Dienstag, 21. März 2017

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXXXVI: In Frankfurt am Main und in New York City - welche Wirklichkeit zählt?

Heute, am 21.3.2017, kann man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Text von Winand von Petersdorff lesen (S. 20) über die "Welt des Donald Trump" - die Untertitel: "Ist der amerikanische Präsident wirklich so unberechenbar und wetterwendisch wie oft behauptet? Anzeigen, die vor dreißig Jahren erschienen, zeigen: Er ist es nicht".

Das sind doch gute Nachrichten. Der U.S.-Präsident ist sich treu geblieben. "Demütigung und Verrat" seien seine "zentralen Motive" in seinen Einschätzungen wirtschaftlicher Prozesse: die U.S.A. würden ausgebeutet und übervorteilt. Dagegen kämpfe er seit drei Dekaden unbeirrt an. Dagegen kann man doch nichts haben - weshalb Winand von Petersdorff ihn so verteidigt:

"Falsch ist die Darstellung, er sei die Marionette seines erzkonservativen Chefstrategen Steve Bannon. Die beiden vereint das Ziel, Amerikas vermeintlichen Niedergang zu beenden und seine alte Größe wieder herzustellen. Für westliche Verbündete Amerikas könnte der Umgang mit Donald Trump deutlich einfacher sein, wäre er vor allem von seinem Narzissmus geprägt. Dann würde er über kurz oder lang die Anerkennung der alten Freunde suchen. Das Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am vergangenen Freitag offenbarte die Persönlichkeit Trumps. Anders als oft dargestellt hat Trump Merkel warmherzig empfangen, respektvoll zugehört, ihre großen Kenntnisse gelobt und Widerworte mit der Freude eines Unterhändlers beantwortet, der endlich ein Counterpart auf Augenhöhe gefunden hat". 

Geschwafel. So einfach ist es mit dem "Narzissmus" und der "Anerkennung" nicht.  Es gibt auch einen pathologischen destruktiven Narzissmus. Abgesehen davon, passen diese Konzepte schlecht auf die Beziehungsdynamiken politischer Prozesse. Man müsste Zugang zu diesen Prozessen haben. Dass am Freitag die "Persönlichkeit" des U.S.-Präsidenten bekannt wurde, ist die Behauptung eines blinden Hahns. Und wo und wie er - der beim Gespräch des Präsidenten und der Kanzlerin nicht anwesend war - das Warmherzige beobachtet haben will, ist ein Rätsel: der Journalisten-Bluff im Dienste der Beruhigung: kein Grund zur Sorge, liebe kluge Köpfe.

Tief beunruhigt über die erratische Politik ihres Präsidenten und ihrer Regierung sind beispielsweise die Autorinnen und Autoren der New York Times, des The New Yorker und der The New York Review of Books. Am 17.3., dem Tag des Besuchs unserer Kanzlerin, überschrieb Charles M. Blow seinen Kommentar in der New York Times mit: "A ticket to hell". Sein erster Satz: "Donald Trump has spent his whole life overselling an overinflated vision of himself and his success". Sein letzter Satz: ""Donald Trump has sold his supporters - and by extension, this country - a ticket to hell". Im neuesten Heft der The New York Review (9.3.2017) hat Elzabeth Drew ihren Text über den U.S.-Präsidenten mit "Terrifying Trump" getitelt. Erschreckend seien seine executive orders: miserabel entworfen und formuliert; sein oberflächliches Verständnis internationaler Politik; seine  zwanghaften Lügen; seine Angriffe auf die Presse; seine Intoleranz für differente Auffassungen. Hinzukommen seine offenbar - aus der Qualität der Amtsführung abgeleiteten - psychischen Defizite als eine beunruhigende Frage der Kompetenz der Präsidentenschaft: die inzwischen öffentlich - trotz der U.S.-amerikanischen ethischen Verpflichtung des Berufsverbandes der Psychiater, keine Ferndiagnosen zu stellen - diskutierte Vermutung einer Persönlichkeitsstörung und eines aufgrund seines (inzwischen) limitierten Wortschatzes angenommenen dementiellen Prozesses.  

Das sind riesige Unterschiede. Winand von Petersdorff ist der Propagandist der Verleugnung und Beschwichtigung - die seit dem Beginn der Bundesrepublik vertraute Technik des Durchmogelns und der moralischen Korruption. Dabei müssten wir - mit unserem nationalsozialistischen Erbe einigermaßen vertraut - doch einen Blick haben für pathologische, entdifferenzierende und anomische Prozesse, die die institutionelle Verfasstheit einer Gesellschaft zerstörten (wie zwischen 1933 und 1945) oder gefährden (wie jetzt in den U.S.A.). Winand von Petersdorffs Text ist ein Beispiel für die misslungene Integration unseres Erbes. Der Nationalsozialismus ist noch nicht richtig verstanden. In den U.S.A. zeichnet sich ein strapaziöses Ringen um die Wahrheit und den Anstand demokratischer Auseinandersetzungen ab.  Demokratische Institutionen stehen auf dem Spiel (s. meinen Blog vom 27.1.2017: The worst is yet to come). Es ist ernst. 

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