregtheit heißt: Duell.  Aber einen Wettkampf zwischen der Parteivorsitzenden und dem Parteivorsitzenden gibt es nicht: sie ist Bundeskanzlerin, er war Präsident des Europäischen Parlaments. Die vergnügliche Fantasie vom Wettkampf ist unangemessen. Es ging am Sonntag, dem 3.9.2017, um die Frage, wer welche politische Substanz repräsentiert. Die Frage wurde nicht geklärt. Die vier Journalistinnen und Journalisten waren lahme Stichwortgeber und konfrontierten Angela Merkel und Martin Schulz ungenügend. Die erste Frage stellten sie Martin Schulz; er hatte die Kanzlerin mit der These kritisiert, sie würde (sinngemäß) unsere Demokratie zerstören. Angela Merkel damit zu konfrontieren wäre vielleicht aufschlussreich gewesen: hinsichtlich ihrer alternativlosen (konzeptionslosen) Politik im Dienste des Machterhalts, die sich gewissermaßen von selbst, ohne parlamentarische Diskussionen ergibt. Die  Journalisten trauten sich nicht. Sie schützten unsere Kanzlerin. Sie waren schlecht vorbreitet. Der Fernsehabend, mit großem Tamtam angekündigt und beendet, war eine Veranstaltung der ängstlichen Vermeidung. So werden politische Prozesse entwertet, verachtet und dem hämischen Vergnügen überlassen.

Mittwoch, 23. August 2017

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) CXIV: manchmal lügen sich Journalisten in die Tasche

Heute Morgen: der Hauptkommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.8.2017, S. 1). "Eine Illusion namens Trump" ist der Titel des Textes von Roland Lindner. Die Politik des U.S.-Präsidenten, schlicht gesagt, holpert; die Chefs führender Firmen sind aus den Berater-Gremien ausgeschieden. Sind sie ernüchtert, wie Roland Lindner vermutet?

Wahrscheinlich nicht. Sie lesen oder lassen ihre relevanten Zeitungen lesen. Ende Januar dieses Jahres schrieb Paul Waldman in der New York Times (31.10.2017): "Trump's history of corruption is  mind-boggling". George Packer schrieb in The New Yorker: "If Trump were more rational and more competent, he might have a chance of destroying our democracy" (1.3.2017).  Charles M. Blow nannte in der New York Times die Präsidentschaft ein ticket to hell (21.3.2017).  Amy Davidson schrieb in The New Yorker vom reckless endangerment des Präsidenten(11.4.2017). Diese Autoren machten sich und ihrer Leserschaft keine Illusionen.

Jetzt ein paar Beispiele aus der Zeitung von den klugen Köpfen für die klugen Köpfe. Am 23.11.2016 überlegte Winand von Petersdorf: "...dass Trump vielleicht doch nicht so realitätsblind ist, wie es bisher erschien". Er war von Stefan Bielmeier (dem Chefsvolkswirt der DZ-Bank) assistiert worden, der in derselben Ausgabe sagte: "Trump agiert rationaler als erwartet". Am 2.3. vermeldete der Kommentar "Neue Töne" des Präsidenten.  Am 21.3.2017 fragte Winand von Petersdorf: "Ist der amerikanische Präsident wirklich so unberechenbar und wetterwendisch wie oft behauptet? Anzeigen, die vor dreißig Jahren erschienen, zeigen: Er ist es nicht". Einen Monat zuvor hatte Klaus-Dieter Frankenberger die Frage einer (leisen) Hoffnung gestellt: "Ist Trump zu seriösem Regieren willens und in der Lage?"

Die bei den Nordamerikanern vermutete (ernüchterte) Illusion ist offenbar die ernüchterte Illusion einiger Kollegen der F.A.Z.-Redaktion, die  Roland Lindner ausspricht. Das Ticket to hell sickert langsam ein. Angesichts der vertrauten öffentlichen Idealisierung oder Idolisierung unserer politischen Repräsentanten ist die nüchterne nordamerikanische Sicht auf ihren U.S.-Präsidenten erschreckend. Die U.S.-Presse nimmt ihren öffentlichen Auftrag, aufzuklären, nachzuhalten und gegen zu halten, sehr ernst.

(Alle Zeitangaben sind die Daten meiner Blogs)

Der Bluff mit der nicht intelligenten Intelligenz

Der Bluff hat einen salonfähigen, respektablen und - wenn man an die Forschungsgelder denkt, die er wie ein Riesen-Staubsauger anzieht - teuren Namen: künstliche Intelligenz. Zugegeben: der Begriff der Intelligenz wird inflationär gebraucht. Was sie ist, ist schwer anzugeben. Selbst die Forscher, die mit ihren Messverfahren, die sie Tests nennen, bescheiden messen  - sie verteilen Rangplätze, aber keine äquidistanten Abstände, so dass niemand genau sagen kann, was einen Intelligenzquotienten von 100 Punkten von  einem Intelligenzquotienten von 101 Punkten unterscheidet - , haben sich auf die schlichte, korrekte Aussage verständigt: Intelligenz ist, was Intelligenztests messen.

Natürlich kann man mehr sagen. Intelligenz ist das Merkmal des Lebendigen. Intelligenz ist die Fähigkeit, etwas zu erfinden. Kann ein Rechner etwas erfinden?  Kann ein Rechner, was ein Kleinkind kann - eine selbstverständliche Leistung eines Kleinkindes - , in einem Bauklotz eine Lokomotive erkennen? Nein. Er muss alles gesagt kriegen. Er kann nicht  erfinden. Er kann rechnen und rechnen und rechnen. Er kann Häufigkeiten nach bestimmten Regeln sammeln und sie verklumpen und abermals verklumpen und abermals verklumpen nach bestimmten Regeln (zu Verdichtungen von korrelierten Häufigkeiten) - organisiert von einer Hierarchien von Algorithmen, die sammeln und sortieren. That's it. Das können natürlich Rechner perfekt. Das können wir nicht. Wir sind keine Maschinen.

Deshalb können wir den Rechnern auch nicht viel zutrauen. Sue Halpern machte ein Experiment und ließ sich ihre Identität nach den von Facebook registrierten Likings  bestimmen. Sie erkannte sich nicht wieder (New York Review of Books, 22.12.2016, Nr. 20, S. 32 - 34: They Have, Right Now, Another You). Herauskam, dass ein Facebook-Algorithmus nach den eingegebenen Vorgaben sortiert: wer beispielsweise die New York Review of Books liest, wird als weiblich und lesbisch verrechnet und sortiert, wer eine technische Zeitschrift liest, als männlich. Mit anderen Worten: in die Sortierregeln eines Algorithmus gehen die Vorannahmen, Vorurteile, Klischees, Ressentiments u.s.w.  seiner Erfinder ein. Die Annahme objektiver Daten-Verarbeitungen ist naiv - sie sind mehr oder weniger höchst  unkontrolliert subjektiv.

Jetzt berichtet Sibylle Anderl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.8.2017, S. 9, Nr. 195) über die Computer-errechneten Fehlleistungen: bei dem Erkennnen von Pferden (deren Bilder wurden in einem Rechenverfahren erkannt nach den auf den Fotos ausgewiesenen Copyrights der Fotografen) und bei der Diagnose von Risikopatienten - da fielen Leute mit Asthma, Brustschmerzen und Herzproblemen durchs Raster des Algorithmus, weil diese Patienten offenbar häufig genug einen medizinischen Kontakt haben, so dass sie kein Risiko darstellen. Dieser schlaue Sortiermechanismus oder Algorithmus hat dämliche Folgen. Wobei das Adjektiv dämlich beim Rechner nichts zu tun hat: er ist weder schlau, noch dämlich, er tut einfach, was man ihm eingegeben hat; er ist ein - intellektuelles Nichts. 

So weit so klar. Wenn nur nicht die Journalistinnen oder Journalisten wären, die ihren Kotau vor den forschen Forschern machen und deren Spuk für einen Fortschritt ausgeben - indem sie dem, was die Rechner tun, menschliche Metapher unterlegen und damit plausibel machen:  "Besonders erfolgreich", so  Sibylle Anderl, "sind dabei künstliche tiefe neuronale Netzwerke. Sie bestehen nach biologischem Vorbild aus mehreren Schichten miteinander verbundener künstlicher Neuronen". Wie das? Wie kann man eine Maschine nach menschlichen Prinzipien nachbauen? Nach biologischem Vorbild. Wie neuronale Netzwerke funktionieren, weiß keiner  richtig. Aus heuristischen Gründen nehmen die NeuroNeuro-Forscher an, dass es sie gibt; mit einem Zeigestock können sie dann auf die bunten Bilder zeigen, wo es sie gibt. Ein Bluff jagt den anderen. Diese Forschung (NeuroNeuro und nicht intelligente Intelligenz) ist ein riesiges Geschäft - weshalb wir selten kritische Autorinnen und Autoren lesen können, die den Spuk einmal kräftig durchlüften.

Als erste Faustregel halte ich fest: wer mit menschlichen Metaphern operiert und sie als Verständniskontexte einschmuggelt, ist verdächtig. Leider ist keine Staatsanwaltschaft zuständig.  

Dienstag, 22. August 2017

Die Fantasie vom Freien Markt oder Freien Wettbewerb

Auch Wirtschaftswissenschaftler träumen - sie merken manchmal nicht, dass sie träumen. Vor einer Woche (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.8.2017, S,. 22)  empfahl Peter Bofinger - Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung und (wenn ich mich richtig erinnere) einsame Stimme im Chor der Krämer beim  Streit um das Management der griechischen Schulden - das Gegenmittel zum ökonomischen Fantasieren: eine kluge Industriepolitik des Staates. Der freie Markt ist nicht frei; auf ihn lässt sich gut in den Abgrund wirtschaften. So hat das Peter Bofinger nicht gesagt. Aber seine Beispiele sind: die Banken, die Atomkonzerne, die Autoindustrie. Man kann sie nicht einfach ihrer Geschäftsfreude überlassen.

Eine Woche später in derselben Zeitung (22.8.2017, S. 20) melden sich die Kollegin und die Kollegen (Isabel Schnabel, Lars Feld, Christoph Schmidt und Volker Wieland)  des Beratungsgremiums zu Wort und argumentieren für die Banken und die Atomkonzerne. Ihre Verteidung klingt auch plausibel. Die Autoindustrie haben sie vergessen. Die Abhängigkeit des unfreien freien Marktes von der Ausbeutung der machtvollen kursierenden Fantasien von Status, Reichtum und Macht sehen sie auch nicht. Dabei ist Donald Trump der gewählte Repräsentant der Ellenbogenschubserei auf dem Markt des Reichtums und des Glamours. Jetzt können wir sehen, was ein Herr des Geschäfts mit seinen zerstrittenen Mannschaften und seinen entsetzten, zerstrittenen politischen Kolleginnen und Kollegen anrichtet. Haben wir Grund, die Macht der Geschäftsleute auf dem freien Markt zu feiern? 

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) XXXXXXIII: eine schlechte Zensur ist auch schön

"Der schlechteste Präsident" überschrieb Berthold Kohler seinen Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.8.2017, S. 1). Schlechteste ist der Superlativ des Adjektivs schlecht. Stand es regelmäßig schlecht um die U.S.-Präsidenten? Offenbar. Das ist doch ein Journalisten-Vergnügen: dem U.S. - Präsidenten ein Ungenügend zu verpassen.

Was haben wir von der Zensur? Nichts.

Den Kommentator interessiert - jedenfalls spricht er nicht darüber - weder der mit der Wahl von Donald Trump verbundene Angriff auf das demokratische System der U.S.A., noch die Frage der Krise der Demokratie, noch das zähe Ringen um das Überleben der demokratischen  Institutionen. Die Kündigung der Mitarbeit von Steve Bannon ist auch ein Triumph. Wir könnten ihn ein wenig
mitfeiern. Bei einem Ungenügend kann man sich nur kopfschüttelnd abwenden.

Montag, 14. August 2017

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) XXXXXXII: Grobes Foul

"Übles Kalkül"ist der Titel des Kommentars einer Autorin oder eines Autors - das Autoren-Kürzel: "riw" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.8.2017, S. 8) - zur unscharfen Stellungsnahme des U.S.-Präsidenten zur mörderischen Gewalt in Charlottesville am vergangenen Samstag, den 12.8.22017. Gegen den Komentar ist nicht viel einzuwenden - bis auf den letzten Satz:

"Wie groß der Schaden ist, den Trump sich durch seine moralische Mehrdeutigkeit selbst zugefügt haben mag, bleibt jedoch ungewiss in einem Land, das so von Hass durchsetzt ist wie Amerika". 

So von Hass durchsetzt - wie sind die U.S.A. denn durchsetzt? Das Adverb so suggeriert ein Ausmaß, das allerdings nicht bestimmt wird und darum riesig zu sein scheint. Tenor: dagegen gibt es kein Mittel - der Hass ist riesig. Das Verbum durchsetzen kündigt die (enorme, unaufhaltsame) Macht des Übels an.

Zwei Fragen:
1.  welche Qualität (Intensität) hat er? Man muss von einem Spektrum ausgehen: von einem Hass des (mehr oder weniger stark gepflegten) Ressentiments, das gehört werden will, bis zu einen mörderischen Hass, der nicht mehr kontrolliert werden kann und realisiert werden muss. Man müsste versuchen, seine Handlungsrelevanz zu bestimmen, dann könnte man in etwa die Qualität des Hassens angeben. Die ist natürlich nicht einfach herauszufinden.
2. wie ist er im Land verteilt?  Man müsste seine Verteilung bestimmen, um sagen zu können, wie durchsetzt die Vereinigten Staaten sind.

Liest man etwas von der U.S.-Presse, sieht man: der Protest gegen den faschistoiden Rassismus und gegen den Versuch, ihn zu verleugnen, ist kräftig und eindeutig. Die U.S.A. sind nicht durchsetzt. Bleibt die Frage, weshalb der Kommentar diesen Ton der Verachtung anschlägt. Meine Vermutungen: Er missversteht den Affekt des Hassens. Er unterschätzt die nordamerikanische Demokratie. Er missversteht die Demokratie, in der das robuste Ringen um Zivilisiertheit politischer Alltag ist oder sein sollte; auf Zehenspitzen kann man sich schlecht bewegen. Er ist gut eingestimmt auf die wohl temperierten bundesdeutschen Auseinandersetzungsformen -  bei denen der laute Affekt als Entgleisung quittiert wird: neulich (am 30.6.2017) bei Johannes Kahrs, dem SPD-Politiker, der der Kanzlerin für ihre Hinhalte-Technik ironisch und aufgebracht dankte, die Diskussion der Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare systematisch vertagt zu haben, bis sie sich, so Kahrs, wie damals Günter Schabowski (am 9.11.1989) verstolperte und die Abstimmung im Parlament gestattete.

(Überarbeitung: 15.8.2017)  

Dienstag, 8. August 2017

Bekanntes von der betrügerischen Heiligen Kuh CXI: ihre Hüter werden spendabel. Wieso?

Jetzt gibt es bei unseren Autoherstellern Prämien beim Kauf eines neuen Wagens. Das ist doch großzügig, nicht wahr? Die alten Stinke-Schätzchen (wenn sie ziemlich alt sind) können gegen ein
neues Nicht-so-Stinke-Schätzchen eingetauscht werden. Können - wenn die betrogenen und gebeutelten Besitzerinnen und Besitzer mitspielen im Vertuschungswettbewerb der Betrüger.

Bekanntes von der betrügerischen Heiligen Kuh XXXXXX: eine Laien-Vermutung

Die versprochenen neuen Motor-Einstellungen, die die Verbrennung regeln sollen, sind offenbar knifflig einzurichten und haben, anders  behauptet, Folgen: wenn ich mir den Fall des Familienvaters nehme, dann kann eine neue Motor-Regelung dafür sorgen, dass weniger Stickoid ausgestoßen wird, aber mit der Folge, dass mehr Ruß erzeugt wird. Dann entfällt das Argument des geringen Kohlenstoff-Ausstoßes. Es sei denn, man baut den Diesel-Motor um und eine aufwändige Lösung ein. Das kann oder will die Autoindustrie nicht: zu teuer.

Jedenfalls hat Porsche  angekündigt (heute nachzulesen in der F.A.Z.), keine Diesel-Motoren mehr einzubauen. Ob die Leitung des VW-Konzerns eine so klare Linie gutheißt? Wir werden sehen.

Neues und Bekanntes von der betrügerischen Heiligen Kuh XXXXXIX: Es klappt nicht, aber der BMW-Chef behauptet das Gegenteil

Ein Fall aus meiner Familie: der Familienvater (drei Kinder) fuhr mit seinem Touran in die VW-Werkstatt, um das Software-Update aufspielen zu lassen. Es ging nicht. Es gab eine Fehler-Meldung. Die alte wollte die neue Software nicht - wie sagt man: aufnehmen? integrieren? Es geht also nicht so einfach wie mit einer gängigen Rechner-Software.

Was sagt uns das? Der als Lösung angekündigte Eingriff ist ein schwerer Eingriff. Die existierende Software ist das Produkt intensiven Tüftelns. Würde man Karl Poppers (strenges) Falsifikationskriterium anlegen, dann müsste man sagen: der Vorschlag von VW ist gescheitert. Ein Fall reicht. Nun hat sich im Wissenschaftsbetrieb herumgesprochen, dass man eine Theorie schlecht mit einem Experiment widerlegen kann. Okay. Wir haben: ein Gegenbeispiel.

Interview mit dem BMW-Chef, abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (6.8.20167, S. 21), Harald Krüger. Er sagt: "Der Diesel kann sich sehen lassen". Er sagt: "Immerhin werden durch die Updates der Hersteller die Stickoxid-Emissionen um 25 bis 30 Prozent reduziert".
Frage: "Verliert der Diesel durch das Update an Leistung?"
Harald Krüger: "Nein. Das kann ich ausschließen. Das Update führt hier zu keinen Einbußen".
Frage: "Wie lange dauern diese Updates?"
Harald Krüger: "Das geht nicht ganz so schnell. Die Softwarepakete sind heute schon in der Entwicklung. Die letzten werden Mitte 2018 fertig sein. Das häng auch an der Genehmigungsdauer des Kraftfahr-Bundesamtes".

Was sagt uns das? Es ist etwas versprochen worden - neulich, beim großen Treff - , das es noch nicht gibt. Harald Krüger nennt Zahlen, die noch nicht erhoben wurden. Woher weiß er das? Er weiß es nicht, er behauptet es. Leider ließen sich die Journalisten Corinna Budras und Rainer Hank damit abspeisen. Ob der Herr so überzeugend wirkte?  Gekonntes Bluffen ist nicht einfach.      

Freitag, 4. August 2017

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) XXXXXXI: Seltsame Konzeptlosigkeiten

Journalistische Autorinnen und Autoren weisen selten ihre Konzepte aus - man muss sie, wenn sie sich in den Texten andeuten, erschließen. Ich verfahre nach dem (methodischen) Prinzip: dem Satz oder der Formel, der oder die mich zu beschäftigen beginnt, gehe ich nach. Zwei Beispiele aus der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4.8.2017, Seite 15 (Autor: Hendrik Wieduwilt), und vom 1. und 2.8.2017, Seite 1 und Seite 3 (Autor: Andreas Ross).

1. "Sammelklagen nur mit Wucherschutz" (4.8.2017). Diese beiden Sätze gingen mir nach:
"VW Kunden in Amerika konnten zum Beispiel schon für manipulierte Abgaswerte kassieren. Der Gerechtigkeit dient das nicht". "Gerechtigkeit" ist ein wirklich schweres Wort: ein demokratisches Ideal (in unseren Lebensverhältnissen); es wird in der Praxis der Jurisdikative ausgehandelt und öffentlich abgestimmt (Bernhard Schlink: Praktische Gerechtigkeit im MERKUR 805 vom Juni 2016). Was ist gerecht bei einem massiven Betrug? Wenn man massiven Betrug als einen Angriff auf das institutionelle demokratische Gefüge versteht, dann ist eine drastische Strafe und eine großzügige Entschädigung - gerecht. Dann wird auch nicht kassiert. Mit anderen Worten: der Autor hat für das institutionelle Gefüge kein ausreichendes Konzept und offenbar nicht verstanden, weshalb in den  U.S.A. Betrug schwer bestraft wird.

2. "Führungsloses Amerika" (1.8.2017). Andreas Ross listet die Turbulenzen der gegenwärtigen US.-Präsidentschaft auf und bilanziert: führungslos. Unser Grundsgesetz sagt über die Aufgaben des Kanzlers: er oder sie "bestimmt die Richtlinien der Politik". Es spricht nicht von Führung - das Wort vom Führer ist uns ja mächtig vergällt worden. Von diesen sprachlichen Feinheiten abgesehen, ist die Formel "Führungsloses Amerika" unpolitischer Kokolores: die Politik eines demokratischen Landes - wie immer realisiert - ist das interaktive Produkt komplizierter Prozesse des Aushandelns vieler Protagonisten. Dass Andreas Ross Politik als die Leistung eines Führers konzipiert - verdichtet in dem Titel seines Textes - ist erstaunlich und ein alter Hut und wird bei uns repetiert in dem Interesse an den Bewegungen unserer Kanzlerin, mit welchen Taktiken sie ihr Machtinteresse sichert.

Dagegen sprach David Cole von "Trump's Constitutional Crisis" (The New York Review of Books Nr. 10, 8. - 21.6.2017). Konstitutionelle Krise: ist das Wort für ein Konzept politischer Prozesse - und das drastische Wort für das nordamerikanische Missvergnügen an der gegenwärtigen Präsidentschaft. Erstaunlich ist, wie sehr Andreas Ross die  Gefahr der Zerstörung des institutionellen Gefüges der U.S.A.  unterschätzt. Damit ist er nicht allein. Bei uns dominiert offenbar das Vergnügen an einer Variation der House of Cards. Ich wundere mich sehr, wie wenig alarmiert unsere Öffentlichkeit hinsichtlich der demokratischen Krise in den U.S.A. ist. Meine Vermutung: so richtig herumgesprochen hat sich bei uns die institutionelle Bedeutung interaktiver demokratischer Prozesse noch nicht.

Mein Beleg: der zweite Text von Andreas Ross: "Zehn Tage unbedingter Liebe". Der Pressechef Anthony Scaramucci wurde nach zehn Tagen Amtszeit entlassen. Der Titel ist für eine ernsthafte Berichterstattung - hanebüchen. Ich zitiere einen Satz aus dem Kontext:

"Vielleicht findet der pensionierte Generalleutnant Flynn, gegen den verschiedene Ermittlungen laufen, jetzt Trost darin, dass er sich immerhin doppelt so lang im Weißen Haus gehalten hat wie Scaramucci". Es gibt für uns keinen Grund zum Schenkelklopfen über eine vermeintliche Form politischen Klamauks.         

Mittwoch, 2. August 2017

Neues von den betrügerischen Hütern der Heiligen Kuh: CVIII: the shoot-out is finished

Gestern (am 2.8.2017) leitete Ingo Zamparoni von den Tagesthemen die Nachrichten vom Berliner Treffen tatsächlich mit dem Wort vom showdown ein. Aber leider qualmte es in dem Raum, in dem die Riesen-Runde sich traf, nicht richtig. Die Patronen wurden verschossen. Es blieb alles beim alten. Die Leute von der Autoindustrie drängten, erpressten, blufften und zogen sich als großzügige Ehrenmänner aus der Affäre - ich war nicht dabei; mein Eindruck und Fazit sind erschlossen.

Es war und ist das repetive Argument, das fast so alt wie die Bundesrepublik ist: die Arbeitsplätze, die Arbeitsplätze, die Arbeitsplätze.... unserer ach so bedeutenden, entscheidenden Schlüsselindustrie - Exportweltmeister! So wurde früher ähnlich gegen die Tempolimits gedroht: weil die Autos bei uns hohe Geschwindigkeiten fahren können, haben sie einen guten Ruf, der Schaden nehmen würde, wenn ....

Die Autoindustrie ist mit ihrem Raum-greifenden Imperialismus und mächtigen Produkten neben der allmählich demontierten Atomindustrie der teuerste Luxus, den sich die Bundesrepublik mit ihren enormen Subventionen leistet; sie verursacht die höchsten Kosten: Menschenleben und Menschenleiden, Infrastrukturschäden (Straßen, Brücken, Städte, Zersiedlung, und Verdichtung der Landschaften), Zerstörung und Ausbeutung unserer natürlichen Umwelt, Verschwendung unserer Ressourcen - habe ich etwas vergessen? Mit anderen Worten: die Jungs oder die Herren von der Autoindustrie sollten kleine Brötchen backen.

Das Tolle ist: sie müssen nicht. Sie geben sich sicher und drücken zugleich auf die Tränendrüsen.
Was für ein Schauspiel!

Natürlich brauchen wir das Auto. Die Frage ist: welchen Platz es einnehmen soll in unserem Verkehrssystem. Ob wir das je nüchtern, kritisch und substanziell diskutieren können?

Und jetzt?
Jetzt muss schleunigst geprüft werden, was bei den paar Klicks für die Motoren-Software am Auspuff herauskommt. Eine kleine Strichprobe sollte fürs erste reichen. Eine internationale Institution sollte das prüfen - eine, die nicht eingelullt worden ist von den Fantasien einer Branche, die hartnäcktig darauf besteht, weiter fantasieren zu können.

Montag, 31. Juli 2017

Polit-Pomp: der "Diesel-Gipfel"

Eine Farce läuft vor unseren Augen ab.
Dass die Formel vom Diesel-Gipfel sich ausbreiten und festsetzen konnte in der öffentlichen Diskussion, ist ein schlechtes Zeichen. "Gipfel" ist ein Worte-Import aus dem Englischen. Beim  summit wurden langfristige politische Konzeptionen zu entwickeln, auszuhandeln und festzulegen versucht. Jetzt am Mittwoch auf dem "nationalen Forum für den Diesel", wie diese Verabredung laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung heute (am 31.7.2017) offiziell heißt, geht es um die Folgen des strafrechtlich relevanten Betrugs unserer größten Automobil-Hersteller. Gipfel ist das verlogene Spaß-Wort für das vermeintlich lustige Abrechnen einer ratlosen Regierung mit den mächtigen Herren und für das  Desinteresse an einer substanziellen Diskussion.

Um welche Folgen geht es? Um die Nachbesserungen der verfuschten Fahrzeuge. Das aber ist doch selbstverständlich: wer betrügt, kommt für den Schaden angemessen auf.  Die Krämer der Industrie wollen am liebsten nix zahlen - ein paar Klicks sollen reichen.Sie haben alles nur getan im Dienste des nationalen Geschäfts, mit dem unser Wohlstand erhalten wird. Wieso kommt einem dieses Muster so bekannt vor: die Betrüger gerieren sich als Opfer. Gibt es niemanden in unserer Regierung, der sich erinnert oder sich zu erinnern traut? Warum rollt unsere Regierung den roten Teppich des Gipfels - der heimlichen Anerkennung aus? Warum stellt sie nicht einfach Forderungen? Im exklusiven Einzelgespräch?  Es genügt, dass sicher gestellt wird, dass die nachgebesserten Fahrzeuge die gesetzlichen Normen erfüllen. Ist das so schwer durchzusetzen?

Offenbar gibt es eine Scheu, das Selbstverständliche von den Herren der Pferdestärken zu verlangen. Es ist so einfach, nur an die Verbrennungsmotoren zu denken.  So tritt man niemandem auf die Füße. Wo ist die verkehrspolitische und energiepolitische Konzeption, die Öffentlichen Verkehr, Radfahr-Verkehr, die Bewegungen der Passanten im öffentlichen Raum und den privaten und geschäftlichen motorisierten Verkehr zusammenbringt und aufeinander abstimmt? Die gibt es nicht.

Freitag, 28. Juli 2017

Angela Merkel VI: die Maut-Kanzlerin

Unsere Automobilindustrie schlingert - für sie gibt es leider kein EPS. Dessen Funktion hätte eine  vernünftige Verkehrspolitik realisieren müssen. Die gab es bei uns nicht. Immerhin wurde unter mächtigem Getöse von einigen mutigen Leute die Sicherheitsgurt-Gesetzgebung eingeführt. Das war in den 70er Jahren und ist lange her. Damals gab es die Warnung von der Begrenzheit der Öl-Ressourcen und vier so genannte Auto-freie Sonntage. Es gab eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Landstraßen (auch ein Riesen-Gedöns) und eine Geschwindigkeits-Empfehlung für Autobahnen. Eine Empfehlung ist eine Empfehlung. Im deutsch-bundesdeutschen Kontext heißt das: was nicht verboten ist, ist erlaubt.  Eine Bemerkung von Wolf Zuelzer zu den möglichen Lehren aus der politischen Korruption, die mit dem Namen des Appartment-Blocks Watergate verbunden ist, aus dem Jahr 1975 (in seinem Buch Selbstzerstörung der Demokratie) geht mir nicht aus dem Kopf: "Man darf das System nicht allzu stark belasten" (S. 28). Er meinte: das demokratische System.

Man muss sich zurückhalten und sich für das Gemeinwohl bescheiden. Die Autoindustrie hat sich nicht demokratisch verhalten und sich für das Gemeinwohl nur soweit interessiert, wie es ihrem Geschäft diente. Der strafrechtlich und zivilrechtlich relevante Betrug spricht eine deutliche Sprache. Sie hat geklotzt auf Teufel komm' raus - und hat die Wünsche und Fantasien ihrer Kunden gut bedient. Im Zusammenspiel mit einer lahmen Verkehrspolitik (deren Repräsentanten gern in die großen Autos einsteigen und die Auto-Herren umarmen) und mit denjenigen Protagonisten der öffentlichen Diskussion, die sich als Lautsprecher und Vermittler der Fantasien und Wünsche verdingen und mitspielen und mitprofitieren. Dabei hat unsere Automobilindustrie - zumindest ihre leitenden Damen und Herren - im protzigen Tagesgeschäft einzukalkulieren vermieden, dass unsere Gegenwart eine Zukunft hat.

"Mit mir gibt es keine Maut", hat unsere Kanzlerin im vorletzten Wahlkampf erklärt. Die Maut kam - mit einem unsäglichen, teuren Theater. Die Theater-Vorstellung läuft noch - wahrscheinlich noch
eine ganze Weile. Sie beschäftigt eine Vielzahl von Beamten, Politikern und Journalisten, die ihre Zeit und die Zeit der die öffentliche Diskussion verfolgenden Bürgerinnen und Bürger missbrauchen für eine Wahl-taktische Farce. Sie passt zu der einzigen präzisen, weil offenbar unkontrollierten  Aussage unserer Kanzlerin - die ich kenne - : Regieren ist permanenter Wahlkampf. Der Satz ist ein demokratisches Missverständnis. Regieren ist das strapaziöse Werben für und Durchsetzen von politischer Substanz. 

Und jetzt? Hat unsere Regierung eine Idee?
Heute, am 28.7.2017, kann man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen:
"Das absehbare Ende des Verbrennungsmotors. Konkrete Termine für das Ende von Diesel- und Benzinmotoren gibt es nicht. Doch die Bundesregierung hat schon einen klaren Fahrplan".

Das Wort vom klaren Plan ist eine Lüge. Die zuständige Journalistin oder oder der zuständige Journalist refriert vage Vorhaben à la eine  Million Fahrzeuge mit Elektromotoren bis 2020, aber keinen klaren Plan.  So wird eine substanzlose Politik aufpoliert und verkauft und toleriert. Das Erstaunliche ist: diese Zeitung für die klugen Köpfe - wer immer die Politik der Redaktionen bestimmt - realisiert nicht: dass der Betrug der Automoblindustrie einen Angriff auf unsere demokratischen Institutionen bedeutet. Der Aufschrei der Maut-Kanzlerin bleibt aus. Unter Freunden betrügt man nicht. Wieso auch? Sie muss zuerst eruieren, wie die Wählerschaft betroffen ist und die Wahl-Chancen aussehen. Dass wir unsere Lebensformen dringend verändern müssen, hat sie noch nicht verstanden. Wieso auch? Sie und ihre Mannschaft sind plan- und hilflos - vor lauter Wahlkampf denken sie nur an Wahlkampf. Vielleicht ist mehr nicht drin.

(Überarbeitung: 2.8.2017)

Neues von der Heiligen Kuh XXXXXVII: sie kann nicht länger draußen bleiben

Das Cayenne-Modell mit dem Drei-Diesel muss in die Werkstatt und darf nicht weiter gebaut werden. "Höchststrafe für Porsche" titelt Martin Gropp seinen Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von heute (27.8.2017, S. 1). Höchststrafe. Was ist das? Niemand ist verurteilt worden. Martin Gropp meint: das geht ganz schön gegen Porsches Stolz. So sympathisiert der Journalist mit der Autofirma, die mit der Lizenz zur Verschwendung durchs Bolzen-Können ihr Geschäft  betreibt. Schlimm? Es ist doch gut, wenn der Straßenverkehr nicht mehr Herren-Verkehr, sondern gelassener Transport ist.

Neues von der Heiligen Kuh XXXXXVI: good news are bad news

Schlagzeile in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 10.7.2017 (S. 22) - Schriftgröße: 24 Punkte: "ENBW baut an Autobahnen 1000 Ladesäulen für Elektroautos". Ein Tausend! Das ist doch was. Liest man den Text, erfährt man: das Aufladen eines Fahrzeugs mit Elektromotor dauert 30 Minuten.
Dreißig Minuten. Dann werden die Batterien sicherlich ganz schön heiß. Kann man dann losfahren? Wie lange dauert das Auftanken mit der Zapfpistole - vom Aussteigen bis zum Einsteigen? Zehn Minuten? Wenn die Zapfsäule für einen frei ist. Wieviele Ladesäulen braucht man
dann? Schwer zu sagen. Zum Glück müssen nicht auf einen Schlag die Zapfsäulen ersetzt werden. Aber überschagen wir: für eine Zapfstation wären drei Ladestationen nicht schlecht.

Da muss dann eine Menge verlegt werden: nicht nur  die dicken Steckdosen, sondern auch die
dicken Kabel, für die dann die Zuwege aufgerissen werden müssen, was den Platz  an den Tankstellen verknappt und Wartezeiten für die Kunden mit den Verbrennungsmotoren bedeutet. Mit anderen Worten: was einfach aussieht, ist nicht einfach. Elektrifizierung ist schwierig. Die Bahn hat's geschafft. Die stellt ihren eigenen Strom her. Vielleicht sollte man die Leute von der Bahn ranlassen, nicht die Leute eines Atomkonzerns, die sich umzustellen beginnen und mächtig dazu lernen müssen. 

Freitag, 14. Juli 2017

Neues von der Heiligen Kuh XXXXXV: die Weiden werden knapp

Sie erinnern sich noch an das Thermofenster, das die Mercedes-Leute vor einiger Zeit einführten, um ihre Not mit dem Diesel-Motor  zu erläutern? Er muss erst warm laufen und seine Abgase komplett loswerden, bevor sie gefiltert werden können. Wie lange muss das Fenster  geöffnet bleiben? Sagten die Mercedes-Leute nicht. Aber sie sagten genug: der Diesel braucht zu lange.

Vor ein paar Monaten haben wir unseren Mercedes-Diesel verkauft. Baujahr: 2005. Laufleistung: 310.000 km. Ein gut zu fahrendes Auto. Der dritte Turbolader war gerade eingebaut worden. Jetzt
war das Aggregat, das den Motor zusätzlich aufheizt, damit er auf Betriebstemperatur kommt, ausgefallen und sollte teuer ausgetauscht werden. Das war uns genug. Seitdem fahren wir einen
Mercedes-Benziner. Ob das besser ist, muss man sehen. Aber der Ausfall des Aufheizungsaggregat lehrt: die Diesel-Technik ist kompliziert und teuer. Sie wird am Leben gehalten mit Tricks & Täuschung. Der Betrug ist auch ein Schutzmanöver - für welche Interessen auch immer. Er spricht eine deutliche Sprache. Man muss sie nur ernst nehmen.

Was sagte unsere Kanzlerin vor ein paar Tagen? Laut F.A.Z. vom 12.7.2017 (S. 17): "Wir haben den Diesel immer protegiert und sollten deshalb auch nicht einfach abrücken, weil er weniger CO2-Emissionen verursacht". Unsere Regierungen haben die Autoindustrie schon immer protegiert und ihr die Verkehrspolitik überlassen. Jetzt wickelt sie sich ab - und wir kriegen die Quittung für die grandiose, Milliarden-verschwendete, automobile Hochrüstung der letzten fünf Jahrzehnte. Jetzt sollen wir - drängt die Automobilindustrie - einen Verkehr bekommen, der wie ein großzügig subventionierter Nahverkehr daher kommt und mit dem euphemistischen Etikett autonomes Fahren propagiert wird: wie auf Schienen, fein geordnet hinter- und nebeneinander in mäßigem Tempo werden wir uns dann bewegen können. Aber wahrscheinlich ist das autonome Fahren eine der verzweifelten industriellen Zuckungen, im Geschäft zu bleiben. Denn wer soll das bezahlen?

Wie kommentiert die F.A.Z. die Tragödie politischer und industrieller Blindheit? Abteilung Wirtschaft, S. 17 (14.7.2017): "Der Abgasskandal kommt Daimler näher" - lautet die Schlagzeile. Die Katastrophe kommt - von irgendwoher. Nein, sie kommt von - von den Mercedes-Leuten. Offenbar sollen die Mercedes-Leute nicht verantwortlich sein: irgendein Wetter schlägt gewaltig um und setzt ihnen zu. Die (redaktionell zuständigen) Leute von der Zeitung aus Frankfurt gehen erst einmal in Deckung.


(Überareitung: 16.7.2017)

    

Mittwoch, 31. Mai 2017

Neues von den Züchtern der Heiligen Kuh XXXXXIV: die Welt ist ungerecht

Wahrscheinlich finden nur Rentner - abgesehen von den professionellen Leserinnen und Lesern, die für ihre Chefs die Ausschnitte für die Pressemappen sammeln müssen - die Zeit, die Zeitung ganz durchzublättern. So fand ich dieses (ich wartete auf die Nachricht):

"VW-Kanzlei scheitert im Streit um beschlagnahmte Unterlagen" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.5.2017, S. 24, Nr. 122). "Bundesverfassungsgericht lehnt Antrag von Jones Day ab".

Sie erinnern sich? Neulich gab es diese Razzia, während der Audi-Chef seine guten Nachrichten mitzuteilen versuchte. Zwei längere Sätze der Zeitung:

"Im Streit um die Auswertung von beschlagnahmten Dokumenten zum Dieselskandal muss Volkswagen einen Rückschlag hinnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat einen Antrag abgelehnt, mit dem die vom Konzern beauftragte Anwaltskanzelei Jones Day erreichen wollte, dass die bei einer Razzia im März sichergestellten Beweismittel vorerst nicht verwendet werden können".

Oh je oh je: im Dieselskandal ein Rückschlag! Wenn doch nur der Skandal ein Skandal wäre!

"VW fürchtet", schreibt cmu - so das Kürzel der Autorin oder des Autors - , "dass belastendes Datenmaterial in die Hände der Staatsanwaltschaft geraten ist und hält das Vorgehen der Ermittler 'in jeder Hinsicht für inakzeptabel'".

In jeder Hinsicht: diese Formel muss man nachschmecken. Sie soll den Einspruch bekräftigen. Natürlich muss die Sicherstellung der Beweismittel korrekt verlaufen sein. Aber zumindest muss doch die Frage erlaubt sein, wieso hinsichtlich der Ermittlung einer gravierenden Straftat ein Unterschied gemacht werden soll zwischen der nordamerikanischen und der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit; das mag rechtlich legitim sein, ist aber moralisch korrupt. Mit anderen Worten: die Auftraggeber der Kanzlei sind unverfroren - nur das Geschäft zählt und das Aktienvermögen wird mit Klauen & Zähnen verteidigt. Wer mag wohl für diese Rechts-Taktik verantwortlich sein? Einmal dürfen Sie raten.

Dienstag, 30. Mai 2017

Neues von der Heiligen Kuh XXXXXIII: Forschungsschrott

Der T.Ü.V. hat eine Umfrage gemacht - zum so genannten autonomen Fahren. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 23.5.2017 (S. 21) darüber. "Autonomes Fahren genießt viel Vertrauen", heißt ein Fazit. "Immerhin drei von vier Autofahrern können sich vorstellen, dass der Fahrzeugrechner das Steuer übernimmt". 75 Prozent! Junge, Junge, was die für eine Fantasie haben!

Andererseits, so die Nachricht, gebe es auch einen "Widerspruch": nur die Hälfte sei überzeugt, dass es der Industrie gelingt, sichere und zuverlässige Technik auf den Markt zu bringen. Umfragen, was man in der Zukunft zu tun beabsichtigt, ergibt regelmäßig Kokolores. So fragt man gute Vorsätze oder irgendein lahmes Interesse ab.

Ohne Fahrprobe mit einem Auto und der Rechner- und Sensoren-Technik geht es nicht. Es müsste einem endlich gesagt werden - was nicht schwer sich vorzustellen ist -: dass das Autofahren nicht mehr das Autofahren sein wird, das wir kennen: sehr verlangsamt mit sparsamen Fahrmanövern - wie auf Schienen. Kein PS-Bolzen mehr, kein Drücken und Drängeln, kein Macht-Vergnügen. Man kann sich das jetzt schon ein wenig vorstellen, wenn man im eigenen Auto einige dieser Fahr-Assist-Systeme hat: der Abstandswarner kommt überraschend; manchmal weiß ich gar nicht, wovor er warnt; die Tankanzeige besteht plötzlich auf sofortigem Tanken, auch wenn man noch 60 km fahren kann; der Spur-Kontrolleur kontrolliert messerscharf und fordert eine Kaffeepause kurz vor dem Ziel meiner Fahrt und bleibt unerbittlich im Display stehen ... der Überraschungen sind viele, und ich weiß nicht, was die Ingenieure alles noch eingebaut haben. Man kann auch auch Bonus-Kilometer, die auf einem grünen Tacho registriert werden, einfahren.... wir werden die errechnet?

Das so genannte autonome Fahren wird zuerst einmal ein Fahren der Aufgeregtheit werden: wie lernt man sein Auto zu kontrollieren, ob es richtig kontrolliert und richtig eingreift. Wahrscheinlich werden das nur die jungen, virtuosen Leute können, die mit einem Daumen einen Riesen-Text auf ihrem iPhone zu schreiben in der Lage sind. Die anderen gehen zu Fuß oder nehmen ein Taxi. Mit einem Wort: das Rechner-gesteuerte Kutschiertwerden - vom Auto-Fahren kann man nicht mehr reden - ist der Mega-hoax der I.T.-Industrie, die der Autoindustrie ein paar Atemübungen verschafft, mit denen  der Diesel-Antrieb noch ein wenig am Leben gehalten werden kann, während der Otto-Motor ..... ja, was ist mit ihm?  

Angela Merkel IV: Polit-Kitsch

Donald Trump was in Italy.
Unsere Kanzlerin war unzufrieden mit der Begegnung. Was hatte sie erwartet? In der Pressekonferenz dort und in Bayern im Festzelt sagte sie: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt". Und: "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen".

Den letzten Satz hatte sie Ende Januar gesagt. Die Wiederholung macht den Kitsch nicht weniger süßlich. Was haben sie und ihre Leute in der Zwischenzeit überlegt? Offenbar nichts Kommunizierbares. Wie also sollen wir Europäer unser Schicksal in die Hand nehmen? Wer sind die Europäer? Gemeint sind doch wohl: die europäischen Regierungen? Merke, Merkel: sie hält sich raus; sie bleibt unscharf; sie ist rührselig: wir Europäer! Die europäischen Regierungen sind  zerstritten und sich - vorsichtig gesagt -  gram. Nächste Frage: wie nimmt eine Regierung ihr Schicksal in die Hand? Wie nimmt man sein Schicksal in die Hand? Berlin ist von mir 600 km entfernt. Ich kann kein Losprusten hören. Wo bleibt das kräftige Lachen? Die Zeitung für die klugen Köpfe titelt heute Morgen beflissen:

"Merkel: Wir Europäer müssen unser Schicksal in die Hand nehmen" (29.5.2017, S. 1).

Unsere Kanzlerin richtet sich nach dem in Umfragen ermittelten mainstream - sie sagt, was man ihr sagt. Also stimmt sie in den Chor der Verachtung des amtierenden U.S.-Präsidenten ein. Das ist zu einfach. Und nicht demokratisch. Und unklug. Der U.S.-Präsident wurde gewählt und repräsentiert den Aufschrei des Missvergnügens seiner Wählerinnen und Wähler. Der Aufschrei kommuniziert eine Lebensverzweiflung. Die muss ernst genommen und verstanden werden. Zudem hält Politik die Türen offen. Auf einmal spuckt unsere Kanzlerin große Töne und vergisst unser Angewiesensein und unsere Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten und erinnert sich schlecht. Was soll die Formel: sich je völlig verlassen zu können? Was war mit den Freunden, die einen abhören? Eine unausgesprochene Kaskade der Missverständnisse und des Unverständnisses. Als würden uns die paar Mark Wirtschaftsbilanz-Überschuss unabhängig machen. Wer glaubt, dass Reichtum einen reich macht? Es sind immer nur die guten, kreativen Beziehungen, die einen reich machen. Wie steht es darum bei einer Kanzlerin der ausladenden Gesten bei der Vermittlung der Geschäfte? Die andere, ungeklärte Frage ist: Wie abhängig ist die Bundesrepublik? Welche Rechte, die wir nicht kennen, haben die Alllierten? Fragen über Fragen. Polit-Kitsch ist die Rhetorik der Hilflosigkeit, der Konzeptionslosigkeit und des verwalteten Stillstandes. Eine Politikerin, die vom Schicksal spricht, sollte keine Politik machen. Ein Schicksals-Politiker aus den 30er und 40er (erste Hälfte) Jahre des vorigen Jahrhunderts reicht.

Drei andere Vermutungen zur Lähmung der Sozialdemokratischen Partei: von Florian Meinel


Florian Meinel hat sich neulich in seinem Text Regierung ist Mist. Manchmal ist eben fehlendes Misstrauen das Problem: Warum trtaut sich die SPD nichts zu? gewundert, dass die Sozialdemokraten die enorme Popularität von Martin Schulz nicht dazu benutzt haben, mit einem Misstrauensvotum nach Artikel 67 des Grundgesetzes einen neuen Bundeskanzler zu wählen
(in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19.5.2017, S. 9, Nr. 116). Helmut Kohl tat es. So kam er ins Amt. Ja, das Grundgesetz müsste man kennen. Florian Meinel wundert sich auch, dass nicht einmal erwogen worden sei, dieses parlamentarische Mittel anzuwenden. Er vermutet dreierlei:
1. In der großen Koalition ist der Machtinstinkt der Sozialdemokraten verkümmert.
2. Die Sozialdemokraten scheuten das Risiko.
3. Das Parlament ist depotenziert. Florian Meinel sagt das so nicht - er schreibt: "Es ist deswegen eine offene Frage, ob der Bundestag noch die institutionelle Autorität aufbrächte, über ein konstruktives Misstrauensvotum einen Regierungswechsel ohne Wählerauftrag einzuleiten".

Florian Meinels dritte Vermutung ist schwerwiegend: unser Parlament ist kein Parlament mehr. Die Essenz der Demokratie - der Streit - hat sich verflüchtigt. Das ist nicht so neu, aber einleuchtend. Die vermeintlich alternativlose Politik erstickt. Das Parlament arbeitet mit Eifer seine Tagesordnung des  Nickens ab. 

Dienstag, 16. Mai 2017

Drei Vermutungen zur Lähmung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Die Landtagswahl in NRW war für die sozialdemokratische Partei kein Erfolg. Sie haben, von Ferne gesehen, eine schlechte Figur abgegeben: zu ängstlich, zu sehr in der Defensive, zu viel Rechtfertigung, zu viel Konfusion, zu wenig Linie. Jetzt, nach der Wahl, die hier und da (mit dem herablassenden Schulterklopfen des Mitleids) mit einer 0:3-Niederlage quittiert wird, wirkt die einst stolze Partei: verzagt, aus dem Tritt. Die Beteuerungen, dass es beim  nächsten Mal, bei der nächsten Chance .... besser ... , wirken wie Bestätigungen der Hilflosigkeit. Was lähmt die führenden Leute dieser Partei?

1. Franz Münteferings Satz Opposition ist Mist  - ist Mist. Der Affekt des Gekränktseins ist kein politisches Konzept. Regierungs-Teilhabe zur Psycho-Hygiene des Macht-Wunsches kann nicht das erste Ziel sein, sondern die mutige, selbstbewusste Kommunikation eines vernünftigen politischen Konzepts. Wie tragfähig es ist, muss man sehen. Das zu riskieren und darüber gründlich zu streiten, trauen sich die SPD-Leute nicht: sie wollen - wie das früher in den 50er Jahren so schön hieß, als das sehr verpönt war - nicht anecken. Sie fürchten noch immer das Klischee der Arbeiterpartei - heute las ich es wieder im Kommentar der Zeitung für die klugen Köpfe (16.5.2017, S.1, Nr. 113) bei Jasper von Altenbockum, der mit der Vokabel linksliberale Arbeiterrepublik spielte. Für ihre Politik müssten sie hemdsärmelig streiten - nicht mit lauwarmen Floskeln.

2. Die große Koalition verpflichtet. Man kann, scheinen die SPD-Leute zu glauben, schlecht sagen: die gemeinsame Politik haben wir hier und da nur widerwillig (aus Geschäftsgründen) getragen und wir haben ihr dann zugestimmt, obwohl wir nicht zustimmen wollten (Beispiel: Maut-Theater). Man kann es doch. Man müsste sich trauen, redlich zu sein, und angeben, wo man unredlich war. Jeder kennt das: irgendwo beugt man sich einem Konsensus, den man nicht teilt, aber dem man nicht zu widersprechen wagt. Deshalb, glaube ich, würde die sozialdemokratische Partei punkten. Nach dem Polit-Kitsch der rührseligen Umarmung mit dem Zähneknirschen oder Nägelkauen der unbarmherzigen Krämer (... Freunde müssen wir sein .....sonst ....) und des konzeptionslosen Wurschtelns wäre ich dankbar für ehrliche Töne.

3. Nachkarten ist unfein. Manchmal aber muss man es nachholen - dem eigenen Stolz zuliebe, auch wenn es reichlich spät kommt. Deshalb müssten sich die SPD-Leute ihre Politik des Macht-Erhalts selbstkritisch vornehmen - und sich dann mit der christdemokratischen Regierung streiten und die eigenen, deren und die gemeinsamen Manöver beschreiben. Das wär' doch was: die alternativlose Politik bekäme andere Gesichter - die Politik ohne Politik ( s. meinen Blog "George Packer was here", vom 3.12.2014) würde nicht mehr durchgehen. Auf Zehenspitzen kann man sich schlecht Gehör verschaffen.

(Überarbeitung: 17.5.2017)

Donnerstag, 11. Mai 2017

Worte zum Einlullen: the statement of facts

Der Volkswagen-Konzern hatte eine ausreichende Aufklärung versprochen. Nun ja, das Wort ist schnell gesagt, klingt gut, macht aber offenbar Magenbeschwerden. Das Wort, mit dem die Unmöglichkeit der Aufklärung begründet wird, heißt: Statement of facts.

Würde man jetzt etwas zur Aufklärung beitragen, würde man über den Rahmen des Statement of facts hinausgehen und seine Position in den künftigen oder laufenden Verfahren verschlechtern: sagte der Aufsichtsrat Pötsch (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.5.2017, S. 18, Nr. 109). In dem statement of facts hat der Konzern den systematischen Betrug zugegeben. Nicht zugegeben wurde, wer für den Betrug verantwortlich ist. Da will der Konzern sich nicht entblößen; er wartet ab, was die Ermittlungsbehörden herausfinden. Das ist, wie bekannt, sein gutes Recht.Wahrscheinlich ist es für den Konzern Volkswagen nicht klug, an diesem Recht festzuhalten: für die Zukunft der Auto-Industrie und ihrer Angehörigen, für die Zukunft des Automobils und für unsere demokratische Kultur. Die Leitung des Konzerns bricht mit ihrem Schweigen das 2015 unserer Öffentlichkeit gegebene Versprechen. Was ist das? Fortgesetzter Betrug? Fortgesetztes Lügen? Wieso kann sich der Aufsichtsrat so einfach herausreden - mit der Vokabel eines englischen Rechtsbegriffs?  Wieso muss der Aufsichtssrat nicht erläutern (für mich, den Nicht-Juristen), wie ihn (und die Politik seines Konzerns) das statement of facts zum Schweigen verpflichtet? Wo ist die kritische Öffentlichkeit? Eins kann man konstatieren: die Leitung des Konzerns verhält sich wie ein typischer Betrüger.

Mittwoch, 10. Mai 2017

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) XXXXXX: Bluffen und Biegen

Von den Bergen bedruckten Papiers kann ich beim Frühstück nur winzige Proben nehmen - und hoffen, dass sie typisch sind. Hier sind zwei.

1. Andreas Ross über: "Frühe Warnung. Vorwürfe gegen Trump in der Causa Flynn" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.5.2017, S. 2, Nr. 108). Der frühere U.S.-Präsident hielt Michael Flynn für zu dubios, weswegen Generalleutnant Flynn sein Amt aufgeben musste, der jetzige U.S.-Präsident nicht; inzwischen sind Flynns Lügen bekannt geworden, weswegen er das Amt des nationalen Sicherheitsberaters aufgeben musste. Die bekannte, unerfreuliche Geschichte: der amtierende Präsident lässt sich ungern etwas sagen; er muss gedrängt werden, sich anders zu entscheiden. Andreas Ross schreibt:

"Trump erzwang denn auch den Rücktritt des Mannes, der ihm im Wahlkampf nicht nur wegen seiner feurigen Tiraden wider den 'radikalen Islam' und Hillary Clinton ans Herz gewachsen war, sondern auch als Plauderpartner auf nächtlichen Flügen".

Woher weiß er das? War er dabei? Ans Herz gewachsen und Plauderpartner? Die erste Beschreibung hat der Autor extrapoliert (gegen die weit verbreitete Auffassung, dass dem Präsidenten ein dominantes Interesse an Geschäftsbeziehungen nachgesagt wird) , die Quelle für die zweite Beschreibung gibt er nicht an. Wie kann man diese Schreib-Techniken nennen? Ranschmeißen und Bluffen. Ist das auch eine Technik des fake?

2. Reiner Burger (in derselben Ausgabe auf Seite 3) über Armin Laschet, den C.D.U.-Kandidaten bei der Wahl zum nordrhein-westfälischen Landtag: "Laschet machte einfach immer weiter". Er machte beispielsweise auch immer weiter, als seine Dozenten-Praktiken an der RWTH Aachen bekannt wurden - die Dozentur gab er auf und redete sich raus und ging (meines Wissens) zur Tagesordnung über. Dazu schreibt Reiner Burger: "Zum großen Skandal taugte die peinliche Posse nicht". Es ist sehr die Frage, ob für die Studentinnen und Studenten die nachlässige Auslegung eines Lehramtes eine peinliche Posse war. Was konnten sie aus dieser Lehr-Zeit machen? Erstaunlich ist Reiner Burgers Eingeständnis, dass Laschets schlechtes Vorbild kein Futter für die Auflagen-Steigerung war. Was ist das nun wieder? Das Geständnis der journalistischen Geschäftsorientierung. Kein fake, aber wo ist die truth about Laschet geblieben?

Dienstag, 9. Mai 2017

Worte zum Einlullen XI: der Schulz-Effekt

Den so genannten Schulz-Effekt verstehe ich als die schnelle öffentliche Einstimmung zum Aufschrei vieler Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, mit einer anderen, neuen und kräftigen Stimme auszubrechen aus dem Korsett der großen Koalition mit ihrer Propagandistin der alternativlosen Politik. Die Mitglieder dieser Partei haben offenbar das Gefühl, sich verbogen und unterworfen und ihre Linie verloren zu haben. Wenn ich zurückdenke: die große Koalition bekommt ihnen nicht. In der Zeit von 1966 bis 1969 bekamen sie es mit großer Mühe noch hin, 1969 mit dem Fernseh-historischen Coup Willy Brandts und Walter Scheels, vor der Kamera ihre Koalition abzusprechen. Seit 2005 nicht mehr. Die Dame mit den mächtigen Buttercrème-Torten regiert unerbittlich (wie sie das wohl macht?) mit ihrer Mannschaft.

Und wie reagiert die öffentliche Diskussion hier und da? Mit der Verachtung des sozialdemokratischen Kandidaten. Ihm werden zwei nicht erfolgreiche Landtagswahlen angelastet. Wieso? Wer ruft, hat noch längst nicht gewonnen. Ohne Unterstützung läuft nichts. Wird Martin Schulz unterstützt? Nein. Sein Ruf nach Gerechtigkeit wird verspottet. Sicher, statistisch gesehen, geht uns gut. Aber geht es uns auch gut? Fühlen wir uns wohl? Haben wir das Gefühl, dass es fair zugeht? Zumindest kann man sagen: Martin Schulz wird nicht fair behandelt. Er wird getrieben. Möglich, dass Viele keine Veränderung wünschen. 1957 fuhr Konrad Adenauer in der Bundestagswahl einen Riesen-Erfolg ein. Der zum gefügelten Wort gewordene Slogan hieß damals: Keine Experimente! Soll es so weiter gehen? Die EU ist zerstritten und umstritten. Und unsere Lady soll weiterhin ihre Buttercrème-Torten servieren? Welche Mägen halten das aus?

Sonntag, 7. Mai 2017

Wir fangen noch einmal von vorn an und erinnern an die Spielregeln: "die Leitkultur"! "Die Leitkultur"!

Unser Innenminister Thomas de Maizière hat an die demokratischen Spielregeln erinnert; er rubriziert sie unter dem Stichwort Leitkultur. Wenn auf dem Fußball-Feld die Fouls bedrohlich zunehmen, ruft der Schiedsrichter die beiden Spielführer zu sich. Er wird sie ermahnen und ihnen drastische Interventionen androhen; er wird ihnen aber nicht das Spiel erläutern. Seit achtundsechzig Jahren (fast ziemlich genau auf den Tag) besteht die Bundesrepublik Deutschland - und da müssen wir noch an die Regeln erinnert werden? Die leben wir  uns doch täglich vor. Was stellt sich Thomas de Maizière vor, wie sie vermittelt werden?

Die Rede von der Leitkultur  ist kein Witz. Thomas de Maizière meint es todernst; es gibt für ihn keinen Anlass zum Losprusten. Er verzieht keine Miene. Er versucht, Benimm-Regeln zu erläutern.
Wir geben uns die Hand - und machen einen Diener oder einen Knicks: hätte er noch hinzufügen können. Den Abfall an Identitäts-Klischees kehrt er zusammen, unsere Geschichte skizziert er so vage wie möglich. Wer sind wir? Das weiß er nicht. Er glaubt, dass wir es auch nicht wissen. Schlechtes Zeichen. Der Mann ist in Not (s. meinen Blog "Hart, aber unfair" vom 17.3.2017).  Weißdergeier, was in der Bundesregierung und in den Bundesministerien läuft. Leider traut er sich nicht, darüber zu sprechen. Womöglich wären wir - was er einmal einräumte, als er keine Auskunft gab -  zu beunruhigt.

(Überarbeitung: 8.5.2017)

Mittwoch, 26. April 2017

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXXXIX: Öffentliches Tagträumen mit der Königstochter

Noch einmal Ivanka Trump. Noch einmal die Frankfurter Allgemeine Zeitung von heute, dem 26.4.2017 (S. 8). Angela Merkel stand und saß neben Ivanka Trump. Helene Bubrowski schreibt
dazu:

"Merkel hat Ivanka in Washington getroffen. Sie hofft, über Ivanka einen Zugang zum Weißen Haus zu bekommen".

Merke: Merkel und Ivanka. Ivanka ist unsere Vertraute: Helene Bubrowski spricht von ihr und adressiert sie mit ihrem Vornamen. Von dieser journalistischen Intimitäts-Suche (als öffentliches Fantasieren) abgesehen: wie können wir uns den Zugang vorstellen? Hat unsere Kanzlerin die private Mobil-Nummer von Ivanka Trump? Kann sie sie jederzeit anrufen? Der Zeit-Unterschied beträgt übrigens sechs Stunden. Ich stelle mir vor: da sind x Sekretariate zwischen den beiden; da wird säuberlich fein gefiltert; da muss man sich vorher anmelden und sich absprechen. Politik im Bild des einfachen, privaten Kontakts: schön wär's. Wir schalten die Nachtischlampe wieder ein.

Ivanka, die Königstochter, war hier

Welches Foto brachte die Frankfurter Allgemeine Zeitung heute, am 26.4.2017, auf ihrer ersten Seite? Drei Frauen, in einem spitzen Winkel aufgenommen (von links nach rechts): Ivanka Trump, Angela Merkel und Königin Máxima. Riesen-Bahnhof für die Königstochter aus den U.S.A. Angela Merkel in der Mitte. So kann, wer will, sich an die Märchen erinnern und tagträumen. Dabei ist der Märchen-König bei uns mächtig verschrien. Spielt keine Rolle. Wir sehen, weshalb Donald Trump gewählt wurde: er ist (mit seiner Familie) der Repräsentant der westlichen Fantasien von Reichtum, Macht und Schönheit. Das zählt - fürs gesellschaftliche, politische Tagträumen. Mir tat - hinsichtlich der Konkurrenz der Fantasien - Martin Schulz leid: da kann er nicht mithalten. Was ist Brüssel oder Würselen (bei Aachen) gegen Manhattan? Wo ist seine Königstochter oder sein Königssohn?

Die westlichen Fantasien und ihre gewaltige Idolisierung sind das psychosoziale Unterfutter, das unsere Ambivalenzen aushält und wegpuffert. Seit J.J. Chandors Film Margin Call (der deutsche Titel Der große Crash ist schlecht, weil daneben gegriffen und irreleitend) kenne ich ihren Namen: die Aston Martin-Fantasie vom königlichen Reichtum und großartigen Leben. Wer will ihn, diese kostbare Kutsche,  nicht?, fragte einer der Protagonisten indirekt. Ja, wer will ihn nicht? Oder: wer will ihn nicht zumindest sehen (Kinogänger sehen ihn seit 1964, als James Bond auf seinen Auftrag, mit dem Gold-Händler anzubandeln, vorbereitet wurde) und tagträumen?   

Montag, 24. April 2017

Fortsetzung: das Grundeinkommen. Das Grundeinkommen? II

Vor einem knappen Jahr wurde den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern das Referendum zum, wie es hieß, bedingungslosen Grundeinkommen vorgelegt; sie stimmten dagegen. Damals hielt ich die Tatsache des Referendums für mutig: immerhin wurde die Frage öffentlich abgewogen (s. meinen Blog vom 3. Juni 2016). Damals sprach Heike Göbel (in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3.6.2017, S. 1) von der "Hängematte des Grundeinkommens". Sie folgte der deutschen Dressur-Konzeption vom Lohn  als dem einzig relevanten Antrieb, für seine Lebensgestaltung aktiv zu werden. Das war ein Missverständnis des Lebens. Gestern jedenfalls wurde Niklas Maaks ausführliches (mir sehr sympathisches) Plädoyer für das bedingungslose Grundeinkommen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (23.4.2017, S. 41) veröffentlicht - passend zur milde gestimmten Sonntagsatmosphäre eines ausgiebigen Frühstücks.

Die Idee des Grundeinkommens ist nobel, aber schwierig: sie setzt andere Lebensformen voraus. Wir müssten mit weniger auskommen. Wir müssten weniger aufwändig leben. Wir müssten unsere Einkommen anders verteilen. Wir müssten die Fragen diskutieren und beantworten: wann ist genug
genug? was ist ein anständiges Leben? was müssten wir teilen? was müssten wir abgeben? Anders gesagt: die Idee des Grundeinkommens sagt uns auch, dass wir so verschwenderisch nicht weiter leben können. 

Gute Forschungsnachrichten für Leute mit gutem Gedächtnis

Die Frage Anlage oder Umwelt ist uralt und schlecht zu entscheiden: der Säugling, gerade eine Minute auf der Welt, wie wir so schön großartig sagen, interagiert sofort mit seiner Umgebung und den anwesenden (relevanten) Personen seines Lebens. Schwierig, wenn nicht unmöglich, in diesem Entwicklungsprozess Disposition und Sozialisation (sauber) zu sortieren.

Jetzt aber gibt das gemeinsame Projekt der Universität des Saarlandes und der Universität Bielefeld:
über zwölf Jahre werden über viertausend Familien beobachtet, in denen Zwillinge leben; die relevanten 19.000 Familienangehörigen werden einbezogen. Eine riesige soziologische und psychologische Studie. Endlich ein vernünftig großer sozialwissenschaftlicher Aufwand. Endlich! Zum Beginn des Forschungsprozesses sind die Zwillinge 5, 11, 17 und 23 Jahre alt. Wie sich diese Gruppen auf die gesamte Stichprobe verteilen, sagt der Bericht nicht. Wir können - wenn wir uns noch erinnern können - auf die 30er Jahre gespannt sein. Die Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 23.4.2017, S. 60. Autor des Textes ist Gerald Wagner. 

Freitag, 21. April 2017

Recep Tayyip Erdogan, das Referendum und die öffentliche Heuchelei


Projizieren macht Spaß. Gut vierhunderttausend bundesdeutsche Bürgerinnen und Bürger, die auch türkische Staatsangehörige sind und deshalb für das Referendum zur Verfassungsänderung votieren konnten, müssen für das Vergnügen an der öffentlichen Aufregung und Empörung und für die öffentliche Sorge herhalten. Worum geht es? Der öffentliche Vorwurf lautet: Bürger der Bundesrepublik unterstützen den Plan eines künftigen faschistischen Staats; sie leben in der einen Demokratie und sabotieren die andere. Keine Frage: der türkische Staat befindet sich in einem Zustand des Aufruhrs; seine Rechtsstaatlichkeit ist bedroht - wie sehr, lässt sich von weitem schwer sagen; das Votum des Referendums verschärft die offenbar schweren Konflikte des Landes. Keine Frage aber auch:  die Pläne der türkischen Regierung sind die Angelegenheit der türkischen Bürgerinnen und Bürger. Des weiteren: wenn die türkische Regierung aus der Staaten-Gemeinschaft, mit der sie Verträge unterhält, auszuscheren beabsichtigt, ist das die Angelegenheit der gemeinsamen Institutionen der Staaten. Wir müssen uns nicht einmischen als selbstberufene Lehrmeister der Demokratie.

Was wird projiziert? Das Ressentiment unseren Bürgerinnen und Bürgern mit türkischen Wurzeln gegenüber. Sie sind nicht gern gesehen. Diese verbreitete - wie sehr, ist unklar; zum Glück bestehen auch erhebliche Sympathien - Abneigung gehört zu den kränkenden und traumatischen Alltagserfahrungen. Unverstanden ist die Wirkung der Katastrophe der offenbar von diesem Ressentiment geleiteten, gescheiterten Ermittlungsarbeit bei dem Versuch der Aufklärung der Morde, für die die Gruppe verantwortlich ist, die mit dem skandalösen Akronym einer ehemaligen Automarke belegt wurde - als hätte diese Gruppe eine zumindest im entferntesten Sinne politische Absicht verfolgt (s. meinen Blog vom 17.3.2017 Hart, aber unfair).

Es gibt keinen Grund für eine abfällige Berichterstattung. Beispiel: der Text von Berthold Kohler Abschied von den Lebenslügen in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.4.2017 (S.1):
"Die mehr als 400 000 Türken, die hierzulande Erdogans Machtergreifung zustimmten, stellen zwar nur ein knappes Drittel der türkischen Wahlberechtigten und etwa ein Fünftel der rund zwei Millionen Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit in Deutschland dar".

Der Satz ist ein Beispiel für bundesdeutsche Herablassung. Die "Türken" sind (tatsächlich) "Menschen" - keine bundesdeutschen Bürgerinnen und Bürger. Dass Berthold Kohler von "Erdogans Machtergreifung" spricht, ist das Spiel des Kommentators mit dem vertrauten, strammen nationalsozialistischen Jargon von "Hitlers Machtergreifung" - die, wie wir alle wissen sollten, keine Ergreifung, sondern das Ergebnis der Kungelei hinter den Kulissen war, die Adolf Hitler ins Amt schob. Der Satz ist ein grobes Foul. Wenig später im Text wiederholt der Autor den kontaminierten Jargon von der Machtergreifung: sein zweites Foul.

Gegen Ende des Textes fand ich diesen Satz:

"Der größter Fehler der deutschen Integrationspolitik war es nicht, zu abweisend gewesen zu sein; sie war im Gegenteil zu großzügig und von einem falschen Verständnis von Toleranz geprägt".

War sie das? War es nicht umgekehrt? Wenn ein starkes Ressentiment kursiert, kann man schlecht einen klaren Gedanken fassen.
    

Donnerstag, 13. April 2017

Das Wort zum Einlullen XI: "Islamistischer Hintergrund"

Heute Morgen stutzte ich über die Schlagzeile der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - ja, es wird langsam langweilig mit diesem Rentnerblatt - : "Hinweise auf islamistischen Hintergrund" (24 Punkte groß, fett gedruckt). Unterzeile: "Durchsuchungen und Festnahme nach Anschlag von Dortmund. Bekennerschreiben wirft Fragen auf" (zehn Punkte groß, nicht fett).

Die große, fette Zeile wirft Fragen auf. Was ist ein islamistischer Hintergrund ? Gemeint ist die Übernahme (Identifikation, Assimilation) einer destruktiven Indoktrination. Wie funktioniert sie? Wie muss jemand sozialisiert sein, dass er oder sie sie übernimmt? Was ist der Hintergrund dieses Indoktrinations-Hintergrundes? Wie sieht seine oder ihre Sozialisation aus? Wie die Familie? Wie die Kultur und Gesellschaft als der weitere Sozialisationshintergrund der Familie? Und so weiter und so fort. Mit anderen Worten: zu jedem Hintergrund gehört ein weiterer Hintergrund gehört ein weiterer Hintergrund. Kennen wir die Hintergründe? Können wir sie differenzieren?

Wenn ich richtig sehe: wissen wir sehr wenig. Inzwischen sehen wir:  eine Sprache des Mordens spricht sich herum. Sie ist uralt. Sie scheint sich auszubreiten. Tut sie das? Wie junge Leute dazu kommen, sich auf sie zu verständigen, müsste gründlich untersucht werden. Zu befürchten ist, dass die Frage nach dem islamistischen Hintergrund schnell abgehakt wird und die Lebensgeschichten der jungen Männer und der jungen Frauen mit mörderischen Impulsen irrelevant bleiben. Heute Morgen sah ich unten auf der ersten Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Meldung: "Generalbundesanwalt: Amri war Einzeltäter" (zehn Punkte, fett gedruckt). War's das? Anis Amri driftete dissozial durch sein Leben und entschloss sich, mit einem Sattelschlepper zu morden. Weshalb? Was waren seine lebensgeschichtlichen Hintergründe?

Der islamistische Hintergrund ist kommunikative Kurzschrift. Er dient der Beruhigung in Pressekonferenzen, von denen dann berichtet werden kann. Haben wir etwas verstanden von fremden Lebensverhältnissen und fremdem Leid? Letzte Frage für heute: weshalb geben wir uns mit dieser Kurzschrift zufrieden?


Mittwoch, 12. April 2017

Neues von der Heiligen Kuh XXXXXII: sie kalbt

Seit einiger Zeit sehe ich die gelben, sehr eckigen Lieferwagen der Post (fährt elektrisch kann man lesen)  -  klein und leise kommt damit der Briefträger und stellt die Post zu, ohne zweimal zu klingeln, wie wir das aus dem Hollywood-Kino kennen. Einen habe ich gefragt: er fährt diese Art Auto sehr gern. Jetzt berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung darüber (13.4.2017). Die Post mit ihrer grünen Orientierung fand keine für sich passende, Abgas-los fahrende Wagen, kaufte das im Jahr 2010 gegründete Aachener RWTH-Unternehmen Streetscooter auf und produziert jetzt ihre Postzusteller-Fahrzeuge selbst. Der Unternehmens-Coup ist ein Erfolg. Andere Unternehmen wünschen sich dieses Gefährt auch. Klein muss man sein - und schnell und beweglich.
Die großen bundesdeutschen Hersteller wirken dagegen unbeweglicher als ein Riesentanker. Das kommt davon, wenn man nur schnell geradeaus fährt: man sieht nix Neues.

(Überarbeitung: 23.4.2017)

Dienstag, 11. April 2017

Donald Trump VI: Verfolgt er jetzt eine konsistente Politik?

Nein.
Dazu zwei Stimmen aus den U.S.A.: Amy Davidson (The New Yorker vom 10.4.2017, S. 18) und Mark Danner (The New York Review of Books vom 23.3.2017, S. 4 - 6). Amy Davidson: Der U.S.-Präsident handele im Modus von reckless endangerment (rücksichtsloser Gefährdung). Mark Danner: Der U.S.-Präsident suche das Chaos und stifte Verwirrung. Es gehe um die Zerstörung der Wissenschaft und der Jurisdikative. Die Umweltschutz-Behörde ist gegen den Beschluss des obersten Gerichts (gegen Ende von 2006) amputiert, seine Forschungsaufgaben kassiert worden. Die Juriskdikative steht unter dem (getwitterten) Verdacht, künftige Mord-Anschläge durch Nachlässigkeit zu verursachen. Donald Trumps Stichwort ist die Sicherheit der Vereinigten Staaten. Für jeden Mord-Anschlag ist nunmehr die Jurisdikative verantwortlich. Das ist sehr einfach, aber sehr effektiv. Mark Danner hat diese Taktik beschrieben. So werden mit Angst und Panik Politik gemacht und politische Traditionen zerstört. Der Kongress kontrolliert nicht mehr. Einspruch ist unmöglich - die Tradition des filibuster bei der Zustimmung zur Ernennung eines Bundesrichters zerstört.

Deshalb muss man die Politik der U.S.-amerikanischen Regierung kräftig gegen den Strich lesen und keine falschen Hoffnungen verbreiten. Heute, am 11.4.2017, der Titel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Washington bekennt sich zur Rolle der globalen Ordnungsmacht". Eine Wunsch-Schlagzeile. Andere Politiker haben Kinderköpfe gestreichelt, der amerikanische Präsident streichelt - nach den schrecklichen Bildern der Vernichtung von syrischen Familien -  die Schutz- und Vergeltungswünsche seiner Gefolgsleute. Den PR-Zynismus sollte man nicht mit humaner, geplanter Politik verwechseln. Donald Trump, so Mark Danner, wartet auf seine Gelegenheit: die Krise, die ihn stabilisiert beim Einsatz seiner Macht.

Warten wir hier in der Bundesrepublik - Angst-bereit und Angst-gelähmt - auch ab? Das Land mit der ältesten demokratischen Tradition wickelt sich ab. Was macht unsere Regierung? Was überlegt sie? Ein wenig darüber zu erfahren, fände ich nicht schlecht.

Neues zur Heiligen Kuh XXXXXI: Kein Interesse an Aufklärung?

Ist das nicht erstaunlich? Der massive Betrug einiger (leitender) VW-Leute - die Bankrott-Erklärung der VW-Ingenieure zur Zukunft des Diesel-Antriebs und, ein wenig weiter gedacht, zur Zukunft des Automobils - ist noch immer nicht aufgeklärt. Das wird den Gerichten überlassen. Der journalistische Langmut ist enorm.

Jetzt fand ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (vom 10.4.2017, S. 19) die Nachricht von der Nachricht in der Bild am Sonntag: dass vor seiner Aussage im Untersuchungsausschuss Martin Winterkorn Auszüge von Zeugenaussagen eines Volkswagen-Managers zugeschoben worden waren - die fand die Staatsanwaltschaft Braunschweig bei Durchsuchungen. Ja, ist das nicht toll? Martin Winterkorn ging in den Ausschuss und wusste, was er sagen musste. Und warum wird erst auf Seite 19 davon berichtet - wo nur die tapferen Frühstücksleser und Frühstücksleserinnen, die über einige Zeit verfügen, hingelangen? Ein massiver Betrug, der das demokratische Ideal der Bundesrepublik schwer beschädigt - abgesehen davon, dass er eine ganze Industrie und damit viele Existenzen zu gefährden und Lebenspläne zu vernichten droht - , wird im hinteren Teil der Zeitung versteckt? Seltsam. Seltsam.

Donnerstag, 30. März 2017

Die Wahrheit. Die Wahrheit? Ja, die Wahrheit!

Die Wahrheit ist ein schwieriges, aber grundlegendes Konzept. Sie gehört zur Grundlage unserer demokratischen Verfasstheit. Sie ist die Basis unseres Rechtssystens. Wenn sie in einer Kultur der Korruption erodiert, ist die demokratische Verfasstheit gefährdet. Politikverdrossenheit ist auch eine Vokabel für das Gefühl der Erosion der Wahrheit. Die Wahrheit enthält eine tiefe Sehnsucht. Sie ist ein Handlungsideal; als Handlungskonzept muss sie sich (interaktive) Modifikationen gefallen lassen: auch die Unwahrheit ist wahr. Wilfred Ruprecht Bion, der britische Psychoanalytiker, sagte einmal (sinngemäß): die Seele wächst nur an der Wahrheit.

Bücher mit der Wahrheit im Titel gibt es zuhauf. Hans-Georg Gadamers schönes Buch Wahrheit und Methode (1975). Alfred Lorenzers tapferes Buch Die Wahrheit der psychoanalytischen Erkenntnis. Ein historisch-materialistischer Entwurf (1974). Heute können wir erleben,  dass die Wahrheit nicht relevant ist oder zumindest nicht als Handlungsmaxime berücksichtig wird. Drei Beispiele.

1. Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist beantragt; er wird verhandelt. Die britische Regierung und die Repräsentanten der beiden Häuser haben sich nicht getraut zu sagen: das
Referendum zum Austritt war eine Schnapsidee, nicht ernst gemeint und sollte dem Machterhalt des Premiers dienen. Nein, die Tories wurschteln weiter; sie bliesen das Projekt nicht ab, dachten nicht noch einmal gründlich über den tiefen Unmut ihrer Leute nach und riskierten keine Neuwahlen. Politiker sind auch Menschen. Aber bevor sie ihre Ämter antreten, leisten sie keinen Eid auf den Machterhalt, sondern den Eid auf das Wohl ihres Volkes.

2. Die Maut-Schnapsidee. Eine lange Legislatur-Periode beschäftigt dieses Biertisch-Projekt, geboren, um ein Bier-besäuseltes Gefühl von Gerechtigkeit zu befriedigen, Behörden, Beamte, Politiker, Journalisten und die von ihnen hergestellte Öffentlichkeit der Bürgerinnen und Bürger.
Keiner nennt die Maut-Schnapsidee eine Schnapsidee. Politiker sind auch Menschen. Aber bevor sie ihre Ämter antreten, leisten sie keinen Eid auf den Machterhalt, sondern den Eid auf das Wohl ihres Volkes.

3. Die Verkehrspolitik. Seit 1973 wissen wir: der Autoverkehr muss im Dienste des sorgsamen Umgangs mit unseren Ressourcen und im Dienste des sorgsamen Umgangs mit unserem Planeten begrenzt werden. Als einziges Land der Welt leisten wir uns den Wahn, auf unseren Autobahnen, sofern die Geschwindigkeit nicht limitiert ist, so schnell fahren zu können wie wir können. Seit Mitte der 70er Jahre fand die automobile Hochrüstung statt. Was ist heute ein Auto wert, das nicht einmal 200 km/h zustande bringt? Wenig. Dann kam der Clou - wie bei der Atomindustrie -: das grandiose Versprechen, schnell fahren zu können (so schnell und komfortabel wie es geht), wenig zu verbrauchen und dabei noch die Umwelt zu schonen.

Von nix kütt nix,  weiß jeder Kölner. Nur unsere Öffentlichkeit schlief. Langsam wacht sie auf, reibt sich die Augen und realisiert den hoax der Autoindustrie (wie der Atomindustrie). Wie sagt man? Heulen & Zähneklappern. Ab 2020 gelten die Abgasnormen der EU: vier Liter Verbrauch, 95 g Treibhausgase. Wie soll das gehen?

Wenn ich an mein Autofahren denke: schneller (eher einen Deut langsamer) als 80 km/ kann man dann nicht fahren, besser gesagt: schneller darf man sein Auto nicht rollen lassen. Leichte Autos müssen her, elektronisch abgespeckt. Und nun?  Heulen & Zähneklappern. Die arme Autoindustrie. Sie durfte zu lange fantasieren. Das Fantasieren hört übrigens nicht auf: Circus Maximus wurde am vergangenen Dienstag (28.3.2017) der Text über den im Auftrag von Volkswagen gebauten Bugatti Chiron (420 km/h, 1500 PS) auf der ersten Seite der Zeitung für die (klugen) fantasierenden Köpfe angekündigt. Lange Rede, kurzer Sinn:  Politiker sind auch Menschen. Aber bevor sie ihre Ämter antreten, leisten sie keinen Eid auf den Machterhalt, sondern den Eid auf das Wohl ihres Volkes. Aber wen schert das Wohl des Volkes? Was sagte unsere Bundeskanzlerin vor ein paar Tagen (sinngemäß): eigentlich ist immer Wahlkampf. Das, muss ich anerkennen, war ein wahrer Satz.

Nachtrag: seit gestern kann man das T-Shirt der New York Times mit der Aufschrift Truth ordern.

(Überarbeitung: 31.3.2017)