Dienstag, 31. Januar 2017

Neues von der Heiligen Kuh XXXXX: das Lügen hat (demnächst) ein Ende

Vergangenen Samstag (28.1.2017) lautet der Aufmacher des Wirtschafts-Buches (der Frankfurter Allgemeinen, S. 19): "Verdacht gegen Winterkorn wird stärker". Wird stärker. Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen gegen ihn bestätigt; in der Folge waren seine Dienst- und Privaträume durchsucht worden. Der Komparativ stärker ist ein treuherziger Komparativ - unangemessen für die Zeitung für die klugen Köpfe. Der Verdacht war schon immer stark - das konnte man sich an fünf Fingern abzählen; wenn man denn so viel brauchte. Damit ein Verdacht strafrechtlich relevant ist, muss er substantiiert sein. Das ist er offenbar jetzt - ausreichend für weitreichende Ermittlungen.

Seltsam, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung so unscharf formuliert. Der Aufmacher wird von diesen Sätzen flankiert: "Im Abgasskandal von VW gerät der frühere Vorstandschef weiter unter Druck. Die Staatsanwälte ermitteln nun auch wegen Betrugs gegen ihn". Das taten sie schon eine ganze Weile; anderenfalls hätten sie ihren Verdacht nicht substantiieren können.

Vierzehn Tage zurück - s. meinen Blog vom 1.1.2017. An diesem Tag hatte  die Zeitung vermeldet: "Sechs Manager wurden angeklagt". Carsten Germis hatte  diesen Vorgang in den U.S.A. mit den Worten kommentiert: "Die Spitze von VW in Wolfsburg kann damit aufatmen". Diese Fehleinschätzung war ebensfalls seltsam. Nicht nur, dass Germis riskierte, sich als naiver Journalist zu präsentieren. Er hatte eine falsche Prognose der Beruhigung riskiert. Offenbar ist er mit den strafrechtlichen Ermittlungen nicht einverstanden. Oder ist der Satz mit dem Aufatmen ironisch gemeint?

 

Montag, 30. Januar 2017

Anne Will und Martin Schulz

Gestern (29.1.2017) Anne Will in Anne Will in der A.R.D. Die Sendung wurde (sinngemäß) angekündigt mit: Kann Martin Schulz Bundeskanzler? Das war eine witzige Sendung mit einem witzigen Titel, der auch die Frage-Strategie ausmachte. Was sollte Martin Schulz darauf antworten? Er musste die Selbstverständlichkeit (die für jede Anstellung - die ein Scheck auf die Zukunft ist - gilt) x-mal variieren, dass man erst für eine Position angestellt werden muss, bevor man den Nachweis antreten kann, dass man sie ausfüllen kann. Da ließ er sich nicht verblüffen; er warb um seine Wählerschaft. Was konnte er noch tun? Sich passabel schlagen. Auch das gelang ihm. Martin Schulz pflegte einen deutlichen Ton; er redete sich nicht heraus und redete nicht herum. Er blieb persönlich - mit einem pathetischen Schwung - und er entwickelte Humor: wir können heute nicht gut miteinander, sagte er der Dame mit der eigenen Sendung.

Aber Anne Will diskutierte mit Martin Schulz nicht die Frage, weshalb seine Kandidatur seine Partei so aufleben ließ. Er repräsentiert die Hoffnung auf einen Kandidaten mit Biss; er ist zäh, Turbulenzen-erfahren und er kennt die Kanzlerin aus den Kontexten des Brüsseler Haareraufens, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Er ist offenbar für die S.P.D. (wie sehr, kann ich nicht sagen) die Erlösung vom Zwang und Joch der Koalitionsanpassung: er kommt aus Brüssel und aus Würselen bei Aachen; er ist nicht Berlin-gebunden wie der Hamlet-artige Sigmar Gabriel. Martin Schulz setzte auf sein Anderssein und sein Kampfgewicht. Den Fußball-Spieler sieht man ihm noch immer an. Die Kanzlerin, die nicht Fußball spielen kann, ließ er draußen - trotz Anne Wills Versuchen, sie aufs Spielfeld zu drücken. Das war doch ein Auftakt.

Samstag, 28. Januar 2017

Angela Merkel III: "Respekt"-Adresse an den U.S.-Präsidenten

"Respekt" verlangt oder erbittet (laut Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung vom 22.1.2017, S. 1 ) unsere Bundeskanzlerin vom neuen U.S.-Präsidenten. Die Forderung oder Bitte wird sie vergeblich äußern: mit "Respekt" hat er nichts im Sinn. Außerdem kann man "Respekt" nicht fordern, sondern muss ihn gewinnen durch Beeindrucken. Respektlosigkeit ist das Programm des U.S.-Präsidenten, der so seine Großartigkeit feiert. Dazu gehört das Vergnügen am Anrempeln. Allerdings wird er vermutlich empfindlich reagieren, sollte er nicht hofiert werden. Das Erinnern an Tischmanieren oder Umgangsformen à la Knigge ist ein tantenhaftes politisches Programm unserer Regierung im Umgang mit der neuen Regierung, die sich mit dem anderen Programm des fröhlichen Zerschlagens von Porzellan noch sicher (wer weiß?) wähnt. Wenn der Lärm des Zersplitterns abklingt und die Kosten des neuen Porzellans bekannt werden, beginnt die Auseinandersetzung um die Wirklichkeit. Dann sollten die europäischen Regierungen bereit sein, sie zu behaupten.

(Überarbeitung: 30.1.2017)

Freitag, 27. Januar 2017

Donald Trump IV: The worst is yet to come

Das Cy Coleman-Carolyn Leigh-Lied heißt richtig: The Best is yet to Come. Es stammt aus dem Jahr 1959. Es handelt von einem leidenschaftlichen Begehren und Versprechen: I'll teach you to fly. Einen anderen Größen-Flug verspricht der U.S.-Präsident seinen Bürgerinnen und Bürgern. Er bedient mit seiner Mannschaft, könnte man sagen, die komplette Klaviatur robuster Verheißungen. Er behauptet, was er will; er sagt, was er will; er tut, was er will. Dieser Präsident attackiert die demokratischen Traditionen seines Landes. Was er nicht sagt: er betreibt einen Rachefeldzug. Was er offenbar nicht weiß: er droht,  sein Land mit seinem Rachfeldzug zu destabilisieren. Womit er nicht rechnet: es wird einen Aufruhr geben und er wird gegen die Wand der U.S.-Zivilgesellschaft laufen. Revenge is out.

(Überarbeitung: 28.1.2017)

Rette sich, wer kann!

Theresa May, die britische Premierministerin, reist nach Washington zum  U.S.-Präsidenten zur "Erneuerung der Sonderbeziehung" (Frankfurter Allgemeine, 27.1.2017, S.1). Angela Merkel, unsere Bundeskanzlerin, telefonierte inzwischen mit Li Keqiang, dem chinesischen Ministerpräsidenten; es ging um "Freihandel und eine  stabile Welthandelsordnung" und um "einen schnellen, erfolgreichen Abschluss eines europäisch-chinesischen Investitionsabkommens" (Frankfurter Allgemeine, 27.1.2017, S.1). Theresa May drängt, Angela Merkel drängt - wie kann man deren Aktivitäten  verstehen: hier ein Kotau, dort ein Kotau?

Noch sind die Briten in der EU. Wie wäre es, wenn die Gemeinschaft sich auf ihre Gemeinschaft besinnt und sich darauf verständigt, die Projekte der EU und der Demokratie gründlich zu überdenken? Die Vermischung von Demokratie und Geschäft ist intolerabel. Zuvor müsste sich der Zustand der Panik beruhigen. Rette sich, wer kann? Nein, abwarten und Tee trinken und sich die Wirklichkeit klarmachen. Ein Rabauke ist ein Rabauke. Ihm geht irgendwann die Luft aus.

(Überarbeitung: 28.1.2017)

Mittwoch, 18. Januar 2017

Joseph Stiglietz: Drei einfache Empfehlungen an die Industrie zur Beseitigung der Ungleichheit

Joseph Stiglitz, Wirtschaftsprofessor an der New Yorker Columbia University  und Nobelpreisträger (von 2001), gab, anläßlich der Davos-Konferenz, drei einfache Empfehlungen (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.1.2017, S. 18) an die Industrien:
1. Bezahlt eure Steuern - ohne sie mit Tricks herunter zu rechnen! Enorme Summen gehen den Staaten verloren.
2. Behandelt eure Leute anständig, so dass sie nicht in Armut leben müssen. "Der Nettoverdienst von Managern in großen amerikanischen Konzernen beträgt etwa das 300fache, was ein Arbeiter im selben Unternehmen durchschnittlich verdient". Das sei, so Stiglitz, nicht "mit Produktivitätsunterschieden zu erklären. In vielen Fällen ist der Nettoverdienst von CEOs deshalb so hoch, weil sie es können".
3. "Investiert in die Zukunft des Unternehmens, in die Angestellten, in die Technik, ins Betriebskapital".

Drei einfache, plausible, vernünftige Empfehlungen. Wenn bloß das Abgeben und Teilen nicht so schwer wären!

Angela Merkel II: "Wir Europäer haben unser Schicksal selbst in der Hand"

Diesen Satz verbreitete vorgestern (am 16.1.2017) unsere Bundeskanzlerin in ihrer Pressekonferenz, mit der sie auf die Pressekonferenz des president-elect Donald Trump antwortete. Aus einzelnen Sätzen lässt sich - ohne den Kontext angemessen zu berücksichtigen - natürlich dies oder das erschließen; man muss vorsichtig sein. In dem Satz fällt mir das Demonstrativpronomen selbst auf: es ist überflüssig. Es unterstreicht unfreiwillig die Hilflosigkeit der Kanzlerin: wieder ein Trost für die Zukunft - Muster: wir schaffen das - , wieder die Variation eines Alltagsklischees nach dem Zuschnitt Jeder ist seines Glückes Schmied. Dabei wissen wir, dass nicht jede Dame oder jeder Herr der eigenen Lebensgeschichte und Lebenssituation ist. Es ist zum Schießen & zum Kugeln: ein solcher Satz wurde offenbar nicht mit einem gewaltigen Lachen der Vertreter der Beobacher-Profession quittiert. Eine Platitüde als Auskunft über eine zukünftige Politik. Angela Merkel hatte auch gleich die Begründung: Warten auf die Amtseinführung des neuen U.S.-Präsidenten am 20. Januar 2017. Sie ließ in der Pressekonferenz nicht weiter mit sich reden. Sie ging. Sie kam damit durch. Am nächsten Tag wird sie brav zitiert (im Aufmacher der Zeitung für die klugen Köpfe (17.1.2017, S.1). Was wird mit/aus unserer Öffentlichkeit? 

Montag, 16. Januar 2017

Das Wort zum Einlullen IX: "Die Politik"

"Die Politik" wird betrieben von Leuten, die in verschiedenen Parlamenten (Bund, Länder, Gemeinden, Städten und öffentlich-rechtliche Institute) sitzen oder Ämter in Behörden und Institutionen ausüben. Die Leute haben alle einen Namen  - und Berater, Wissenschaftler usf. Wer von "der Politik" spricht, vermeidet die Mühe, herauszufinden, wer verantwortlich ist für eine bestimmte Intervention - welche auch immer. "Die Politik" ist Kurzschrift und lädt ein zur Projektion: alle Politiker und Politikerinnen sind ... "Die Politik" reduziert die Komplexität der Prozesse und stärkt die Vorurteilsbereitschaft der  Einfachheit.

Neues von der Heiligen Kuh XXXXIX: ein Hüter steht am Pranger

Das Drama der Wolfsburger Anstrengung, das Ausmaß der Verantwortung der Konzernspitze bei dem systematischen Betrug zu vernebeln, konturiert sich weiter. Gestern erschien in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (15.1.2017, S. 24) der ausführliche Text von Corinna Budras mit diesen Überschriften:

"Angeklagt. Im Diesel-Skandal greift die amerikanische Justiz jetzt durch. Sie erhebt Anklage gegen sechs VW-Mitarbeiter und lässt den Manager Oliver Schmidt in Miami verhaften. Wer ist dieser Mann? Und was hat er mit dem Betrug zu schaffen?"

Man kann ihn sehen auf dem - fast die Hälfte der Seite füllenden - Foto, das im Sheriff Office Broward County (wo er fest gesetzt wurde) bei seiner Aufnahme gemacht wurde: übliche U.S.-Praxis, die bei uns nicht üblich ist - Oliver Schmidt am medialen, weltweit verbreiteten Pranger, der strafrechtlich relevante Betrug hat ein Gesicht bekommen, seine öffentliche Beschämung und Isolierung sind eingeleitet, das Verfahren noch längst nicht eröffnet. Das ist beabsichtigt. Die U.S.A. sind ein tief religiöses Land. Mögliche, noch nicht rechtskräftige Schuld exponiert den Beschuldigten enorm; ein Preis wird bereits entrichtet - der Beschuldigte wird übrigens im Gerichtsverfahren defendant genannt. Wie wird Oliver Schmidts Familie das Foto aufnehmen, seine Freunde, Bekannten und seine Kollegen? Werden seine anderen Kollegen die weltweite Präsentation ihres Gesichtes zum Schutz anderer Kollegen offerieren wollen?

Corinna Budras zitiert eine elektronische Post (offenbar vom Frühjahr 2014), mit der Oliver Schmidt seine Kollegen nach der alternativen Orientierung fragte:

"Zunächst einmal sollte entschieden werden, ob wir ehrlich sein sollen.  Wenn wir nicht ehrlich sind,
bleibt alles beim Alten".

Wie konnte es dazu kommen, dass Oliver Schmidt glaubte, die Frage der Ehrlichkeit wäre zu entscheiden?  

Zur Aufregung um die so genannten Fake news

Facebook hat angekündigt, Beiträge in den Foren auf ihre Substanz zu prüfen - so dass die fake news nicht mehr durchgehen. Nikolas Busse von der F.A.Z. nennt das Prüfung auf den Wahrheitsgehalt (16.1.2017, S.1). Halten wir fest: Wahrheitsgehalt. Nikolas Busse fragt nach den Kriterien der Prüfung. Er fragt weiter: "Und soll eine gewinnorientierte, noch dazu amerikanische Firma darüber entscheiden, was in Deutschland politisch wahr und was falsch ist?"

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung  - ist sie nicht gewinnorientiert? Sicher doch. Was ist dann der Wahrheitsgehalt seines Satzes?

Was ist mit dem Satzteil: noch dazu amerikanische Firma? Das ist die Floskel eines Vorurteils: in Sachen bundesdeutscher Demokratie haben uns die Nordamerikaner nichts zu sagen. Stimmt und stimmt nicht. Außerdem sagt die Zeitung für die klugen Köpfe ständig etwas zur Politik der U.S.-Amerikaner. Mehr denn je. Das zählt zum Auftrag der Zeitung. Klar doch. Halten wir fest: mit dem Wahrheitsgehalt ist es nicht einfach.

Zweites Beispiel der Aufregung. Schlagen wir den Feuilleton-Teil der Zeitung (S. 9) auf. Dort ist der Beitrag von Rolf Schwartmann abgedruckt mit den Überschriften: "So bekämpft man die Lüge im Netz. Fake News zersetzen die Demokratie und pervertieren das Recht auf Meinungsfreiheit". Müssen wir uns Sorgen machen? Nein. So schnell schießen die Preußen nicht, sagte mein Vater, wenn es brenzlig wurde. Sorgen müssen sich die machen, die mit einem schlichten Konzept von Wahrheit und Lüge durch die Gegend laufen.

Wahr und falsch scheinen einfache Adjektive zu sein. Stimmt aber nicht. Paul fragt Georg: "Wie geht's?" Georg antwortet: "Gut. Keine Klagen. Bin zufrieden". War die Antwort wahr oder falsch? Who knows? Wahrscheinlich beides. Georg, kann man ihm unterstellen, schützte sich vor Pauls weiteren Fragen. Kann man das als Lüge bezeichnen? Nein. Die Dichotomie von wahr und falsch ist schwierig. Was ist mit den zivilisierten Umgangsformen der Höflichkeit und des Takts? Taktlos sind die Ehrlichen heißt ein dröhnendes deutsches Klischee.

Aber kehren wir zu den news zurück. Die Vorurteilsbereitschaft hat ihre große Foren im Internet bekommen. Die deutlich konturierten Affekte der Zuneigung und der Abneigung haben ihre Foren im Internet bekommen. Ist das sehr schlimm? In unserem Alltag erfahre ich hin und wieder die Abneigung einiger Verkehrsteilnehmer, die mit meiner - vielleicht bedächtigen (ich bin nicht mehr 20) - Fahrweise nicht einverstanden sind; gestern hupte einer hinter mir her, während ich abbog; vor einigen Monaten zeigte mir eine lady am Steuer ihres weißen SUVs - der Höhepunkt des an mich addressierten Ärgers in meiner Autofahrer-Karriere - den Stinkefinger. Schlimm? Ich hatte dran zu knabbern - wie dieser Blog belegt, wirkt diese Kränkung noch nach. O.K. Kränkungen sind Alltag und sie sind ehrlich gemeint. Wir lernen, sie zu sortieren und abzulegen (mehr oder weniger).

Kommen wir zu den fake news oder zu den not so fake news. Die kriegen wir laufend -  als real news serviert. Beispiel aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung von heute (16.1.2017, S. 14): "Donald Trump legte gerade eine steile Lernkurve hin. Gespräch mit BILD-Herausgeber Kai Diekmann". Karl Diekmann schwärmt vom gut informierten, offenen, unverstellten president-elect. Na, ist er nicht Klasse, der künftige U.S.-Präsident? Das Gespräch unter acht Augen, das Karl Diekmann führte, ist kein Maßstab. Wenn D.T. in anderen Gruppierungen spricht und handelt, sieht das möglicherweise (sehr wahrscheinlich) ganz anders aus. Man könnte natürlich auch sagen: wenn D.T. sich je nach Format und Kontext anders verhält, ist das nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Mit anderen Worten: Karl Diekmann hat keinen fake betrieben, aber die Differenz der verschiedenen Strukturen und Kontexte verschiendener Interaktionen nicht bedacht. Real und fake gehört derzeit zum Repertoire aufgeregter, aufgescheuchter Beobachter der öffentlichen Prozesse. Sie lassen sich nicht so schlicht sortieren. Zudem, letzter Satz für heute, sind wir ein Leben lang damit beschäftigt, die Substanz der eigenen und der fremden Kommunikationen zu verstehen und zu sortieren.         

Samstag, 14. Januar 2017

Neues von der Heiligen Kuh XXXXVIII: wann werden ihre Hüter zur Verantwortung gezogen?

Das Drama der Wolfsburger Anstrengung, das Ausmaß der Verantwortung der Konzernspitze bei dem systematischen Betrug zu vernebeln, konturiert sich. Gestern veröffentlichten die Süddeutsche Zeitung online und die Tagsthemen der A.R.D. die Aussagen zweier Kronzeugen der U.S.-Ermittlungsbehörden, die Ingenieure sind, den vertrauten und begründeten, sehr plausiblen Verdacht, dass die Chefs von Volkswagen vom Betrug wussten und ihn möglicherweise förderten.

Das ist nicht neu. Wer in einer Organisation gearbeitet hat, weiß, was man seinem Vorgesetzten sagen muss, sagen kann und was man verschweigen kann. Wenn es um das Überleben eines Konzerns geht, ist das überhaupt keine Frage. Deshalb kann man davon ausgehen, dass die Konzern-Spitze und sicherlich auch die verantwortlichen Repräsentanten der beiden die überwiegenden Anteile des Konzerns besitzenden Familien informiert waren. Jetzt erleben wir, dass die juristisch abgedichtete Strategie der Konzern-Spitze und der (Haupt-)Eigentümer,  die Vertuschung zu behaupten -  um Geld zu sparen - , fehlzündet.

Was sie offenbar nicht ausreichend bedacht haben: um die präzise öffentliche und juristische Klärung ihres schweren Betrugs kommen sie nicht herum - die Folgekosten werden, je mehr die Klärung hinausgeschoben wird,  buchstäblich immer teurer. Vor allem kommt die Präsentation der schäbigen Moral der leitenden Konzern-Leute und der Konzern-Besitzer teuer - so teuer, dass diese Folgekosten nicht zu veranschlagen sind. Man kann es ganz einfach sagen: die Lüge der Wolfsburger Verantwortlichen korrumpiert unsere Demokratie. Es wäre schön, das Trauerspiel des Mauerns und des Lügens könnte beendet werden. 

Freitag, 13. Januar 2017

Neues von der Heiligen Kuh XXXVII: sie hat sich verheddert

Jetzt wird es schlimm - oder nicht so schlimm. Eins nach dem anderen.
"Volkswagen in den Fängen des FBI" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.1.2017, S. 26), lautet die Überschrift des Textes von Carsten Germis. Unter-Überschrift: "Gut ein Jahr ermittelte die amerikanische Polizei im VW-Abgasskandal. Sechs Manager wurden jetzt angeklagt".

Zur Einstimmung in seinen Text beginnt Carsten Germis mit Jerry Cotton. Der Beginn passt zur Wortwahl des Skandals. Aus manchen Text-Zeilen dieser Zeitung tröpfelt hier und da die U.S.-Verachtung heraus. Jetzt werden sechs führende Leute des Wolfsburger Konzerns von gewaltigen Fangzähnen oder Fangkrallen bedroht; einer wird bereits festgehalten.  Der Abgasskandal ist ein strafrechtlich relevanter, schwerer, systematischer Betrug, der nicht nur Milliarden Buße kostet, sondern gleichzeitig die Unbarmherzigkeit (für die Folgekosten) und die Unverfrorenheit (sich im Betrug sicher zu fühlen) einer Industrie präsentiert.

Die U.S.-Jurisdikative sieht die Verantwortung für die Straftaten bei den Ingenieuren der Motoren-Entwicklung. "Die Spitze von VW in Wolfsburg", schreibt Carsten Germis, "kann damit aufatmen". Ob der Journalist auch sich oder die Kolleginnen und Kollegen seiner Redaktion meint? Mit wem sympathisiert er?

Er wird nicht aufatmen können - anders als bei uns verfolgt die U.S.-Ermittlungsbehörde ihren begründeten Verdacht weiter, bis sie ihn bestätigen kann. Das weiß auch Carsten Germis: anderenfalls hätte er nicht das Bild der Fänge benutzen müssen. Denn aus den Fängen gibt es kein Entkommen.

(Überarbeitung: 14.1.2017)  


Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXXVII: Tut Donald Trump nicht weh!

Heute morgen lese ich:
"Vom künftigen Präsidenten Trump wird verlangt, sein Unternehmenskonglomerat zu verkaufen, damit er seine Politik unbeeinflusst von seinen privaten wirtschaftlichen Interessen ausführen kann". Dann fügt er hinzu: "Das ist zu viel verlangt". Der Autor heißt: Winand von Petersdorff. Sein Text ist überschrieben mit "Trump und die Geschäfte" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.1.2017, S. 17).

Ist das zu viel verlangt?  Für U.S.-Amerikaner, die Betrug und Korruption verabscheuen, nicht. Zudem ist das Amt des Präsidenten anders als das Amt des Eigentümers eines Unternehmenskonglomerats. Von Petersdorffs Das ist zu viel verlangt ist starker Tobak - er schwingt sich zu einer Moral der Dominanz des Geschäfts auf. Das wiederum ist eine vertraute Taktik: sie passt zum Langmut der Zeitung für die klugen Köpfe, den deren Redaktionen für die Geld-vernichtende Korruption des Wolfsburger Weltkonzerns aufbringen.

(Überarbeitung: 4.10.2019)    

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXXVI: der Beobachter ist verwirrt.

Donald Trump, president-elect für wenige Tage, hat ein Geheimnis: vermutet Berthold Kohler von der Frankfurter Allgemeinen (vom 12.1.2017, S. 1). "Amerika", schreibt er, "stehen schwere Zeiten bevor. Wie es aus seiner tiefen Zerstittenheit gestärkt hervorgehen soll, bleibt bisher Trumps Geheimnis, das er auch in seiner ersten Pressekonferenz nicht lüftete".

Streit belebt und lüftet durch. Die öffentliche Diskussion war und ist in den U.S.A. nicht zimperlich, ihre Differenzen und Interessen auszutragen. Donald Trump hat sich weit aus dem Fenster gelehnt, jetzt bläst ihm ein kräftiger Wind entgegen. So einfach wird er mit seiner (bolzenden) twitter-Technik nicht durchkommen. Das ist doch ein gutes Zeichen. Die U.S.A. klären ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Wir müssen sehen, was der Prozess der Auseinandersetzung zu tage fördert. Uns stehen ähnliche Auseinandersetzungen bevor. Schwere Zeiten: ? Ja, doch. In Köln sagt man: von nix kütt nix. Und wat nix kost, is och nix. Aber, so räsonniert Berthold Kohler: "Trump erweist sich bisher als dünnhäutiger Politik-Anfänger, der sich schon von einer Schauspielerin provozieren lässt". Schlimm? Die Schauspielerin heißt Meryl Streep und ist eine der angesehensten Künstlerinnen der U.S.A.; ihr Wort hat Gewicht. Wenn man deren Protagonisten verachtet, muss man in Deckung gehen.    

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXXV: Gibt es ein "unrühmliches Ritual"?

Das unrühmliche Ritual fand ich in der Nachrichten-Notiz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ausgabe vom 3.1.2017, S. 7) - Überschrift: "In Frankreich an Silvester 945 Autos in Brand gesteckt". Dort war zu lesen:
"Das Abbrennen von Autos in der Neujahrsnacht ist in Frankreich zu einer Art unrühmlichem Ritual geworden".

Ein "unrühmliches Ritual" gibt es nicht. Das Ritual entstammt dem sakralen Kontext. Im Alltagskontext sind damit die selbst-reflexiven Momente der Einkehr, des Innehaltens und des Nachdenkens gemeint. Zum Vergnügen an der Destruktion gehören der Kontrollverlust und die Entdifferenzierung. Was soll dann die Formel vom unrühmlichen Ritual ? Ich vermute: sie ist die Verdichtungsleistung von Kopfschütteln (Was ist bloß in Frankreich los?) und Schadenfreude (bei uns nicht). Die Nachricht hätte eine Beschreibung französischer Lebensrealität sein können: 945 zerstörte Autos - bei einem grob geschätzten Wert pro Fahrzeug: € 10.000,- ergibt das einen Schadensbetrag von knapp zehn Millionen Euro  -  besetzen eine Strecke der Vernichtung von (rasch überschlagen) gut vier Kilometern, für die man eine dreiviertel Stunde zu gehen benötigt. Mich hätte interessiert, wo die Autos genau in Brand gesetzt wurden, ob und wie die Realisierung der Brände toleriert und verfolgt wurde und ob und wie die Schäden reguliert wurden.  Der französische Staat kann die regelmäßige Zerstörung nicht zulassen.

Donnerstag, 12. Januar 2017

Angela Merkel I: Der ängstliche Blick zurück und der ängstliche Blick nach vorn: ihre Neujahrsansprache 2016

Was ist dieses Mal anders? Der Augenaufschlag unserer Kanzlerin. Jemand muss ihr gesagt haben, sie solle sich dem Teleprompter intensiv zuwenden: als Mrs Cool. Dem widerspricht die offenbar intensiv geübte, sehr gedehnte Vortragsweise im Tonfall des Aufsagens und Ablesens. Der ängstliche Blick ist natürlich erschlossen und bezieht sich auf die Ungenauigkeit und Rührseligkeit ihrer Ansprache und  Mitteilungen. "2016", so beginnt sie mit ihrer Rede des Rückblicks, "war ein Jahr schwerer Prüfungen". Wer oder was wurde geprüft?

"Die schwerste Prüfung", führt sie (im übernächsten Satz aus), "ist ohne Zweifel der islamische Terrorismus". Die Antwort ist vage. Wen oder was prüfte der islamische Terrorismus? Die Politik der Bundeskanzlerin. Die Qualität der Arbeit der ermittelnden und strafverfolgenden Behörden. Der islamische Terrorismus ist Kurzschrift - für ein unsortiertes Gemisch von Kontexten. Geprüft wurde in einer schwelenden, mühselig kontrollierten, sehr kontroversen öffentlichen Diskussion die Regierungspolitik im Kontext der Frage einer Beunruhigung: Wer kommt in die Bundesrepublik Deutschland? und im Kontext eines Vorwurfs: Was richtet diese Politik an? Der Sylvesterabend in Köln vergangenen Jahres gab darauf eine ernüchternde, deprimierende, irritierende Antwort. Seitdem musste die Kanzlerin sehr um die Zustimmung zu ihrer Politik fürchten. Die Strapaze war ihr anzusehen - die Journalisten der Zeitung für die klugen Köpfe machten sich ihre Sorgen: Hält sie durch?, fragte Mitte des Jahres Günter Bannas (s. meinen Blog vom 4.7.2016).

Wieso blieb sie in ihrer Ansprache so unpersönlich? Zumindest hätte sie doch sagen können, es wäre für sie schwer gewesen. Dann hätte sie allerdings über ihre Politik sprechen müssen. Sie hätte Auskunft geben müssen. Sie hätte sagen müssen, was sie 2017 vorhat.

Was sagte sie stattdessen? Sie wäre zuversichtlich - von den Stärken unseres Landes und seiner Menschen überzeugt. Sie spüre die feste Entschlossenheit, der Welt des Hasses der Terroristen unsere Mitmenschlichkeit und unseren Zusammenhalt entgegen zu setzen. Sie betonte: unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat, unsere Werte - sie sind der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus und sie werden stärker sein als der Terrorismus. Wir gemeinsam sind stärker. Unser Staat ist stärker.

Worte des Trosts, des Zuspruchs, der Beschwichtigung; deren Rückseite sind: die Angst-Erzeugung und die Ausgrenzung. Kein Wort des Verständnis-Versuchs für die sechshundert gefährdeten jungen Leute bundesdeutscher und anderer Herkunft, die mörderische Fantasien oder Pläne pflegen und möglicherweise bereit oder geneigt sind, sie zu realisieren. Ich hätte mir gewünscht, sie hätte für sie ein paar Worte des Bedauerns gefunden, dass sie offenbar keine Hoffnung haben, in unserem Land ihren Platz zu finden.

Was war die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin? Rührseligkeit als politische Kommunikation, Ungenauigkeit als Verweigerung, über die beabsichtigte Politik Auskunft zu geben und sie zur Diskussion zu stellen, Hilflosigkeit und Ängstlichkeit gegenüber den dramatischen Veränderungen in unserer Welt. Die in einer demokratisch verfassten Gesellschaft gewählten Regierungen haben die Aufgabe, ihre Politik zu erläutern und die Bürgerinnen und Bürger dafür zu gewinnen. Schulter-Klopfen ist zu wenig, Abspeisen eine undemokratische Kommunikationsform.