Mittwoch, 23. August 2017

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) CXIV: manchmal lügen sich Journalisten in die Tasche

Heute Morgen: der Hauptkommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.8.2017, S. 1). "Eine Illusion namens Trump" ist der Titel des Textes von Roland Lindner. Die Politik des U.S.-Präsidenten, schlicht gesagt, holpert; die Chefs führender Firmen sind aus den Berater-Gremien ausgeschieden. Sind sie ernüchtert, wie Roland Lindner vermutet?

Wahrscheinlich nicht. Sie lesen oder lassen ihre relevanten Zeitungen lesen. Ende Januar dieses Jahres schrieb Paul Waldman in der New York Times (31.10.2017): "Trump's history of corruption is  mind-boggling". George Packer schrieb in The New Yorker: "If Trump were more rational and more competent, he might have a chance of destroying our democracy" (1.3.2017).  Charles M. Blow nannte in der New York Times die Präsidentschaft ein ticket to hell (21.3.2017).  Amy Davidson schrieb in The New Yorker vom reckless endangerment des Präsidenten(11.4.2017). Diese Autoren machten sich und ihrer Leserschaft keine Illusionen.

Jetzt ein paar Beispiele aus der Zeitung von den klugen Köpfen für die klugen Köpfe. Am 23.11.2016 überlegte Winand von Petersdorf: "...dass Trump vielleicht doch nicht so realitätsblind ist, wie es bisher erschien". Er war von Stefan Bielmeier (dem Chefsvolkswirt der DZ-Bank) assistiert worden, der in derselben Ausgabe sagte: "Trump agiert rationaler als erwartet". Am 2.3. vermeldete der Kommentar "Neue Töne" des Präsidenten.  Am 21.3.2017 fragte Winand von Petersdorf: "Ist der amerikanische Präsident wirklich so unberechenbar und wetterwendisch wie oft behauptet? Anzeigen, die vor dreißig Jahren erschienen, zeigen: Er ist es nicht". Einen Monat zuvor hatte Klaus-Dieter Frankenberger die Frage einer (leisen) Hoffnung gestellt: "Ist Trump zu seriösem Regieren willens und in der Lage?"

Die bei den Nordamerikanern vermutete (ernüchterte) Illusion ist offenbar die ernüchterte Illusion einiger Kollegen der F.A.Z.-Redaktion, die  Roland Lindner ausspricht. Das Ticket to hell sickert langsam ein. Angesichts der vertrauten öffentlichen Idealisierung oder Idolisierung unserer politischen Repräsentanten ist die nüchterne nordamerikanische Sicht auf ihren U.S.-Präsidenten erschreckend. Die U.S.-Presse nimmt ihren öffentlichen Auftrag, aufzuklären, nachzuhalten und gegen zu halten, sehr ernst.

(Alle Zeitangaben sind die Daten meiner Blogs)

Der Bluff mit der nicht intelligenten Intelligenz

Der Bluff hat einen salonfähigen, respektablen und - wenn man an die Forschungsgelder denkt, die er wie ein Riesen-Staubsauger anzieht - teuren Namen: künstliche Intelligenz. Zugegeben: der Begriff der Intelligenz wird inflationär gebraucht. Was sie ist, ist schwer anzugeben. Selbst die Forscher, die mit ihren Messverfahren, die sie Tests nennen, bescheiden messen  - sie verteilen Rangplätze, aber keine äquidistanten Abstände, so dass niemand genau sagen kann, was einen Intelligenzquotienten von 100 Punkten von  einem Intelligenzquotienten von 101 Punkten unterscheidet - , haben sich auf die schlichte, korrekte Aussage verständigt: Intelligenz ist, was Intelligenztests messen.

Natürlich kann man mehr sagen. Intelligenz ist das Merkmal des Lebendigen. Intelligenz ist die Fähigkeit, etwas zu erfinden. Kann ein Rechner etwas erfinden?  Kann ein Rechner, was ein Kleinkind kann - eine selbstverständliche Leistung eines Kleinkindes - , in einem Bauklotz eine Lokomotive erkennen? Nein. Er muss alles gesagt kriegen. Er kann nicht  erfinden. Er kann rechnen und rechnen und rechnen. Er kann Häufigkeiten nach bestimmten Regeln sammeln und sie verklumpen und abermals verklumpen und abermals verklumpen nach bestimmten Regeln (zu Verdichtungen von korrelierten Häufigkeiten) - organisiert von einer Hierarchien von Algorithmen, die sammeln und sortieren. That's it. Das können natürlich Rechner perfekt. Das können wir nicht. Wir sind keine Maschinen.

Deshalb können wir den Rechnern auch nicht viel zutrauen. Sue Halpern machte ein Experiment und ließ sich ihre Identität nach den von Facebook registrierten Likings  bestimmen. Sie erkannte sich nicht wieder (New York Review of Books, 22.12.2016, Nr. 20, S. 32 - 34: They Have, Right Now, Another You). Herauskam, dass ein Facebook-Algorithmus nach den eingegebenen Vorgaben sortiert: wer beispielsweise die New York Review of Books liest, wird als weiblich und lesbisch verrechnet und sortiert, wer eine technische Zeitschrift liest, als männlich. Mit anderen Worten: in die Sortierregeln eines Algorithmus gehen die Vorannahmen, Vorurteile, Klischees, Ressentiments u.s.w.  seiner Erfinder ein. Die Annahme objektiver Daten-Verarbeitungen ist naiv - sie sind mehr oder weniger höchst  unkontrolliert subjektiv.

Jetzt berichtet Sibylle Anderl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.8.2017, S. 9, Nr. 195) über die Computer-errechneten Fehlleistungen: bei dem Erkennnen von Pferden (deren Bilder wurden in einem Rechenverfahren erkannt nach den auf den Fotos ausgewiesenen Copyrights der Fotografen) und bei der Diagnose von Risikopatienten - da fielen Leute mit Asthma, Brustschmerzen und Herzproblemen durchs Raster des Algorithmus, weil diese Patienten offenbar häufig genug einen medizinischen Kontakt haben, so dass sie kein Risiko darstellen. Dieser schlaue Sortiermechanismus oder Algorithmus hat dämliche Folgen. Wobei das Adjektiv dämlich beim Rechner nichts zu tun hat: er ist weder schlau, noch dämlich, er tut einfach, was man ihm eingegeben hat; er ist ein - intellektuelles Nichts. 

So weit so klar. Wenn nur nicht die Journalistinnen oder Journalisten wären, die ihren Kotau vor den forschen Forschern machen und deren Spuk für einen Fortschritt ausgeben - indem sie dem, was die Rechner tun, menschliche Metapher unterlegen und damit plausibel machen:  "Besonders erfolgreich", so  Sibylle Anderl, "sind dabei künstliche tiefe neuronale Netzwerke. Sie bestehen nach biologischem Vorbild aus mehreren Schichten miteinander verbundener künstlicher Neuronen". Wie das? Wie kann man eine Maschine nach menschlichen Prinzipien nachbauen? Nach biologischem Vorbild. Wie neuronale Netzwerke funktionieren, weiß keiner  richtig. Aus heuristischen Gründen nehmen die NeuroNeuro-Forscher an, dass es sie gibt; mit einem Zeigestock können sie dann auf die bunten Bilder zeigen, wo es sie gibt. Ein Bluff jagt den anderen. Diese Forschung (NeuroNeuro und nicht intelligente Intelligenz) ist ein riesiges Geschäft - weshalb wir selten kritische Autorinnen und Autoren lesen können, die den Spuk einmal kräftig durchlüften.

Als erste Faustregel halte ich fest: wer mit menschlichen Metaphern operiert und sie als Verständniskontexte einschmuggelt, ist verdächtig. Leider ist keine Staatsanwaltschaft zuständig.  

Dienstag, 22. August 2017

Die Fantasie vom Freien Markt oder Freien Wettbewerb

Auch Wirtschaftswissenschaftler träumen - sie merken manchmal nicht, dass sie träumen. Vor einer Woche (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.8.2017, S,. 22)  empfahl Peter Bofinger - Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung und (wenn ich mich richtig erinnere) einsame Stimme im Chor der Krämer beim  Streit um das Management der griechischen Schulden - das Gegenmittel zum ökonomischen Fantasieren: eine kluge Industriepolitik des Staates. Der freie Markt ist nicht frei; auf ihn lässt sich gut in den Abgrund wirtschaften. So hat das Peter Bofinger nicht gesagt. Aber seine Beispiele sind: die Banken, die Atomkonzerne, die Autoindustrie. Man kann sie nicht einfach ihrer Geschäftsfreude überlassen.

Eine Woche später in derselben Zeitung (22.8.2017, S. 20) melden sich die Kollegin und die Kollegen (Isabel Schnabel, Lars Feld, Christoph Schmidt und Volker Wieland)  des Beratungsgremiums zu Wort und argumentieren für die Banken und die Atomkonzerne. Ihre Verteidung klingt auch plausibel. Die Autoindustrie haben sie vergessen. Die Abhängigkeit des unfreien freien Marktes von der Ausbeutung der machtvollen kursierenden Fantasien von Status, Reichtum und Macht sehen sie auch nicht. Dabei ist Donald Trump der gewählte Repräsentant der Ellenbogenschubserei auf dem Markt des Reichtums und des Glamours. Jetzt können wir sehen, was ein Herr des Geschäfts mit seinen zerstrittenen Mannschaften und seinen entsetzten, zerstrittenen politischen Kolleginnen und Kollegen anrichtet. Haben wir Grund, die Macht der Geschäftsleute auf dem freien Markt zu feiern? 

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) XXXXXXIII: eine schlechte Zensur ist auch schön

"Der schlechteste Präsident" überschrieb Berthold Kohler seinen Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.8.2017, S. 1). Schlechteste ist der Superlativ des Adjektivs schlecht. Stand es regelmäßig schlecht um die U.S.-Präsidenten? Offenbar. Das ist doch ein Journalisten-Vergnügen: dem U.S. - Präsidenten ein Ungenügend zu verpassen.

Was haben wir von der Zensur? Nichts.

Den Kommentator interessiert - jedenfalls spricht er nicht darüber - weder der mit der Wahl von Donald Trump verbundene Angriff auf das demokratische System der U.S.A., noch die Frage der Krise der Demokratie, noch das zähe Ringen um das Überleben der demokratischen  Institutionen. Die Kündigung der Mitarbeit von Steve Bannon ist auch ein Triumph. Wir könnten ihn ein wenig
mitfeiern. Bei einem Ungenügend kann man sich nur kopfschüttelnd abwenden.

Montag, 14. August 2017

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) XXXXXXII: Grobes Foul

"Übles Kalkül"ist der Titel des Kommentars einer Autorin oder eines Autors - das Autoren-Kürzel: "riw" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.8.2017, S. 8) - zur unscharfen Stellungsnahme des U.S.-Präsidenten zur mörderischen Gewalt in Charlottesville am vergangenen Samstag, den 12.8.22017. Gegen den Komentar ist nicht viel einzuwenden - bis auf den letzten Satz:

"Wie groß der Schaden ist, den Trump sich durch seine moralische Mehrdeutigkeit selbst zugefügt haben mag, bleibt jedoch ungewiss in einem Land, das so von Hass durchsetzt ist wie Amerika". 

So von Hass durchsetzt - wie sind die U.S.A. denn durchsetzt? Das Adverb so suggeriert ein Ausmaß, das allerdings nicht bestimmt wird und darum riesig zu sein scheint. Tenor: dagegen gibt es kein Mittel - der Hass ist riesig. Das Verbum durchsetzen kündigt die (enorme, unaufhaltsame) Macht des Übels an.

Zwei Fragen:
1.  welche Qualität (Intensität) hat er? Man muss von einem Spektrum ausgehen: von einem Hass des (mehr oder weniger stark gepflegten) Ressentiments, das gehört werden will, bis zu einen mörderischen Hass, der nicht mehr kontrolliert werden kann und realisiert werden muss. Man müsste versuchen, seine Handlungsrelevanz zu bestimmen, dann könnte man in etwa die Qualität des Hassens angeben. Die ist natürlich nicht einfach herauszufinden.
2. wie ist er im Land verteilt?  Man müsste seine Verteilung bestimmen, um sagen zu können, wie durchsetzt die Vereinigten Staaten sind.

Liest man etwas von der U.S.-Presse, sieht man: der Protest gegen den faschistoiden Rassismus und gegen den Versuch, ihn zu verleugnen, ist kräftig und eindeutig. Die U.S.A. sind nicht durchsetzt. Bleibt die Frage, weshalb der Kommentar diesen Ton der Verachtung anschlägt. Meine Vermutungen: Er missversteht den Affekt des Hassens. Er unterschätzt die nordamerikanische Demokratie. Er missversteht die Demokratie, in der das robuste Ringen um Zivilisiertheit politischer Alltag ist oder sein sollte; auf Zehenspitzen kann man sich schlecht bewegen. Er ist gut eingestimmt auf die wohl temperierten bundesdeutschen Auseinandersetzungsformen -  bei denen der laute Affekt als Entgleisung quittiert wird: neulich (am 30.6.2017) bei Johannes Kahrs, dem SPD-Politiker, der der Kanzlerin für ihre Hinhalte-Technik ironisch und aufgebracht dankte, die Diskussion der Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare systematisch vertagt zu haben, bis sie sich, so Kahrs, wie damals Günter Schabowski (am 9.11.1989) verstolperte und die Abstimmung im Parlament gestattete.

(Überarbeitung: 15.8.2017)  

Dienstag, 8. August 2017

Bekanntes von der betrügerischen Heiligen Kuh CXI: ihre Hüter werden spendabel. Wieso?

Jetzt gibt es bei unseren Autoherstellern Prämien beim Kauf eines neuen Wagens. Das ist doch großzügig, nicht wahr? Die alten Stinke-Schätzchen (wenn sie ziemlich alt sind) können gegen ein
neues Nicht-so-Stinke-Schätzchen eingetauscht werden. Können - wenn die betrogenen und gebeutelten Besitzerinnen und Besitzer mitspielen im Vertuschungswettbewerb der Betrüger.

Bekanntes von der betrügerischen Heiligen Kuh XXXXXX: eine Laien-Vermutung

Die versprochenen neuen Motor-Einstellungen, die die Verbrennung regeln sollen, sind offenbar knifflig einzurichten und haben, anders  behauptet, Folgen: wenn ich mir den Fall des Familienvaters nehme, dann kann eine neue Motor-Regelung dafür sorgen, dass weniger Stickoid ausgestoßen wird, aber mit der Folge, dass mehr Ruß erzeugt wird. Dann entfällt das Argument des geringen Kohlenstoff-Ausstoßes. Es sei denn, man baut den Diesel-Motor um und eine aufwändige Lösung ein. Das kann oder will die Autoindustrie nicht: zu teuer.

Jedenfalls hat Porsche  angekündigt (heute nachzulesen in der F.A.Z.), keine Diesel-Motoren mehr einzubauen. Ob die Leitung des VW-Konzerns eine so klare Linie gutheißt? Wir werden sehen.

Neues und Bekanntes von der betrügerischen Heiligen Kuh XXXXXIX: Es klappt nicht, aber der BMW-Chef behauptet das Gegenteil

Ein Fall aus meiner Familie: der Familienvater (drei Kinder) fuhr mit seinem Touran in die VW-Werkstatt, um das Software-Update aufspielen zu lassen. Es ging nicht. Es gab eine Fehler-Meldung. Die alte wollte die neue Software nicht - wie sagt man: aufnehmen? integrieren? Es geht also nicht so einfach wie mit einer gängigen Rechner-Software.

Was sagt uns das? Der als Lösung angekündigte Eingriff ist ein schwerer Eingriff. Die existierende Software ist das Produkt intensiven Tüftelns. Würde man Karl Poppers (strenges) Falsifikationskriterium anlegen, dann müsste man sagen: der Vorschlag von VW ist gescheitert. Ein Fall reicht. Nun hat sich im Wissenschaftsbetrieb herumgesprochen, dass man eine Theorie schlecht mit einem Experiment widerlegen kann. Okay. Wir haben: ein Gegenbeispiel.

Interview mit dem BMW-Chef, abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (6.8.20167, S. 21), Harald Krüger. Er sagt: "Der Diesel kann sich sehen lassen". Er sagt: "Immerhin werden durch die Updates der Hersteller die Stickoxid-Emissionen um 25 bis 30 Prozent reduziert".
Frage: "Verliert der Diesel durch das Update an Leistung?"
Harald Krüger: "Nein. Das kann ich ausschließen. Das Update führt hier zu keinen Einbußen".
Frage: "Wie lange dauern diese Updates?"
Harald Krüger: "Das geht nicht ganz so schnell. Die Softwarepakete sind heute schon in der Entwicklung. Die letzten werden Mitte 2018 fertig sein. Das häng auch an der Genehmigungsdauer des Kraftfahr-Bundesamtes".

Was sagt uns das? Es ist etwas versprochen worden - neulich, beim großen Treff - , das es noch nicht gibt. Harald Krüger nennt Zahlen, die noch nicht erhoben wurden. Woher weiß er das? Er weiß es nicht, er behauptet es. Leider ließen sich die Journalisten Corinna Budras und Rainer Hank damit abspeisen. Ob der Herr so überzeugend wirkte?  Gekonntes Bluffen ist nicht einfach.      

Freitag, 4. August 2017

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) XXXXXXI: Seltsame Konzeptlosigkeiten

Journalistische Autorinnen und Autoren weisen selten ihre Konzepte aus - man muss sie, wenn sie sich in den Texten andeuten, erschließen. Ich verfahre nach dem (methodischen) Prinzip: dem Satz oder der Formel, der oder die mich zu beschäftigen beginnt, gehe ich nach. Zwei Beispiele aus der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4.8.2017, Seite 15 (Autor: Hendrik Wieduwilt), und vom 1. und 2.8.2017, Seite 1 und Seite 3 (Autor: Andreas Ross).

1. "Sammelklagen nur mit Wucherschutz" (4.8.2017). Diese beiden Sätze gingen mir nach:
"VW Kunden in Amerika konnten zum Beispiel schon für manipulierte Abgaswerte kassieren. Der Gerechtigkeit dient das nicht". "Gerechtigkeit" ist ein wirklich schweres Wort: ein demokratisches Ideal (in unseren Lebensverhältnissen); es wird in der Praxis der Jurisdikative ausgehandelt und öffentlich abgestimmt (Bernhard Schlink: Praktische Gerechtigkeit im MERKUR 805 vom Juni 2016). Was ist gerecht bei einem massiven Betrug? Wenn man massiven Betrug als einen Angriff auf das institutionelle demokratische Gefüge versteht, dann ist eine drastische Strafe und eine großzügige Entschädigung - gerecht. Dann wird auch nicht kassiert. Mit anderen Worten: der Autor hat für das institutionelle Gefüge kein ausreichendes Konzept und offenbar nicht verstanden, weshalb in den  U.S.A. Betrug schwer bestraft wird.

2. "Führungsloses Amerika" (1.8.2017). Andreas Ross listet die Turbulenzen der gegenwärtigen US.-Präsidentschaft auf und bilanziert: führungslos. Unser Grundsgesetz sagt über die Aufgaben des Kanzlers: er oder sie "bestimmt die Richtlinien der Politik". Es spricht nicht von Führung - das Wort vom Führer ist uns ja mächtig vergällt worden. Von diesen sprachlichen Feinheiten abgesehen, ist die Formel "Führungsloses Amerika" unpolitischer Kokolores: die Politik eines demokratischen Landes - wie immer realisiert - ist das interaktive Produkt komplizierter Prozesse des Aushandelns vieler Protagonisten. Dass Andreas Ross Politik als die Leistung eines Führers konzipiert - verdichtet in dem Titel seines Textes - ist erstaunlich und ein alter Hut und wird bei uns repetiert in dem Interesse an den Bewegungen unserer Kanzlerin, mit welchen Taktiken sie ihr Machtinteresse sichert.

Dagegen sprach David Cole von "Trump's Constitutional Crisis" (The New York Review of Books Nr. 10, 8. - 21.6.2017). Konstitutionelle Krise: ist das Wort für ein Konzept politischer Prozesse - und das drastische Wort für das nordamerikanische Missvergnügen an der gegenwärtigen Präsidentschaft. Erstaunlich ist, wie sehr Andreas Ross die  Gefahr der Zerstörung des institutionellen Gefüges der U.S.A.  unterschätzt. Damit ist er nicht allein. Bei uns dominiert offenbar das Vergnügen an einer Variation der House of Cards. Ich wundere mich sehr, wie wenig alarmiert unsere Öffentlichkeit hinsichtlich der demokratischen Krise in den U.S.A. ist. Meine Vermutung: so richtig herumgesprochen hat sich bei uns die institutionelle Bedeutung interaktiver demokratischer Prozesse noch nicht.

Mein Beleg: der zweite Text von Andreas Ross: "Zehn Tage unbedingter Liebe". Der Pressechef Anthony Scaramucci wurde nach zehn Tagen Amtszeit entlassen. Der Titel ist für eine ernsthafte Berichterstattung - hanebüchen. Ich zitiere einen Satz aus dem Kontext:

"Vielleicht findet der pensionierte Generalleutnant Flynn, gegen den verschiedene Ermittlungen laufen, jetzt Trost darin, dass er sich immerhin doppelt so lang im Weißen Haus gehalten hat wie Scaramucci". Es gibt für uns keinen Grund zum Schenkelklopfen über eine vermeintliche Form politischen Klamauks.         

Mittwoch, 2. August 2017

Neues von den betrügerischen Hütern der Heiligen Kuh: CVIII: the shoot-out is finished

Gestern (am 2.8.2017) leitete Ingo Zamparoni von den Tagesthemen die Nachrichten vom Berliner Treffen tatsächlich mit dem Wort vom showdown ein. Aber leider qualmte es in dem Raum, in dem die Riesen-Runde sich traf, nicht richtig. Die Patronen wurden verschossen. Es blieb alles beim alten. Die Leute von der Autoindustrie drängten, erpressten, blufften und zogen sich als großzügige Ehrenmänner aus der Affäre - ich war nicht dabei; mein Eindruck und Fazit sind erschlossen.

Es war und ist das repetive Argument, das fast so alt wie die Bundesrepublik ist: die Arbeitsplätze, die Arbeitsplätze, die Arbeitsplätze.... unserer ach so bedeutenden, entscheidenden Schlüsselindustrie - Exportweltmeister! So wurde früher ähnlich gegen die Tempolimits gedroht: weil die Autos bei uns hohe Geschwindigkeiten fahren können, haben sie einen guten Ruf, der Schaden nehmen würde, wenn ....

Die Autoindustrie ist mit ihrem Raum-greifenden Imperialismus und mächtigen Produkten neben der allmählich demontierten Atomindustrie der teuerste Luxus, den sich die Bundesrepublik mit ihren enormen Subventionen leistet; sie verursacht die höchsten Kosten: Menschenleben und Menschenleiden, Infrastrukturschäden (Straßen, Brücken, Städte, Zersiedlung, und Verdichtung der Landschaften), Zerstörung und Ausbeutung unserer natürlichen Umwelt, Verschwendung unserer Ressourcen - habe ich etwas vergessen? Mit anderen Worten: die Jungs oder die Herren von der Autoindustrie sollten kleine Brötchen backen.

Das Tolle ist: sie müssen nicht. Sie geben sich sicher und drücken zugleich auf die Tränendrüsen.
Was für ein Schauspiel!

Natürlich brauchen wir das Auto. Die Frage ist: welchen Platz es einnehmen soll in unserem Verkehrssystem. Ob wir das je nüchtern, kritisch und substanziell diskutieren können?

Und jetzt?
Jetzt muss schleunigst geprüft werden, was bei den paar Klicks für die Motoren-Software am Auspuff herauskommt. Eine kleine Strichprobe sollte fürs erste reichen. Eine internationale Institution sollte das prüfen - eine, die nicht eingelullt worden ist von den Fantasien einer Branche, die hartnäcktig darauf besteht, weiter fantasieren zu können.