Donnerstag, 12. Januar 2017

Angela Merkel I: Der ängstliche Blick zurück und der ängstliche Blick nach vorn: ihre Neujahrsansprache 2016

Was ist dieses Mal anders? Der Augenaufschlag unserer Kanzlerin. Jemand muss ihr gesagt haben, sie solle sich dem Teleprompter intensiv zuwenden: als Mrs Cool. Dem widerspricht die offenbar intensiv geübte, sehr gedehnte Vortragsweise im Tonfall des Aufsagens und Ablesens. Der ängstliche Blick ist natürlich erschlossen und bezieht sich auf die Ungenauigkeit und Rührseligkeit ihrer Ansprache und  Mitteilungen. "2016", so beginnt sie mit ihrer Rede des Rückblicks, "war ein Jahr schwerer Prüfungen". Wer oder was wurde geprüft?

"Die schwerste Prüfung", führt sie (im übernächsten Satz aus), "ist ohne Zweifel der islamische Terrorismus". Die Antwort ist vage. Wen oder was prüfte der islamische Terrorismus? Die Politik der Bundeskanzlerin. Die Qualität der Arbeit der ermittelnden und strafverfolgenden Behörden. Der islamische Terrorismus ist Kurzschrift - für ein unsortiertes Gemisch von Kontexten. Geprüft wurde in einer schwelenden, mühselig kontrollierten, sehr kontroversen öffentlichen Diskussion die Regierungspolitik im Kontext der Frage einer Beunruhigung: Wer kommt in die Bundesrepublik Deutschland? und im Kontext eines Vorwurfs: Was richtet diese Politik an? Der Sylvesterabend in Köln vergangenen Jahres gab darauf eine ernüchternde, deprimierende, irritierende Antwort. Seitdem musste die Kanzlerin sehr um die Zustimmung zu ihrer Politik fürchten. Die Strapaze war ihr anzusehen - die Journalisten der Zeitung für die klugen Köpfe machten sich ihre Sorgen: Hält sie durch?, fragte Mitte des Jahres Günter Bannas (s. meinen Blog vom 4.7.2016).

Wieso blieb sie in ihrer Ansprache so unpersönlich? Zumindest hätte sie doch sagen können, es wäre für sie schwer gewesen. Dann hätte sie allerdings über ihre Politik sprechen müssen. Sie hätte Auskunft geben müssen. Sie hätte sagen müssen, was sie 2017 vorhat.

Was sagte sie stattdessen? Sie wäre zuversichtlich - von den Stärken unseres Landes und seiner Menschen überzeugt. Sie spüre die feste Entschlossenheit, der Welt des Hasses der Terroristen unsere Mitmenschlichkeit und unseren Zusammenhalt entgegen zu setzen. Sie betonte: unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat, unsere Werte - sie sind der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus und sie werden stärker sein als der Terrorismus. Wir gemeinsam sind stärker. Unser Staat ist stärker.

Worte des Trosts, des Zuspruchs, der Beschwichtigung; deren Rückseite sind: die Angst-Erzeugung und die Ausgrenzung. Kein Wort des Verständnis-Versuchs für die sechshundert gefährdeten jungen Leute bundesdeutscher und anderer Herkunft, die mörderische Fantasien oder Pläne pflegen und möglicherweise bereit oder geneigt sind, sie zu realisieren. Ich hätte mir gewünscht, sie hätte für sie ein paar Worte des Bedauerns gefunden, dass sie offenbar keine Hoffnung haben, in unserem Land ihren Platz zu finden.

Was war die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin? Rührseligkeit als politische Kommunikation, Ungenauigkeit als Verweigerung, über die beabsichtigte Politik Auskunft zu geben und sie zur Diskussion zu stellen, Hilflosigkeit und Ängstlichkeit gegenüber den dramatischen Veränderungen in unserer Welt. Die in einer demokratisch verfassten Gesellschaft gewählten Regierungen haben die Aufgabe, ihre Politik zu erläutern und die Bürgerinnen und Bürger dafür zu gewinnen. Schulter-Klopfen ist zu wenig, Abspeisen eine undemokratische Kommunikationsform.
  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen