Sonntag, 17. September 2017

Eine vertraute (faschistische) Fantasie: im Wort vom "autonomen Fahren"

Wer das Wort vom autonomen Autofahren benutzt, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank - und alle Nachschlagwerke auf den Müll geworfen. Für unsere Kanzlerin, die auf der IAA mit diesem Wort ihre verunglückte Rede ausschmückte (s. meinen Blog vom 16.9.2017), gilt das natürlich nicht: sie hat von vornherein etwas von der Demokratie nicht verstanden. Beim Rechner-gesteuerten, Fahrer-losen Bewegen eines Automobils wird gerade die Autonomie des Piloten abgegeben und einer  anonymen (allmächtigen), unkontrollierten Kontroll-Instanz von Sendern, Empfängern und Rechnern übergeben und  überlassen. Die Autofahrerin oder der Autofahrer nimmt auf dem Beifahrersitz Platz und beobachtet den Fahrersitz und weiß nicht, wo sie oder er sitzt. Eine Unterwerfung als autonome Handlung auszugeben, ist doch ein böser Witz. Das hatten wir schon in den Jahren 1933 bis 1945, als  die Freude der Unterwerfung für den gelb-braun-schwarzen mörderischen Terror entschädigte.

(Überarbeitung: 19.9.2017)

Samstag, 16. September 2017

Die süße Korruption des gemeinsamen öffentlichen Fantasierens: unsere Bundeskanzlerin und die Automobilindustrie

Am Freitag, dem 15.9.2017, ist auf der ersten Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu sehen: unsere Kanzlerin, die lächelnd aus dem flachen Audi Aicon mit dem Mikrophon in der rechten Hand steigt, vom Audi-Chef Stadler mit der großen Geste der offenen Armen  - wie es der ARD-Mann Sven Plöger so herrlich entschuldigend kann, wenn er die Unbilden des Wetters ankündigen muss - begleitet. Ein Bild der Kumpanei (Zeitung, Kanzlerin und Audi-Repräsentant spielen zusammen) und eines seltsamen Amts- und Rechts-Verständnisses.

Vor diesem Foto dürfte Angela Merkel die Rede zur Eröffnung der Frankfurter Automobilmesse gehalten haben. Ihre Rede folgte  dem kursierenden Konsensus der Korruption. 1. Angela Merkel: "...dass wir aus Fehlern lernen müssen..." Aus Fehlern. Der schwere, strafrechtlich relevante Betrug war ein Fehler. Der Fehler bestand darin, sich erwischen zu lassen. Unsere Kanzlerin pflegt die Sprache der Betrüger. Wenig später spricht sie von der Dieselthematik und folgt der VW-Sprachregelung der Verleugung. 2. Die Rührseligkeit des Polit-Kitschs. Die Leute der Autobranche, führt sie aus, "haben Regelungslücken exzessiv ausgenutzt... sie haben nicht nur sich selbst Schaden zugefügt, sondern auch Verbraucher, Behörden getäuscht und enttäuscht". Diffuses Lamento. 3. Konzeptionslose Appelle des Durchhaltens. Angela Merkel: "Es muss der Wandel zu emissionsfreier Mobilität gelingen". Wie das? Frei von Emissionen? Die Kanzlerin lädt zum Fantasieren der Großartigkeit ein. 4. Phantastische Vorschläge: "Bereiten Sie" - sie meint die Leute von der Autobranche - "die Menschen auf das autonome Fahren vor". Wie das? Der Vorschlag ist besonders treuherzig.Wie sollen die Leute von der Autobranche sagen können, dass die von ihnen verbreiteten Bilder vom fahrenden Wohnzimmer falsch sind? Wer von ihnen traut sich zu sagen, dass wir künftig wie auf Schienen fahren sollen: gemächlich, nebeneinander und hintereinander. Wer von ihnen traut sich zu sagen, dass wir demnächst dann andere Fahrzeuge benötigen und wahrscheinlich haben werden? Kleinere Fahrzeuge, auf geringes Tempo und damit auf geringe Leistungsanforderungen ausgelegt? Wer von ihnen traut sich zu sagen, dass das Schienen-ähnliche Fahren ihre Konzeption des Autos und des Autofahrens auf den Kopf stellt? Dass sie sich damit aus ihrem bombigen Geschäft katapultieren? Hat jemand schon ausgerechnet, welchen Platz-Bedarf die riesigen Fahrzeug-Kolonnen haben werden? Hat jemand schon einen Plan, wie die automobilen Schienen-Fahrzeuge betrieben und bewegt werden sollen?

Nichts gegen das Fantasieren. Normalerweise dient es dem Entwerfen von Wirklichkeiten und dem Reparieren der kränkenden Erfahrungen mit Wirklichkeiten. Unsere Kanzlerin und ihre Mannschaft helfen mit beim regressiven Fantasieren und sind offenbar blind. Was soll's. So oder so. Es wird Zeit, dass die Autobranche anfängt, die kleinen Brötchen zu backen. Der erste Schritt besteht in der Einführung von Tempolimits.

Was inzwischen geschieht: in NRW auf der wunderbar zum Schnellfahren - 200 km/ sind ein Klacks - ausgebauten Autobahn zwischen Aachen und Düren wird die Begrenzung auf 130 km/h installiert. Zu hohes Tempo, zu viele schwere Unfälle. Es dauert lange, aber die Realität setzt sich durch. Vor 40 Jahren wurde über Tempolimits auf Autobahnen gestritten, jetzt kommt die Diskussion wieder. Es geht nicht nur um das Schnellfahren. Es geht auch um den Wahn, schnell fahren zu können und zu müssen. Dieser Wahn hat bislang zur Produktion schwerer Automobile geführt. Es wird Zeit, dass er wirklich ernüchtert wird. Es wird Zeit, dass wir unsere mobilen Praxen revidieren und uns anders zu bewegen aufmachen. Unsere Regierung hat das noch nicht verstanden.

(Überarbeitung: 26.2.2019)

Donnerstag, 14. September 2017

Neues von der betrügerischen Heiligen Kuh CXIII: jetzt haben wir ein vernünftiges, praktisches Kalb aus Aachen

Der Erfolg um Günther Schuh, den Aachener Professor an der RWTH Aachen aus Köln, und seiner Gruppe ist gut zu verstehen. Günther Schuh dachte gegen den Konsensus der ausbeuterischen Größen-Fantasie unserer Automobil-Industrie - gegen deren Marketing-Politik, dass 1) nur das Automobil, das viel kann, zählt (schnell fahren, weit fahren, abseits fahren mit großer Ladefläche und großem Komfort) und dass 2) das Auto mit Elektromotor das auch können muss. Muss es nicht. Ein kleines Auto reicht. Meine Arbeitsstelle lag 50 km entfernt. Mehr als 100 km am Tag bin ich selten gefahren. Wenn man in der Stadt wohnt, kann man damit auskommen. Was braucht man noch? Ein sehr komfortables System des öffentlichen Verkehrs. Wer auf dem Land wohnt, steht anders da.

Mit anderen Worten: das von den Aachenern auf eine gängige Praxis auslegte Automobil ist die erste im großen Umfang realisierte vernünftige Antwort auf die Frage nach der Veränderung unserer Bewegungspraxis. Warum müssen wir so viel Geld für ein Auto ausgeben? Wer braucht ein Auto mit 300 PS und einem Drehmoment von 600 Newtonmetern? Wer einen Wohnwagen oder ein Schiff in den Urlaub ziehen möchte. Wie viele Leute sind das?

Mit anderen Worten: die Aachener haben Erfolg mit ihrem Konzept der kleinen mobilen Brötchen. Wo der Strom herkommen soll, wenn viele Andere kleine Brötchen backen wollen, ist die nächste Frage. Man muss das Automobil mit seinem Verbrennungsmotor nicht verbieten. Man muss sich zu einem vernünftigen System der Bewegungspraxen durchringen. Die Autoindustrie kann das nicht; sie denkt in Einheiten, die sie teuer verkaufen möchte, nicht an das System.

Das Fernsehen und seine Inszenierung des Politischen: Angela Merkel und Martin Schulz

Die Fernseh-Inszenierung der Aufgeregtheit heißt: Duell.  Aber einen Wettkampf zwischen der Parteivorsitzenden und dem Parteivorsitzenden gibt es nicht: sie ist Bundeskanzlerin, er war Präsident des Europäischen Parlaments. Die vergnügliche Fantasie vom Wettkampf ist unangemessen. Es ging am Sonntag, dem 3.9.2017, um die Frage, wer welche politische Substanz repräsentiert. Die Frage wurde nicht geklärt. Die vier Journalistinnen und Journalisten waren lahme Stichwortgeber und konfrontierten Angela Merkel und Martin Schulz ungenügend. Die erste Frage stellten sie Martin Schulz; er hatte die Kanzlerin mit der These kritisiert, sie würde (sinngemäß) unsere Demokratie zerstören. Angela Merkel damit zu konfrontieren wäre vielleicht aufschlussreich gewesen: hinsichtlich ihrer alternativlosen (konzeptionslosen) Politik im Dienste des Machterhalts, die sich gewissermaßen von selbst, ohne parlamentarische Diskussionen ergibt. Die  Journalisten trauten sich nicht. Sie schützten unsere Kanzlerin. Sie waren schlecht vorbreitet. Der Fernsehabend, mit großem Tamtam angekündigt und beendet, war eine Veranstaltung der ängstlichen Vermeidung. So werden politische Prozesse entwertet, verachtet und dem hämischen Vergnügen überlassen.