Freitag, 17. März 2017

Hart, aber unfair: es lebe die Verwirrung!

Talkshows verführen und verwirren - häufig. Vergangenen Montag, am 13.3.2017, sah ich die letzten zwanzig Minuten von Hart, aber fair (inzwischen habe ich die Sendung nachgesehen): Erdogan Aktürk, der Vater von drei Kindern, Taxifahrer, der seinen alten Beruf als Architekt schon lange nicht mehr ausübt, wurde befragt zu seinem Grundgefühl als bundesdeutscher Bürger mit zwei Pässen: "Ich bin Berliner", sagte er John F. Kennedy-klug; seit über 40 Jahren lebt er in der Bundesrepublik und hat sich auf seine Weise integriert - mit der Betonung seiner türkischen Wurzeln. Hier fühlt er sich als deklassierter Bürger, dem noch immer Fragen nach seiner Kenntnis der deutschen Sprache, nach seinem türkischen Stolz gestellt würden.

Erdogan Aktürk gab seine Antwort auf die Frage der Sendung, deren Titel so lautete: "In Freiheit leben, Erdogan wählen - wie passt das zusammen?" Frank Plasberg führte damit in die Sendung ein und erläuterte den Titel mit seiner weiteren Frage: "Welcher Frust steckt dahinter?"

Die Frage nach dem Frust wurde von Erdogan Aktürk spät in der Sendung beantwortet. Und dann ging sie unter. Unser Innenminister Thomas de Maizière lobte dessen idomatische Sprachkenntnis - der Lehrer, der einem erwachsenen klugen Mann und Vater ein befriedigend ausstellt. Thomas de Maizière schob noch nach, dass ihn der "Stolz" des Vaters auf seine drei Söhne "beeindruckt" hätte. Womit Thomas de Maizière mit seiner gebügelten Verwaltungssprache die Frage der Sendung beantwortete. Zuvor hatte er Fatih Tingals (Rechtsanwalt und Vizechef der europäisch-türkischen Demokraten) Argumentations-Muster beschrieben: "raffiniert, aber durchschaubar" - das waren: eine gemischte Zensur: gut und mangelhaft zugleich und die lebendige Illustration der Lust, andere zu belehren. Wenn man sich diese in einer TV-Sendung verteilten Zensuren als regelmäßige (kumulierende) Alltagserfahrungen vorstellt, kann man sich gut vorstellen, weshalb die Bürgerinnen und Bürger türkischer Wurzeln sich bei uns unwohl fühlen.

Die Sendung Hart, aber fair war eine Sendung der Heuchelei. Welcher Frust steckt dahinter? war die Ausgangsfrage. Aber die Antwort zu explorieren interessierte nicht sehr. Stattdessen wurde sie projektiv verschoben: auf die seltsame Frage nach einer Art doppelter Sympathie, für die es den offenbar eindeutigen Beleg der zwei Pässe gibt. Anders gesagt: was bei uns kränkt und abstößt wurde verlagert auf die Frage: warum wollt ihr Erdogan und damit die Unfreiheit wählen? Die Frage zum bundesdeutschen Selbst-Lob. Außerdem haben die Bürger türkischer Wurzeln, die in der Bundesrepublik leben, diese Frage schon längst beantwortet. Deshalb wurde in der Sendung der falschen und projektiv adressierten Töne heftig gestritten - der Subtext war: auf die Bundesrepublik lassen wir nichts kommen und kritische Töne wollen wir nicht hören; außerdem hören wir Türken, die Deutsch sprechen, ungern. Über Projektionen lässt sich herrlich heftig streiten. Dabei hätte Frank Plasberg nur an die (für uns) katastrophale Manifestation des Ressentiments türkischen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber erinnern müssen, die sich in den Ermittlungs-Hypothesen der mit der Aufklärung der Serien von zehn Morden befassten Behörden artikulierte (s. meinen Blog vom 13.12.2011). Hart, aber fair vom 13.3.2017 war die Sendung eines tief ambivalenten Interesses. Der unfaire Lehrer, der Erwachsene maßregelte, wurde nicht in seine Grenzen verwiesen. Offenbar ist es schwer, einen Minister an die Fairness und an den Takt zu erinnern.  

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