Freitag, 13. Januar 2017

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXXV: Gibt es ein "unrühmliches Ritual"?

Das unrühmliche Ritual fand ich in der Nachrichten-Notiz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ausgabe vom 3.1.2017, S. 7) - Überschrift: "In Frankreich an Silvester 945 Autos in Brand gesteckt". Dort war zu lesen:
"Das Abbrennen von Autos in der Neujahrsnacht ist in Frankreich zu einer Art unrühmlichem Ritual geworden".

Ein "unrühmliches Ritual" gibt es nicht. Das Ritual entstammt dem sakralen Kontext. Im Alltagskontext sind damit die selbst-reflexiven Momente der Einkehr, des Innehaltens und des Nachdenkens gemeint. Zum Vergnügen an der Destruktion gehören der Kontrollverlust und die Entdifferenzierung. Was soll dann die Formel vom unrühmlichen Ritual ? Ich vermute: sie ist die Verdichtungsleistung von Kopfschütteln (Was ist bloß in Frankreich los?) und Schadenfreude (bei uns nicht). Die Nachricht hätte eine Beschreibung französischer Lebensrealität sein können: 945 zerstörte Autos - bei einem grob geschätzten Wert pro Fahrzeug: € 10.000,- ergibt das einen Schadensbetrag von knapp zehn Millionen Euro  -  besetzen eine Strecke der Vernichtung von (rasch überschlagen) gut vier Kilometern, für die man eine dreiviertel Stunde zu gehen benötigt. Mich hätte interessiert, wo die Autos genau in Brand gesetzt wurden, ob und wie die Realisierung der Brände toleriert und verfolgt wurde und ob und wie die Schäden reguliert wurden.  Der französische Staat kann die regelmäßige Zerstörung nicht zulassen.

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