Dienstag, 21. März 2017

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXXXVII: welche Wirklichkeit zählt?

Dieser Blog setzt den vorigen Blog fort.

"Schweizer UBS in Frankreich angeklagt", lautet die Schlagzeile im Wirtschaftsteil der Frankfrter Allgemeinen Zeitung (vom 21.3.2017, S. 19). Darunter der kleiner gesetzte Titel: "Der Bank werden schwerer Steuerbetrug und Werbung für illegale Geschäfte vorgeworfen. Sie reagiert gelassen".

Gelassen. Wie kann die (verantwortliche) Leitung einer Bank gelassen auf diese mächtigen Vorwürfe, die vor einem französischen Strafgericht verhandelt werden, reagieren? Natürlich nicht. Die Anklage ist eine Katastrophe. Wieso kann ein Journalist oder eine Journalistin dann diesen Untertitel (sie reagiert gelassen) einfügen? Leider war ich nicht dabei, als über diese Zeile entschieden wurde - oder nicht entschieden wurde. Als Leser dieser Zeitung vermute ich, dass die Entscheidung zu ihrem Konzept von Wirklichkeit gehört: die Oberfläche als wahr auszugeben. Die Oberfläche ist die Beteuerung der Bank - in einer Verlautbarung oder auf einer Pressekonferenz. Wieso wird die Beteuerung - also die Verleugnung -  verbreitet und der Leserschaft zugemutet?

Ruhe ist die erste Zeitungspflicht: die Scheu, die Oberfläche des - schlecht beobachteten - Verhaltens zu verlassen. Journalismus auf Zehenspitzen. Die Vermeidung von Kritik. Davon hat eine Demokratie - nichts. Das Leisetreten enthält eine korrupte Moral.

Dabei teilte die Bank auf Anfrage der Redaktion mit: "Wir sind auf ein faires Verfahren vorbereitet und werden uns weiterhin vehement in dieser Angelegenheit verteidigen". Vehement ist das Wort, das der Gelassenheit widerspricht: wer sich vehement verteidigt, fühlt oder sieht sich in großer Gefahr. Erstaunlich, dass diese Vokabel nicht in den Text eingearbeitet, die Verleugnung beibehalten wurde.   

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